Im Spätsommer
des Jahres 1947 zog Pfarrer Walter Schüz mit seiner Familie ins
Köngener Pfarrhaus ein. Hinter ihm lagen die 14 Jahre seiner
ersten Amtszeit in Calw, in denen ihm viel Standhaftigkeit
bei der Auseinandersetzung zwischen Kirche und Naziregime
abverlangt worden war. Die Jahre als Soldat und die
nachfolgenden Monate in amerikanischer
Kriegsgefangenschaft waren zusätzliche Belastungen gewesen.
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Walter Schüz
(1906-1973) und seiner Frau Ingeborg geb. Rathke
Pfarrer in Calw (1933-1947),
dazwischen: Einzug zur Wehrmacht, schwere Verwundung und
Gefangenschaft Februar 1945, Entlassung aus der
Gefangenschaft im September 1945
Pfarrer in Köngen (1947-1964)
Pfarrer in Stetten i.R. (1964-1969)
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Die Familie hatte unter den Kellernächten mit Fliegeralarm zu
leiden gehabt und nach Kriegsende unter dem katastrophalen
Nahrungsmangel, der in der französischen Besatzungszone
vorherrschte. Köngen war noch ganz durch die Landwirtschaft
geprägt und so erschien der Umzug dorthin wie die Einkehr ins
Gelobte Land. Der große Pfarrgarten erstreckte sich damals noch
ungeteilt bis zur Schulbergmauer und konnte für die
Eigenversorgung genutzt werden.
Köngen lag in der amerikanischen Zone, wo die Versorgungslage
der Bevölkerung insgesamt besser war. So wurde jeden Tag im
Waschhäusle hinter dem Pfarrhaus Schulspeisung gekocht für
die Kinder der nahe gelegenen Schule. Auch Care-Pakete aus
Amerika und Skandinavien erreichten Köngen und das Evangelische
Hilfswerk erlaubte hin und wieder Verteilaktionen von Spenden
aus Übersee.
Dagegen war die Wohnungsnot im Dorf durch immer neu ankommende
Flüchtlinge und Heimatvertriebene erdrückend. Familie Schüz mit
acht Kindern wohnte im Pfarrhaus zusammen mit einem alten
Flüchtlingsehepaar aus dem Sudetenland. Der Dachstock war noch
nicht ausgebaut und die Sanitäreinrichtung völlig unzureichend.
Eine junge Kriegerwitwe aus Ostpreußen kam noch mit ihrer
Tochter dazu, war aber bald eine wichtige Hilfe in Haus
und Garten, zumal sich bei Familie Schüz in den folgenden Jahren
noch zwei Kinder einstellten.
Heizmaterial war Mangelware und so blieb in den
Nachkriegswintern meistens auch der Ofen im Amtszimmer kalt. Wer
ins Pfarrhaus kam, musste sein Anliegen oft inmitten der
Pfarrfamilie im Wohnzimmer vortragen. Allerdings waren damals
Pfarrfrau und Pfarrerskinder ohnehin ganz selbstverständlich in
das Gemeindeleben einbezogen.
Es verging fast kein Tag, an dem nicht Flüchtlinge oder andere
Heimatlose von der nahen Autobahn herüberkamen, um im weithin
sichtbaren Pfarrhaus anzuklopfen. Dieser namenlose Strom
nicht sesshafter Menschen hielt lange Jahre an. Wer im Pfarrhaus
um Hilfe bat, bekam immer zu essen und die notwendige
Unterstützung, um in Esslingen staatliche oder kirchliche
Hilfsstellen aufsuchen zu können. Die letzten Spätheimkehrer aus
russischer Kriegsgefangenschaft wurden mit Glockenläuten
begrüßt, während man in vielen Köngener Familien um gefallene
Söhne oder Ehemänner trauerte. Dazu kam die kaum ausreichende
Finanzlage der Kriegerwitwen.
In der Fürsorge um das Elend dieser Menschen war Ruth Busch eine
unentbehrliche Hilfe. Selbst Kriegerwitwe und heimatvertrieben
lebte sie mit ihren aus dem Rheinland evakuierten Eltern im
Köngener Schloss. Zusammen mit den Schwestern Hedwig und Anna
Bluhm, Vertriebene aus dem Königsberger Diakonissenmutterhaus,
konnte manche Not gelindert werden. Hinter dem häufigen Hinweis,
der Pfarrer solle einmal „nach dene Leut‘ gucke“, standen immer
handfeste Probleme, um die man sich kümmern musste. In den
Nachkriegsjahren liefen soziale Beratung und Vermittlung
weitgehend über die Gemeindeschwester und den Pfarrer. So war
Walter Schüz zusammen mit seinen Helferinnen oft befasst mit
Einweisungen in Altenheime oder andere diakonische
Einrichtungen. Mit Unterstützung der Kirchengemeinde hat auch
das Evangelische Hilfswerk die erste Siedlung für Flüchtlinge am
nördlichen Dorfrand erstellt.
Nach der Währungsreform 1948 verbesserten sich die Umstände
allmählich immer mehr. Walter Schüz musste sich nun dem
äußeren Aufbau der Kirchengemeinde stellen. Die Anschaffung von
vier Glocken zum fünfstimmigen Geläut war eine große Aufgabe,
ebenso die 1953 durchgeführte Kirchenrenovierung mit Neubau der
Orgel. Es galt zu planen, zu verhandeln und Geldmittel zu
beschaffen, wobei die Mitarbeit der Kirchengemeinde äußerst rege
war. Vor allem die Kirchenrenovierung verlangte großen Einsatz
und verdient noch heute Anerkennung. Während in anderen Kirchen
dem rigorosen Neuerungswillen manches an historischer
Bausubstanz zum Opfer gefallen ist, bewahrte die Köngener Kirche
ihren Stil und wurde behutsam restauriert. Viele Details wie
Taufstein, Kanzeldeckel oder Sakramentshäuschen blieben
erhalten oder wurden maßvoll ergänzt. Unermüdlich warb Walter
Schüz darum, den Wert des Althergebrachten zu entdecken und zu
respektieren.
Dieses Bemühen blieb nicht auf Sichtbares beschränkt. Wer in
diesen Jahren die Kinderkirche, den Zuhör- und
Konfirmandenunterricht oder die Christenlehre besucht hat,
konnte ein reiches Wissen kirchlicher Heimatkunde erwerben. Das
Erklären von Symbolen und Gebräuchen, von
Kirchengeschichte und theologischen Erkenntnissen gelang Pfarrer
Schüz anschaulich und kurzweilig. Seine außergewöhnliche
Erzählgabe bereicherte viele Veranstaltungen.
1953 wurde erstmalig für alle evangelischen Kirchen in
Deutschland ein gemeinsames Gesangbuch erstellt. Um der
Einheitlichkeit willen erschienen die Texte und Weisen in ihrer
ursprünglichen Fassung, was den württembergischen Gemeinden
meist zuwider lief. Walter Schüz erkannte diese Neueinführung
als wichtige Aufgabe. Zusammen mit Kirchen- und Posaunenchor
wurden die neuen oder veränderten Lieder sorgfältig eingeübt und
von der Gemeinde angenommen. Die Pfarrfrau Ingeborg Schüz hat
sich besonders im Kirchenchor und Frauenkreis eingebracht. Ihre
Leistung in Zeiten, als Kindergeld und Lehrmittelfreiheit,
Waschautomat und Zentralheizung noch Fremdwörter waren, wären
auf einem anderen Blatt zu würdigen.
In den Fünfziger Jahren wurde im Mühlehof der fünftausendste
Einwohner in Köngen geboren. Der Ort vergrößerte sich rasant,
ein Neubau nach dem andern schoss aus dem Boden und das Dorf
verlor immer mehr sein alt hergebrachtes Gesicht. Das gute
Miteinander mit der bürgerlichen Gemeinde und der neuen
katholischen Kirchengemeinde mußte eingeübt und die
wachsende eigene Gemeinde gepflegt und gestärkt werden. Mit
einem tatkräftigen Kreis ehrenamtlicher Mitarbeiter galt es
Neues zu erproben: Jungmütterkreis, Gottesdienste im Grünen,
Ausflüge, Gemeindemittage für Neuzugezogene und erste Versuche
mit Dorfseminaren wurden angeboten.
Das Arbeitspensum dieser Jahre war unermesslich. So umfasste ein
Jahrgang in der Regel zwischen siebzig und achtzig Konfirmanden.
Walter Schüz hat alle ihre Familien besucht, ebenso die Ältesten
im Ort oder neue Mitbürger. Meist war er am Spätnachmittag zu
Fuß unterwegs, um Besuche zu machen und über die „Trottoirseelsorge“
wie er es nannte, im Vorbeigehen Verbindung mit den Leuten zu
pflegen. Durch sein ausgezeichnetes Personengedächtnis war bei
ihm gewissenhaft festgehalten, was ihm anvertraut worden war
oder was er im Dorf erlebt hat. Als dann die Aussiedlerhöfe weit
außerhalb des Orts gebaut wurden, sprach er zum ersten Mal
davon, dass ihm Grenzen gesetzt würden im Bemühen, die
Gemeindeglieder persönlich aufzusuchen und zu betreuen.
Vertretung beim Predigtdienst gab es in diesen Jahren kaum
einmal. Erst in den sechziger Jahren, als sich bei Walter Schüz
schon gesundheitliche Beschwerden einstellten, wurden ihm so
genannte Lehrvikare zugeteilt, was er sehr begrüßt hat. Mit dem
Umzug 1964 in die Gemeinde Stetten/Rems übernahm er noch einmal
neue Aufgaben, musste aber dann vorzeitig in den Ruhestand
gehen. Wie erschöpft er insgesamt war, zeigt sein früher Tod
1973.
Pfarrer Schüz hat in Köngen sein Amt als treuer Haushalter
ausgefüllt. Mit seinen vielfältigen Gaben hat er sich
bemüht, den besonderen Anforderungen seiner Zeit gerecht zu
werden.
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