Reformation im Pfarrhaus? Zum Kulturwandel einer Institution
Donnerstag, 04. Mai 2017. Vortrag von Frau Prof. Dr. Köhle-Hezinger. Ort: Peter- und Paulskirche in Köngen. Beginn: 20:00 Uhr. Eintritt frei. Spenden willkommen.
Die evangelische Kirchengemeinde und der Geschichts- und Kulturverein laden herzlich zu diesem Vortrag ein.
Ein Gebäude von besonderer Architektur, eingebettet in die Natur und versteckt in einem malerischen Garten: Das evangelische Pfarrhaus als Sinnbild eines Idylls, das Geborgenheit verheißt und für gelebte Tugenden steht. Schon seit der Reformation ist das evangelische Pfarrhaus nicht nur der stattliche, nah der Kirche platzierte Bau, der den christlichen Glauben verkörpert. Als Ausdruck einer Familie ist es Ausdruck einer besonderen Lebensform und eine andere kulturgeschichtliche Institution als das katholische. Evangelische Pfarrhäuser haben unzählige Biographien hervorgebracht, die ihre Zeit prägen und prägten und doch gegensätzlicher nicht sein könnten: Einige Theologen und deren Kinder entwickelten sich zu Größen auf dem Gebiet der Wissenschaft, Musik und Geistesgeschichte, andere hatten starkes politisches Gewicht.
Errichtet wurden die Pfarrhäuser von den Kirchengemeinden, die die Theologen mietfrei wohnen ließen. Die Häuser waren meist nicht nur der Mittelpunkt des Ortes, sondern auch das geistige Zentrum. Im Erdgeschoss lagen die Räume der Gemeinde, die Familienwohnung in der Regel im ersten Obergeschoss. Weil sich das Amt des Pfarrers von jeher nicht von der Privatsphäre trennen ließ, war immer die gesamte Familie mit eingebunden. Die Pfarrfamilie hatte das ideale Christentum vorzuleben: fromm, gottgefällig und moralisch unbedenklich. Nur so konnte das Pfarrhaus mit seinen Anliegen einflussreich und glaubhaft in die Gesellschaft vordringen. Anders als der katholische Geistliche galt der evangelische Pfarrer immer als Mann Gottes mit Familienanschluss, der sich mit Haushalt, Eheführung und Kindererziehung bestens auskannte. Die Glaubwürdigkeit seiner Sonntagspredigt wurde am eigenen Haussegen gemessen.
Die Vorstellung vom Pfarrhaus als intakter Welt, in der alles seinen festen Platz einnimmt, wo sich die Familie dem Vater unterordnet, kommt nicht von ungefähr. Das Familienleben der Luthers galt im 18. und 19. Jahrhundert als verwirklichtes Ideal. Über Jahrhunderte waren heile Verhältnisse im Pfarrhaus allerdings die Ausnahme. Um möglichst rasch viele evangelische Pastoren einsetzen zu können, kamen nach der Reformation Laienprediger ins Amt. Diese gläubigen Laien, Handwerker und im besten Fall Lehrer oder Stadtschreiber, stiegen ohne theologische Ausbildung auf die Kanzel und machten zuweilen durch eine ausschweifende Lebensführung auf sich aufmerksam. Die Pfarrer waren von ihren Landesherren abhängig, die ihnen keine ausreichende Besoldung garantierte. Weitgehend mussten sie sich von den Erträgen der zum Pfarrhaus gehörenden Pfründen ernähren.
Der Beginn des 19. Jahrhunderts markiert eine Zeitenwende, an der sich das Pfarrhaus zu einem Hort der Bildung und der Kultur wandelte. Getragen vom Geist der Aufklärung betätigten sich die Pfarrer in der Philosophie, Literatur und Musik.
In dem Vortrag wird danach gefragt, welche menschlichen Prägungen und Spuren das Pfarrhaus in den Köpfen der Menschen bis heute hinterlassen hat.
Quelle zu diesem Thema: Julia Ricker: Zwischen Himmel und Erde, Vom Leben protestantischer Pfarrfamilien. In: Monumente, Magazin für Denkmalkultur in Deutschland, April 2017, Seite 8ff.