Württemberg im Späten
Mittelalter (1250 - 1400)
Württemberg vom Späten
Mittelalter bis zur Reformation (1400 - 1520)
Württemberg von der Reformation
bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges (1520 - 1618)
Württemberg in der Zeit des
Dreissigjährigen Krieges (1618 - 1648)
Württemberg in der Zeit des
Dreissigjährigen Krieges (1618 - 1648)
Württemberg in der Zeit
vom Westfälischen Frieden bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts (1648 -
1750)
Württemberg von der
Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs
Deutscher Nation (1750 - 1806)
Württemberg in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1806 - 1850)
Württemberg von der
Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gründung des Deutschen Reiches
(150-1871)
Württemberg als
Bundesstaat des Deutschen Reiches
Württemberg in der Zeit
der Weimarer Republik
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Einführung
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Im
Jahr 1514 erhoben sich im gesamten Herzogtum
Württemberg Untertanen gegen ihre rechtmäßige
Herrschaft. Motor des Widerstands war der ‚Arme
Konrad‘, eine
zunächst im Untergrund agierende, überständisch
organisierte
Gruppe von
Unzufriedenen.
Durch die Verbindung von
bäuerlichem und städtischem
Protest, seine
räumliche Ausweitung
und seine
Bedrohlichkeit für die
bestehende Herrschafts- und Gesellschaftsordnung,
gehört der
‚Aufstand des Armen Konrad‘
zu den bedeutendsten Ereignissen der
württembergischen Landesgeschichte.
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Die Menschen im Herzogtum
Württemberg lebten im 16. Jahrhundert vor allem
von der Landwirtschaft, in
erster Linie vom Getreideanbau und, in
begünstigten Gegenden, vom Weinanbau.
Die 43 Amtsstädte Württembergs, in denen Handel
mit Wein und Getreide betrieben wurde und sich
auch viele Handwerker niedergelassen hatten,
waren ebenfalls landwirtschaftlich geprägt.
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Illustration zu einem Reimgedicht über den Armen Konrad.
Entstanden im Frühjahr 1514.
Bildnachweis:
Deutsches Landwirtschaftsmuseum Hohenheim
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Als ‚Armer Konrad‘
bezeichnete sich ein
Bündnis des ‚Gemeinen Mannes‘
(armer Leute). Neben
Bauern
und
Weingärtnern
gehörten
insbesondere
Handwerker dem
Bündnis an.
Auch Angehörige des
Bürgertums und der Geistlichkeit
unterstützten die Forderungen des ‚Armen Konrad“.
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Diese Seite befasst sich mit
den
Ursachen, Zielen und Folgen
des Aufstands. Mit
Herzog Ulrich
und den Machtverhältnissen zwischen den die
Regierungspolitik mitbestimmenden Institutionen
wird auch die
herrschaftliche Gegenseite
betrachtet.
Damit wird praktisch ein
Spiegelbild der
gesellschaftlichen, politischen und sozialen
Verhältnisse im
Herzogtum Württemberg zu Beginn des
16. Jahrhunderts
gezeichnet.
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Die Ursachen für den
Ausbruch des Aufstands
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- Die Finanzkrise des Staates
Württemberg
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Seit dem Ende des 15.
Jahrhunderts waren die württembergischen Herzöge,
wie auch andere Landesherren, bestrebt, einen
Territorialstaat mit einer starken
zentralen
Regierung aufzubauen. Eine
Zentralregierung sollte es dem Landesherrn
ermöglichen, wirkungsvoll in die
wirtschaftlichen, kirchlichen und sozialen Verhältnisse des Staates
einzugreifen. Während des Mittelalters hatte sich
der Staat auf Friedenswahrung und Rechtsschutz
beschränkt.
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Als Herzog
Ulrich im Jahr 1503 im Alter von 16 Jahren die
alleinige Regierung übernahm war der
Prozess der
Bildung einer zentralen Regierung bereits stark
fortgeschritten.
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Herzog Ulrich von
Württemberg im Jahr 1520 (*1487, † 1550), reg. 1498 - 1550
Holzschnitt von Erhard Schön
Quelle:
Württembergische Landesbibliothek
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Der
stärkere Eingriff des
Staates,
für die
Herzog Eberhard im
Bart mit
seiner Landesordnung von 1495 die rechtliche
Basis geschaffen hatte, brachte eine
Minderung der
bisherigen Freiräume der württembergischen
Bevölkerung
mit sich. Die bisherige
Selbstverwaltung
in den Dörfern und auch in den kleineren
Städten wurde stark eingeschränkt. Große
Teile des wirtschaftlichen, kirchlichen und
gesellschaftlichen Lebens wurden zunehmend
reglementiert. Es gab kaum noch ein Gebiet,
das von staatlichem Interesse unberührt
blieb.
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Die
Reglementierung
erforderte vom
Staat den Aufbau eines
komplexen
Verwaltungsapparats.
Damit stiegen auch die
Staatsausgaben
und zwar so sehr, dass sich der Staat
hoch verschulden
musste. Schon bei seinem Amtsantritt hatte Herzog Ulrich
einen hohen Schuldenberg vorgefunden.
Seine
Prunksucht
und hohe
Kriegskosten
trugen dazu bei,
die Schulden des Staates Württemberg noch
gewaltig zu vergrößern. Im Jahre 1513
erreichten die Schulden einen neuen
Höchststand.
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Die
enormen Kosten des
höfischen Lebens
seitens des Herzogs und des Adels wurden
komplett auf das Volk abgewälzt. Ein erster
Höhepunkt der Prasserei war sicherlich
Ulrichs Hochzeit mit Sabina von Bayern
im Jahre 1511. Die Feierlichkeiten dauerten
zwei Wochen, 7000 Gäste aus Adel und
Bürgertum waren geladen und wurden gänzlich
auf
Rechnung des
Herzogs verköstigt.
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Im
'Landshuter Erbfolgekrieg'
(auch 'Pfälzischer Erbfolgekrieg' genannt),
der im Jahr 1504 zwischen der
Kurpfalz
und
Bayern
über das Erbe Herzog Georgs des Reichen von
Bayern-Landshut ausgebrochen war, drang
Herzog Ulrich auf der Seite des Kaisers
Maximilian und des Herzogs Albrecht von
Bayern in die Pfalz ein. Die Kriegskosten
waren enorm.
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- Herzog Ulrich plante zunächst die
Einführung einer
Vermögenssteuer. Dies scheiterte am
Widerspruch der
reichen Leute. Der Herzog sah keinen anderen Ausweg
mehr, als eine
Verbrauchssteuer auf Fleisch zu erheben um die
Staatskasse zu füllen.
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Zusammen mit der Erhebung der
Verbrauchssteuer auf Fleisch wurde eine Verringerung
der Maßeinheiten der Gewichte eingeführt. Dies
bedeutete für die Verbraucher, dass
für weniger
Fleisch derselbe Preis bezahlt werden musste.
Bereits im Jahre
1512 war ein
hoher Weinzoll
eingeführt worden
– und das in einem Land, in dem der Weinanbau und
der Weinhandel zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen
gehörten. Zur selben Zeit wurden neue Münzen unter ihrem
nominellen Wert geprägt.
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Die Gewichte werden um 30
Prozent leichter gemacht - für dasselbe Geld
erhält der arme Bauer nur noch 700 Gramm Fleisch
statt bisher ein Kilo. |
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In
Württemberg überwog an der Wende zum 16. Jahrhundert
die Grundherrschaft. Der größte Teil des
herrschaftlichen Grundbesitzes war an Bauern entweder zu einer
festgesetzten
Geldrente bzw. einer bestimmten
Abgabe von
Naturalien oder zu einer
Quote vom
Ertrag übergeben worden. Der Großteil der Bauern
war leibeigen und damit fest an den Boden gebunden. Für Leibeigene gab
es auch Heiratsbeschränkungen.
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Die
Missernten
der Jahre 1508 bis 1513 führten dazu,
dass die kleinen Bauern ihren Bedarf an Lebensmitteln und Viehfutter nicht
mehr aus ihrem eigenen Besitz decken konnten und
deshalb darauf
angewiesen waren, die
gemeindeeigenen Wälder und Waldweiden zu nutzen.
Der enorme
Preisanstieg für Lebensmittel führte dazu, dass große Teile der
Bevölkerung unter Hunger litten.
Die steigenden Lebensmittelpreise verstärkten
die sozialen Gegensätze.
Während der
Missernten band die
Leibeigenschaft die Bauern fest an den
Grundherren und verhinderte dadurch die
Landflucht.
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Die
starke
Zunahme der Bevölkerung an der Wende vom 15. zum
16. Jahrhundert führte zur Knappheit des für die
Landwirtschaft erschlossenen Bodens und auch von
Wald. Holz war für die Bauern ein wichtiger
Rohstoff.
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Das Bestreben des Herzogs, einen
starken Territorialstaat aufzubauen bedeutete für
ländliche Gemeinden einen
Eingriff in
die bisherige dörfliche Selbstverwaltung.
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Bis
zum letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts
hatte es in den Gemeinden eine
relativ starke
Selbstverwaltung
gegeben. Dies waren vor allem örtlich
gewachsene
Gewohnheitsrechte
und auch die
niedere
Gerichtsbarkeit.
Herrschaftlicher Wald
konnte zum Schlagen von Holz sowie als
Waldweide benutzt werden. Die
Nutzung der Allmende, einem aus Wald
und Weideland bestehenden Bezirk, der sich
im Eigentum des Dorfes befand,
war für die Dorfbewohner
unentgeltlich.
Allerdings hatte der Herzog schon immer sein
Jagdrecht
uneingeschränkt
wahrgenommen.
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Seit
der
Regierungszeit von Eberhard im Bart wurden
die angestammten Rechte der dörflichen
Gemeinden beschnitten und die Bevölkerung
mehr und mehr von der lebensnotwendigen
Nutzung des Waldes und des Gemeinguts
ausgeschlossen. Staatliches Interesse wurde
über die alten Gewohnheitsrechte gestellt.
Die Eingriffe auf die Allmende bedeuteten
für die Bauern wirtschaftliche Einbußen und
einen Eingriff in die bisherige
Selbstverwaltung.
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Die Waldnutzung stand jetzt unter der Aufsicht des
herzoglichen Forstpersonals.
Die Forstmeister und die
Forstknechte waren von Abgaben
befreit und hatten weitgehende
Vollmachten. Die Bauern durften kein
Bauholz mehr aus dem Wald holen und
ihre Schweine nicht mehr zur
Eichelmast in den Wald treiben.
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Ulrich und seine
Höflinge liebten Ausritte zur Jagd.
Die
Folgen der herzoglichen Jagd
hatten die Bauern zu tragen. Häufig
verwüsteten die Jagdgesellschaften
auch rücksichtslos die Äcker der
Bauern.
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Schäden, die durch Wild
entstanden, wurden nicht ersetzt. Die Bauern
hatten kein Jagdrecht. In manchen Orten
verbot der Vogt, dass man Wildschweine oder
Hirsche aus den Feldern vertreiben darf. Die
Bauern hungerten.
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Auch die
Frondienste wurden ständig ausgeweitet.
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Dörfliche
Gemeinden konnten ihre Interessen nicht
beim Landtag, der Versammlung der
Landstände,
vorbringen. Dort waren nur die
Vertreter des Adels, der Geistlichkeit und
der Amtsbezirke vertreten. Damit war 95% der
Bevölkerung der Zugang zum Landtag
versperrt.
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Für die armen Leute gab
es kaum eine
Beschwerdemöglichkeit bei einer höheren
Verwaltungsstelle bzw. beim Herzog.
Gelangte die Beschwerde einer
dörflichen Gemeinde einmal bis zur Spitze
des Amtsbezirks, so sprach sich das von der
bürgerlichen Oberschicht beherrschte
Vogtgericht nur selten zu ihren Gunsten
aus.
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Das
Gericht in einer Gemeinde konnte nur
noch von Amtspersonen, d.h. von Vögten und
Schultheißen einberufen werden. Bei
Auseinandersetzungen innerhalb der
Dorfgemeinde konnten sich die ‚Armen
Leute‘
nicht gegen den von der Oberschicht
gestellten Schultheißen und das Gericht
durchsetzen Das
frühere Recht der
niederen Gerichtsbarkeit (Bestrafung von
kleineren Delikten), das auch Dorfgemeinden
hatten, wurde eingeschränkt. Selbst die
Gemeindeversammlung konnte nur im
Beisein von Amtspersonen stattfinden.
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Misshandlungen oder
Gewalttaten gegen Untertanen seitens der
Herrschaft
wurden nicht verfolgt oder geahndet.
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Vor
allem unter den
ärmeren Schichten zahlreicher
Amtsbezirke
rief die
Verbrauchssteuer auf Fleisch und die Verminderung der bisher geeichten Gewichte
Empörung hervor.
Die schon lange vorhandene
Unzufriedenheit der einfachen
Leute mit den
obrigkeitlichen Maßnahmen wurde noch erhöht und
praktisch das Fass zum Überlaufen gebracht.
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Die
schlummernde Unzufriedenheit der ‚Armen Leute‘
schlägt nun in die
Bereitschaft zum offenen
Aufstand um.
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Die
Aufbegehrenden – vor allem die Bauern,
aber auch städtische Bürger – wollten nichts weniger
als ihre alten Rechte wiederhergestellt sehen.
Dazu forderten sie etwas, was heute
selbstverständlich ist, damals aber unerhört war:
Politische Mitsprache der großen Mehrheit des (männlichen) Volkes,
nämlich der Bauern und Dorfbewohner,
im Landtag.
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- Das letzte Signal zum gewaltsamen
Widerstand
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- Die Mitglieder des Armen Konrad
und Sympathisanten hielten im
April 1514
in Beutelsbach eine
Versammlung
ab, um ihrem Unmut Luft zu machen. Hier trat
ein in Beutelsbach ansässiger Tagelöhner mit
dem Namen Peter Gais hervor. Er stellte sich vor die
versammelte Mannschaft, zog einen Kreis auf dem Feld
und rief:
„Der arm Konrad heiß ich, bin ich, bleib ich. Wer nicht geben will geben
den bösen Pfennig, der trete mit mir in diesen
Ring!“ Angeblich
traten 2000 Gleichgesinnte in den Kreis.
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Bei allen Treffen des ‚Armen Konrad‘ zog ein
Anführer einen Kreis auf dem Tisch oder im
Straßenstaub, und wer mit seinem Messer oder
seiner Gabel hineinstach, schwor dem Geheimbund
Treue.
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Das
letzte Signal
zum gewaltsamen Widerstand war das ungewöhnliche
Vorgehen des genannten Peter Gais. Der
Gaispeter, wie er auch genannt wurde,
entwendete am
2. Mai 1514 einem Metzger die Maßeinheiten für
die Gewichte und warf sie kurzerhand in die Rems.
Mit dieser
symbolischen Handlung wollte er gegen die
Verletzung
des geltenden Rechts, des ‚alten Herkommens’,
demonstrieren und gleichzeitig zum Kampf gegen die
Maßnahmen der Obrigkeit aufrufen.
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Für
Peter
Gais war das
Absinken der Maßeinheiten in der Rems ein
Gottesurteil zugunsten der
Aufständischen.
Für
Peter Gais
war das Absinken der Maßeinheiten in
der Rems ein
Gottesurteil zugunsten der
Aufständischen. Wären die Maßeinheiten bei
dieser
„Wasserprobe“ nicht abgesunken, hätte der Herzog recht gehabt. Ob es
dieses Gottesurteil mit vorhersehbarem
Ausgang wirklich gegeben hat, weiß niemand –
erst 60 Jahre später taucht die Geschichte
erstmals in einem Bericht auf.
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Für uns heutige Menschen
erscheint dies natürlich eine wenig seriöse
Methode, schließlich waren die Gewichte
schwerer als Wasser und mussten sinken. Für
den Gaispeter ging es um
göttliches Recht. Gott sollte den
Konflikt entscheiden und in dessen Sinne
gelöst werden. Zu jener Zeit war der Gedanke
an solches göttliche Recht für die Menschen
absolut logisch und naheliegend. Die
Wasserprobe wurde an mehreren Orten des
Remstals wiederholt. Wie zu erwarten immer
mit dem gleichen Ergebnis.
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Herzog Ulrich
war am 2. Mai zu Besuch beim
Landgrafen Philipp von Hessen. Von
seinem Hof wurde er wegen des Aufruhrs
aufgefordert, möglichst schnell nach
Stuttgart zurückzukehren. Noch am Abend
dieses Tages ging der Gaispeter hinauf auf
den nahen Kappelberg und läutete dort, gegen
den heftigen Widerstand des Mesner, die
Glocken der Nikolauskapelle der Burgruine.
Damit sollten die Menschen des Remstals zu
den Waffen gerufen werden.
Noch am Abend
dieses Tages ging der Gaispeter hinauf auf
den nahen Kappelberg und läutete dort, gegen
den heftigen Widerstand des Mesners, die
Glocken der Nikolauskapelle der Burgruine.
Damit sollten die Menschen des Remstals zu
den Waffen gerufen werden.
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Tatsächlich
löste
die ‚Missetat’ des Gaispeter in vielen Orten
Württembergs einen offenen Aufstand aus, der unter
dem Namen
‚Aufstand des Armen Konrad’
bekannt geworden ist.
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Peter Gais muss
ein begnadeter Redner gewesen sein, der die
aufgewühlten Herzen der armen Leute erreichte. In
den folgenden Wochen wurde er nicht zu einem der
Anführer, sondern zum großen Agitator
und Kommunikator, der von Ort zu
Ort ging, auf den Marktplätzen die Menschen gewann
und die Bande zwischen den einzelnen Gruppen im
Remstal aufrechterhielt.
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Um den Verlauf des Aufstands besser verstehen und auch bewerten zu
können, müssen wir uns kurz mit der damaligen
Verwaltungsstruktur Württembergs und den Machtverhältnissen
zwischen den Bevölkerungsgruppen befassen.
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Die inneren Verhältnisse Württembergs |
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Der
‚Landesherrliche Rat‘ in seiner Funktion als
Spitze der
Verwaltung war das wichtigste Instrument des
Landesherrn beim Aufbau eines starken
Territorialstaates. Die Mitglieder dieses Gremiums
standen gleichzeitig an der
Spitze der
zentralen Behörden und
territorialen
Gerichte. Zu den Aufgaben des ‚Landesherrlichen
Rats‘ gehörte die Schlichtung von politischen und
verfassungsrechtlichen Streitigkeiten. Einige
Mitglieder waren am württembergischen Hofgericht
tätig.
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Ranghöchstes Amt unter den Räten
war das des
Landhofmeisters; dieser leitete die gesamte
Landesverwaltung und war Vertreter des Landesherrn.
Ab 1506 hatte Erbmarschall
Konrad Thumb
von Neuburg, Schlossherr von Köngen, dieses Amt.
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Die
territorialen
Amtsbezirke wurden von
Vogt, Gericht
und Rat beherrscht. Über sie liefen die
Anweisungen des Herzogs und des ‚Landesherrlichen
Rats‘. Der Vogt war Vertreter des Herzogs im
Amtsbezirk.
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Forstliche
Hoheitsrechte wurden über eigene Hoheits- und
Verwaltungsbezirke ,die Forsten‘, wahrgenommen. Der Besitz dieser Hoheitsrechte bildete
für den Landesherrn die Grundlage für seinen
Anspruch auf die Nutzung von Wald, Waiden sowie auf
die Jagd.
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Die
dörfliche
Verwaltung bestand aus Schultheiß, Gericht und
Gemeinderechner. Der
Schultheiß
wurde vom Landesherrn eingesetzt. Er hatte
einerseits die
herrschaftlichen Interessen im Dorf zu wahren
und andererseits die
dörflichen Belange gegenüber der Herrschaft zu vertreten. Das
Dorfgericht
hatte die niedere Gerichtsbarkeit.
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Die erwachsenen Männer, die
ständig in den Amtsstädten oder in einem Dorf
wohnten, dort Grundbesitz besaßen und nicht zum
Gericht gehörten, bildeten die
‚Gemeinde‘.
Diejenigen, die keinen Grundbesitz
hatten, waren ‚Taglöhner'. Sie gehörten nicht zur
Gemeinde.
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- Mitbestimmende Institutionen und deren
Machtverhältnisse
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Die
‚Landstände‘
bestanden aus den Vertretern der
Ritterschaft,
den
territorialen Verwaltungseinheiten (den
‚Ämtern‘) und der
Kirche.
Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts gewannen sie
gegenüber dem Landesherren immer mehr an Einfluss.
Bei der Ausübung der Regierungsgewalt spielten sie
eine immer größere Rolle. Grund dafür war die
Finanznot des
Landesherren. Die Landstände wurden als
Gegenleistung für ihre Mitfinanzierung immer häufiger in die
Landespolitik einbezogen.
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Zentren
der 43 Ämter
waren die Amtsstädte. Die
Vertreter der
Amtsstädte bildeten die
‚Landschaft‘.
Sie
versuchten die übrigen Landstände, die
Prälaten
und die Ritter, von den Spitzenpositionen am herzoglichen Hof und der
Regierung zu verdrängen. Im Zusammenspiel mit dem
Herzog wurden die Vertreter des Ritter- und
Prälatenstandes sowie der
kleinen
Amtsstädte meistens nicht mehr zur
Versammlung
der Landstände, dem
‚Landtag‘
eingeladen.
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Die
Anzahl der Städte in Württemberg
nahm ständig zu. Während die Grafen
noch um 1250 mit Leonberg, Waiblingen und
Stuttgart über nur drei Städte verfügten,
wuchs der Bestand bis 1400 auf über 50 und
bis Anfang des
16. Jahrhunderts auf über
60
Städte an.
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Bei fast allen diesen
Städten handelt es sich um
Kleinstädte. Lediglich
Stuttgart, das schon um 1400 ca. 4000
Einwohner verfügte, und
Tübingen entwickelten sich bis zum Ende
des 15. Jahrhunderts zu kleinen
Mittelstädten. Abgesehen davon dürfen nur
wenige Orte wie
Schorndorf,
Urach
oder
Backnang als größere Kleinstädte angesprochen werden, während das
Gros der Städte bei geschätzten 1000
Einwohnern lag (z.B. Cannstatt,
Sindelfingen).
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Auf der
Ebene
der Lokalverwaltung wurden alle Städte
ins württembergische
Ämtersystem integriert, bei dem die
Amtsstadt, eine unbestimmte Zahl von
Dörfern und gegebenenfalls weitere Städte
ein 'Amt' bildeten.
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Die
Amtsstädte avancierten auf diese Weise
zu Verwaltungszentren, waren wichtig für den
Warenverkehr der Amtsdörfer, hatten in
Person des herrschaftlich bestellten
Schultheißen oder
Vogtes die hohe
Gerichtsbarkeit inne und waren politisch
bei den Landtagen vertreten.
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Diejenigen Städte aber,
die nicht
diesen
Status einnahmen, mussten mit wirtschaftlichen Verlusten, nur
eingeschränkter Gerichtsbarkeit und
geringem politischen Einfluss rechnen.
Konflikte wie zwischen der Amtsstadt
Böblingen und dem eigentlichen größeren,
aber untergeordneten Sindelfingen blieben
nicht aus.
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Die
landesherrlichen Städte
Stuttgart und Tübingen waren nicht nur eng in
die
herrschaftliche Verwaltung eingebunden und in
ihrer Gesamtheit als
‚Landschaft‘ politisch auf den Landtagen vertreten, sondern dienten
darüber hinaus
auch der
fürstlichen
Repräsentation.
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Personell wurden die
landesherrlichen Städte durch Mitglieder der
‚Ehrbarkeit‘ vertreten, die als
städtische Oberschicht unmittelbar mit der Herrschaft
interagierte: Als
Bedienstete
in Stadt und Amt, als
Landtagsabgeordnete oder als
Inhaber und
Adressaten herrschaftlicher Privilegien.
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Als
Amtsträger vertraten
„Ehrbare“ den Landesherrn auf
lokaler Ebene und waren an seine
Weisungen gebunden bzw. übten
Gerichtsbarkeit aus und repräsentierten die
Stadt nach außen.
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Die
„Ehrbarkeit“ nahm die höchsten
Positionen in
den Amtsstädten und dem Amtsbezirk
ein (Schultheißen, Vögte, Richter,
Ratsherren, Stadtschreiber, Stadtschreiber
u. a.) Mit ihrer gezielten
Heiratspolitik blieben sie unter sich.
Ihren Aktionsradius erweiterten sie
durch Verbindungen zu führenden Familien
anderer Städte. In der Summe ergab sich an
vielen Orten eine
Dominanz einiger weniger Familien.
Die ‚Ehrbaren‘ waren durch
Grundbesitz, Weinbau und Handel sehr reich
und damit auch sehr mächtig geworden.
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Die ‚Ehrbaren‘ dienten
nicht nur als Untergebene, sondern entwickelten sich ihrerseits zu
eigenständigen Akteuren. Wir begegnen
den ‚Ehrbaren‘ als Berater, Schiedsrichter
und diplomatischen Gesandten.
Aufgrund ihres Reichtums hatten sie
vielfältige Beziehungen zum Landesherrn.
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Ein Mann der Ehrbarkeit:
Sebastian Welling, Obervogt in
Kirchheim / Teck (ab 1609)
Ausschnitt aus einem Epitaph von
Hermann Schaffner
Württembergische Landesarchiv,
Kunsthalle Hamburg |
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- Die
‚Landschaft‘, also das bürgerliche Element, war
mit 120 von insgesamt 160 Vertretern die mit Abstand
stärkste
Fraktion im Landtag. Die ‚Ehrbarkeit“ stellte -
neben den Abgeordneten im Landtag - in den meisten
der 43 Ämter
auch Vogt und Gericht.
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Die
‚Armen Leute‘
aus Dorf und Stadt bemängelten die
Dominanz
der amtsstädtischen „Ehrbarkeiten“ und
forderte Möglichkeiten der politischen
Mitbestimmung. Die
‚Ehrbarkeiten‘
der führenden Städte
waren an einer Berücksichtigung des
‚Gemeinen Mannes‘ nicht interessiert und wollten
ihre eigene Position ausbauen.
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Während die „Ehrbarkeiten“
der Residenzstädte Stuttgart und Tübingen
tonangebend waren, kämpften kleinere Städte
wie Bietigheim, Winnenden oder Großbottwar
beim
„Marbacher Städtetag“ um mehr Einfluss.
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In Marbach trafen sich
Abgesandte aus 14 nordwürttembergischen
Städten „zweiter Garnitur“.
Sie forderten wie die ländlichen
Gemeinden eine
größere politische Mitsprache. Auf den künftigen Landtagen sollten
alle
Städte vertreten sein.
Herzog Ulrich hatte bisher immer nur
Teillandtage ohne die kleineren Städte
einberufen.
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Ziele und Verlauf des Aufstandes des Armen
Konrad |
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Am
4. Mai 1514 zogen etwa drei- bis 400 Bauern und
Tagelöhner unter Führung des
Gaispeter
vor die
Amtsstadt Schorndorf. Schorndorf war die am nächsten
liegende wichtigere Amtsstadt. Wie schon so oft, aber immer
vergebens, brachten sie ihre Forderungen vor, jetzt aber mit
dem Nachdruck erhobener Speer und Mistgabeln. Die Aufständischen forderten die Stadt
auf, sich ihnen anzuschließen und die Steuer aufzuheben.
Am 5. Mai zogen sie sich wieder zurück – aus Gründen, die heute
nicht mehr bekannt sind.
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Fest
steht, dass
Georg
von Gaisberg, der aus Schorndorf stammende Vogt
aus Stuttgart, den bewaffneten Aufrührern
Essen und
Trinken zukommen ließ und außerdem erklärte, deren
Anliegen dem Herzog vorzutragen.
Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass
diese damit zufriedengestellt wurden.
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Möglich ist, dass der Stuttgarter
Vogt im Auftrag des Herzogs den Protestierenden in
Schorndorf die
Aufhebung der Verbrauchssteuer anbot.
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Möglich ist auch, dass sich die
Protestierenden vor dem
Einsatz
militärischer Macht fürchteten. Herzog Ulrich
hatte den
Pfalzgrafen Ludwig bei Rhein und
Markgraf
Philipp von Baden um militärische Unterstützung
gebeten.
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Das Gerücht, dass Herzog Ulrich
fremde Truppen ins Land holen wollte, heizte die
Aufstände in
anderen Städten noch an.
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Fritz Nuss: Denkmal
für Peter Gais (Gaispeter)
in Weinstadt-Beutelsbach |
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Sicher ist, dass sich die Protestaktionen
noch in der ersten Maihälfte auf die
Amtsbezirke Urach,
Tübingen, Balingen, Markgröningen, Weinsberg und Brackenheim
ausbreiteten.
Anweisungen des Herzogs, keine Aufständischen in die Städte
zu lassen, waren zu spät ergangen – die Aufrührer hatten
längst Sympathisanten und Anhänger in den Städten.
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In
Markgröningen
rief der
Stadtpfarrer Dr. Reinhard Gaisslin zum Protest auf.
Die Einführung der Verbrauchssteuer empfand er als
unvereinbar mit der christlichen
Vorstellung einer
gerechten Herrschaft.
Insbesondere die
sozialen
Gegensätze zwischen der
‚Ehrbarkeit‘
und dem einfachen
Volk. Am 8. Mai versammelten sich auf dem Marktplatz
200 Protestierende. Sie drohten ‚die Reichen‘
totzuschlagen. Nachdem der Vogt die Kornkammer für die
Bevölkerung öffnete, blieb es bei den Drohungen.
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Mitte Mai 1514
hebt Herzog Ulrich die Verbrauchssteuer auf Fleisch auf.
Den Aufständischen wird Straffreiheit zugesagt.
Alle anderen Forderungen (Aufhebung staatlicher
Eingriffe in die dörfliche Selbstverwaltung, politische
Mitbestimmung) wurden nicht erfüllt.
Die Unruhen flauten
ab, die Unzufriedenheit blieb bestehen.
Die Lawine des angestauten Unmuts war losgetreten.
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Formierung
des Widerstands gegen Obrigkeit in Schorndorf und
anderen Amtsbezirken geschah nun
im Geheimen.
Exakte Ziele wurden definiert, Maßnahmen aufeinander
abgestimmt. Treibende Kraft war erneut
Gaispeter. In
Beutelsbach erhielt die geheime Bewegung den Namen
‚Armer Konrad‘.
Der Schwerpunkt des Engagements in Schorndorf lag in der
Verbreitung aufrührerischer Ideen und Aktivierung der
Bevölkerung. Eine große Rolle spielte dabei die Kanzlei des
Messerschmieds Pregatzer. Von dort wurden Briefe mit den
nötigen Informationen in die Dörfer gebracht. Diese
Botendienste übernahmen auch Frauen.
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Die Bezeichnung
‚Armer Konrad‘ galt bald landesweit für einen zum organisierten
Widerstand
entschlossenen Personenkreis.
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Über die
Entstehung
des Namens gibt es keine eindeutigen Hinweise.
Sicher ist, dass sich der Name von einem
spöttischen
Begriff des Adels und der Kleriker für das
‚Gemeine
Volk‘ ableitete, und schon vor 1514 die
Bedeutung ‚Armer Kerl‘ oder ‚Armer
Teufel‘ hatte. Sprachlich gesehen leitet er sich
wohl von den Dialektworten ‚koan
Rat‘ ab, beschrieb also jemanden, der „keinen
Rat“ mehr wusste oder erhielt. Eventuell war der
Name auch als
Gegenpol zum ‚Reichen Konrad‘, dem
Landhofmeister
Konrad Thumb von Neuburg, gedacht. Dieser war
auch Ortsherr von Köngen.
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Der ‚Arme Konrad‘ war
ein Sammelbecken von unzufriedenen Personen
aus allen
politischen und sozialen Schichten. Fest steht,
dass der ‚Arme Konrad‘ den
Umsturz der
bestehenden Herrschaftsordnung anstrebte. Die
Hoheitsrechte des Landesherrn sollten von einer
Gesellschaftsform abgelöst werden, die auf dem
Prinzip der
Gleichheit beruhte. So sollte die
landwirtschaftlich genutzte Fläche gleichmäßig unter
der Bevölkerung aufgeteilt werden.
Persönliche Freiheit sowie Freigabe von Wald,
Jagd und Fischerei wurden gefordert.
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Es dauerte nicht lange, da gab es
neue Unruhen,
diesmal in bisher nicht betroffenen Teilen des Landes. In
Calw und
Backnang besetzten
Bauern die Stadttore. Ein neues Zentrum des Aufstands wurde
Leonberg, wo sich sogar Ratsmitglieder dem Aufstand anschlossen.
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Die Organisatoren des ‚Armen Konrad‘
versuchten nun, alle
zum Widerstand entschlossenen Personen für den
28. Mai 1514 zum
Kirchweihfest in
Untertürkheim einzuladen. Dies scheiterte am
Verbot des Herzogs.
Andere hat die Einladung nicht erreicht, denn wo die
Obrigkeiten dies konnten, hatten sie die Nachricht
abgefangen.
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Anfang Juni 1514
zogen wieder bewaffnete Bauern vor die Tore Schorndorfs. Zum
zweiten Mal zogen sie sich zurück. Der Stuttgarter Vogt
scheint sie wieder beruhigt zu haben. Nun rumorte es auch in
Tübingen. Dabei galt diese Stadt bisher als absolut treu zum
Herzog stehend.
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Vor dem Hintergrund des drohenden
Staatsbankrotts und des Druck des ‚Armen Konrad‘ berief
Herzog Ulrich für den 26.
Juni 1514 einen
Großen Landtag in Stuttgart ein. Eingeladen waren nun
auch
wieder Prälaten, Ritter und die Abgeordneten der kleineren Städte. Die
Konflikte sollten für alle Gruppen zufriedenstellend gelöst
werden. Herzog
Ulrich verfolgte eine
Doppelstrategie:
Hinhalten und Beruhigung der Lage und zugleich
Vorbereitung für die militärische Niederschlagung des Aufstands. Die
Einberufung des Landtags diente dazu, den ersten Punkt zu
erfüllen.
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Zum Landtag waren
auch
Beobachter des Kaisers und der Fürsten umliegender Herrschaften
geladen.
Zunächst wurde auch an die Beteiligung von dörflichen
Delegierten gedacht. Der
Herzog folgte schließlich dem Vorschlag des Tübinger Vogts
Konrad Bräuning, die
Abgeordneten der ländlichen Gemeinden bei den
Verhandlungen im Landtag nicht zuzulassen und für sie einen
eigenen
„Bauernlandtag“ einzuberufen.
Der geplante Landtag
in Stuttgart wurde von Herzog Ulrich kurzfristig nach
Tübingen verlegt.
Der „Bauernlandtag“ in Stuttgart sollte erst
nach einer Verständigung der „Ehrbarkeit“ mit dem Herzog
stattfinden. - Die Bauern wurden schlichtweg betrogen. Die
städtische Oberschicht lehnte es rundheraus ab, sich mit dem
'Gesindel' an einen Tisch zu setzen. So fand in Tübingen nur
der Landtag der Ehrbarkeit statt. Anschließend, so versprach
der Herzog, komme er zum Bauernlandtag nach Stuttgart.
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Beim
Landtag in Tübingen
kam es durch fürstliche und kaiserliche Vermittlung zu einem
weitgehenden
Interessenausgleich zwischen dem Herzog und den
Landständen. Die Ergebnisse wurden am
8. Juli 1514 im
Tübinger Vertrag festgehalten.
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Die Landstände verpflichteten
sich, über einen Zeitraum von fast vierzig Jahren
für die
herzoglichen Schulden aufzukommen.
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Zugeständnisse
des Herzogs: Mitspracherecht der Stände bei der
Steuererhebung des Landes, beim
Kriegswesen,
bei der
Landesverteidigung sowie bei der
Veräußerung
von Landesteilen.
Außerdem wurde die
freie Auswanderung
zugesichert. Allen Untertanen wird für „peinliche Verfahren“
ein ordentlicher Prozess zugesichert.
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Das Vorgehen der Aufständischen
wurde scharf verurteilt.
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Der
‚Tübinger Vertrag‘
ist sicher ein Meilenstein in der Verfassungsgeschichte
Württembergs und weit darüber hinaus. Er kam jedoch
ohne jede Beteiligung der Aufständischen zustande, deren Anliegen
auch mit keiner Silbe berücksichtigt wurde.
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Während
also die „Ehrbarkeiten“ in Tübingen gemeinsam mit dem Herzog
und kaiserlichen Vermittlern eine
Einigung in Form des Tübinger Vertrags erzielten,
versammelten sich die
Abgesandten der Dörfer acht Tage später in Stuttgart, warteten
erfolglos auf die Ankunft des Herzogs und gingen
ohne Ergebnis wieder auseinander. Die Beschwerden der Bauern sollen,
so sagt der Herzog allerdings zu, sollen in den Ämtern
verhandelt werden.
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In der
‚Empörerordnung“
wurde Widerstand gegen die Herrschaft, also auch die
Aktionen des ‚Armen Konrad‘ als
Strafbestand des
Landfriedensbruchs klassifiziert, auf den die
Todesstrafe bestand.
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Wegen
der durch den Tübinger Vertrag zu
erwartenden Lasten
(Abwälzung der durch die Stände übernommene Verpflichtung,
die Schulden des Herzogs zu tilgen!)
flammte der
‚Aufstand des Armen Konrad‘ erneut auf. Eine Welle der
Empörung brandete durch Württemberg. Peter Gais, der
Gaispeter, versucht in vielen Orten, die Bewohner davon zu
überzeugen, dass sie dem Vertrag "nit schwören noch das
uffgelegt gelt geben". - Herzog Ulrich reist bereits durch
die Ämter und nimmt vielerorts die Huldigung entgegen.
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Viele Gemeinden ließen sich durch die Zugeständnisse des
Herzogs im Tübinger Vertrag beeindrucken. Sie gelobten
neue Treue zur herzoglichen Regierung. Am schnellsten vielen
die Gemeinden und Ämter nahe dem Schwarzwald um. Doch ein
wesentlicher Konfliktherd blieb das Remstal.
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Herzog Ulrich begab sich mit seinem
Marschall Konrad
Thumb von Neuburg und 80 Reitern nochmals nach
Schorndorf und verlangte von den dort versammelten
mehr als 1000 bewaffneten Aufständischen einen
neuen Treueid auf die
Regierung. Als der Marschall vor einem Stadttor den
Tübinger Vertrag vorlas und die Versammelten aufforderte,
diesen anzunehmen, zeigte sich deren Unmut.
Nun ritt auch Herzog
Ulrich vor das Stadttor und ergriff das Wort gegenüber den
Aufständischen. Sie sollten heimgehen und wieder ihrer
Arbeit nachgehen, dann werde er alles vergeben und
vergessen. Bei
diesen Worten eskalierte die Auseinandersetzung.
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Die Sympathisanten des ‚Armen
Konrad‘ innerhalb Schorndorfs schlossen die
Stadttore von innen. Vor dem Stadttor versuchten die
Bauern, den Herzog gefangen zu nehmen.
Der Herzog entkam.
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Von Stuttgart aus gab Herzog
Ulrich den Aufrührern 4 Tage Bedenkzeit, um den
Vertrag von Tübingen anzunehmen.
Diese Frist diente dem Herzog nur dazu,
bewaffnete Söldner zusammenzustellen. Die
Aufständischen ließen die Frist verstreichen.
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Etwa 1000 Aufständische
versammelten sich Mitte Juli auf dem
Beutelsbacher Kappelberg. Die Städte aus der Umgebung
liefern Lebensmittel, ein gewisser Wagenhans versucht in
Straßburg und Nördlingen Spieße und Büchsen zu kaufen.
Rainhard Gaisslin, der wortgewaltige Pfarrer von
Markgröningen und ideologische Kopf des 'Armen Konrad'
brachte geistige Nahrung. Das Heer der Aufständischen, so
verkündet er, sei unbesiegbar. Wörtlich sagt Gaisslin: "Wan
das gantz Rych dafü käme, sie schügen sie nit."
Erneut wurden alle ländlichen Gemeinden aufgefordert, sich
ihnen anzuschließen. Man wollte für den Kampf mit den
Herrschenden 30.000 Mann zusammenstellen. Herzog Ulrich
sollte gefangen genommen und vor Gericht gestellt werden.
Neben den forschen Worten breitete sich auch
Furcht vor der Rache des Herzogs im Heerlager auf dem Kappelberg
aus. Viele verließen das Lager, um sich wieder heimwärts zu
schleichen.
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Der
Aufstand wurde schließlich mit Hilfe der Truppen verbündeter
Fürsten niedergeschlagen.
Ende Juli
hatte Herzog Ulrich
1800 Söldner zusammengezogen. Das Widerstandsnest auf
dem Beutelsbacher Kappelberg löste sich auf.
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Schorndorf wurde von den Streitkräften
Herzog Ulrichs kampflos besetzt. Die wehrhaften Männer – es
waren über 3000 - sollten auf Geheiß des Herzog vor die
Stadttore kommen. Dort wurden sie von den Truppen des
Herzogs und befreundeter Fürsten eingekreist.
Danach wurden sie aufgefordert, den
Tübinger Vertrag
anzunehmen und dem Herzog zu huldigen. Als sich nichts
tat, wurden bestimmte Personen wurden aus der Menge
herausgezogen und festgenommen – die Zahl ging in die
Hunderte. Bald waren Gefängnis, die Türme und sogar das
Rathaus mit Gefangenen gefüllt.
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Anfang August 1514 hielt Herzog Ulrich Gericht , zuerst
in Schorndorf, eine Woche später auch in Stuttgart. Die
‚Empörerordnung‘
bildete die rechtliche Grundlage für die
Strafverfolgung. Die ‚Ehrbarkeit‘ der führenden Amtsbezirke
traten als Richter auf.
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- Vor den Toren Schorndorf ließ Herzog Ulrich 10
Rädelsführer des Aufstands hinrichten.
Von den
1.700 Gefangenen wurden viele gefoltert,
gepeitscht und gebrandmarkt. Andere wurden mit ihren
Familien verbannt. Nur wenige durften gehen, nachdem
sie auf den Tübinger Vertrag geschworen hatten.
Manche wurden mit Geldstrafen belegt.
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In Stuttgart wurden sechs Männer
hingerichtet. die Köpfe von zwei Hingerichteten
wurden auf einen Spieß gesteckt und ausgestellt.
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Viele Aufständische flohen außer
Landes, um sich der Strafverfolgung zu entziehen.
Diese, als "Ausgetretene"
bezeichneten Männer suchten Zuflucht in den
Freien Reichsstädten, wie etwa Esslingen,
Schwäbisch Gmünd oder Heilbronn. Manche flohen bis
in die Schweiz. Auch Peter Gais
floh zunächst ins Ausland. Ein Jahr später wird er
von der Herrschaft Limpurg bei Schwäbisch Hall
gefasst und ausgeliefert. Auch er bezahlte seinen
Einsatz für mehr Gerechtigkeit mit seinem Leben.
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- Der Aufstand des 'Armen Konrad' war nicht völlig
erfolglos. Im Tübinger Vertrag war festgeschrieben
worden, dass jeder Bürger seinen Wohnort frei wählen kann
und jeder Anspruch auf ein ordentliches Gerichtsverfahren
hat. Davon haben auch die armen Leute profitiert. Außerdem
hat der Herzog Wort gehalten und nach Absage des
Bauernlandtags Vertreter in alle Ämter geschickt. In einigen
Orten durften die Bauern die Wildschweine auf den Feldern
sogar schießen. Besonders korrupte Beamte wurden abgesetzt.
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Verhör unter Folter. Aus
Ulrich Tengler, Der neu Layenspiegel, Augsburg.
Vorlage: Bayerische Staatsbibliothek
Ein zeitgenössischer Holzschnitt.
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Schlussbemerkung |
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Vielleicht
fasziniert uns das so an dem Aufstand des Armen Konrad: dass
der unterdrückte und chancenlose Untertan sich dennoch erhob
und es einen Sommer lang schaffte, Württemberg in seinen
Grundfesten zu erschüttern.
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Die
Mitglieder des ‚Armen Konrad‘ verließen erstmals in der
Geschichte Württembergs ihre Rolle des
schweigenden Untertans.
Sie fügten sich nicht mehr in die angeblich gottgewollte
Weltordnung. Selbst am Ende des Aufstand, als man die
Anführer unter Folter zu Geständnissen zwang, blitzte dieses
Selbstbewusstsein
auf: „Wir wollten der Obrigkeit nit mehr haben“, gab einer
der Bauern dem Schreiber zu Protokoll, der direkt neben der
Streckbank saß.
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Geschichte ist manchmal voll himmelschreienden Unrechts. Die
reichen Bürger Württembergs haben es 1514 unter dem Druck des
Aufstands des ‚Armen Konrad‘ geschafft, mit Herzog Ulrich
den
‚Tübinger
Vertrag‘ auszuhandeln, in dem ihnen viele Rechte
zugestanden wurden – die Bauern dagegen gingen leer aus.
Viele bezahlten den
Einsatz für Freiheit und Menschenwürde mit dem Leben.
Vielleicht ist diese schmerzende Wunde einer der Gründe,
warum der ‚Arme Konrad‘ bis heute eine große Faszination auf
die Menschen ausübt.
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Viele Menschen
sehen im ‚Armen Konrad‘
Parallelen zur
Gegenwart, in der ebenfalls Kämpfe darum ausgetragen
werden, wie Bürger die Geschicke ihres Landes mitbestimmen
können. Im Mittelpunkt des Programms des ‚Armen Konrad‘
stand die politische Partizipation, die
Beteiligung der bislang nicht befragten ‚armen Leute‘ an
herrschaftlichen Entscheidungen. Beklagt wurden soziale
Missstände, aber auch Maßnahmen des Herzogs, die zu
Einschnitten der ‚alten
Rechte‘ führten.
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Schon in diesen Aspekten lassen sich
Parallelen zu unserer
Zeit erkennen: Die Forderungen nach mehr
Mitbestimmung bei Großprojekten wie ‚Stuttgart 21‘ oder der Protest
gegen teure Prestigevorhaben, wie der Volksentscheid gegen
die Olympia-Ausrichtung in Bayern.
Wie selten zuvor
wollen Bürger mehr als „nur“ wählen, nämlich gehört werden
und direkt an politischen Prozessen und Entscheidungen
beteiligt sein. Stuttgart hat gezeigt, dass sich die Bürger
gegebenenfalls auch zum
Widerstand gegen über ihren Kopf hinweg getroffenen Entscheidungen
formieren können. Eine breite Bürgerbeteiligung bietet
Chancen für Politik und Gesellschaft.
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Literaturangaben
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Schmauder, Andreas
|
Württemberg im Aufstand.
Der Arme Konrad. Schriften zur südwestdeutschen
Landeskunde, Band 21. Leinfelden-Echterdingen 1998
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Maurer, Hans-Martin
|
Der Aufstand des 'Armen
Konrad' - ein Überblick, in: Geschichte in
Verantwortung. Festschrift für Hugo Ott. Hrsg.: Hermann
Schäfer. Frankfurt 1996
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Maurer, Hans-Martin
|
Der Arme Konrad als
Schlüsselerlebnis württembergischer Geschichte, in: Der
Arme Konrad, hg. von Uwe Jens Wandel, Schorndorf 1991
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Cordes, Günter
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Die Überlieferung zum
'Armen Konrad'. In: Der Arme Konrad. hg. von Uwe Jens
Wandel, Schorndorf 1991
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Fritz, Gerhard
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Der Arme Konrad in
Großbottwar und Murrhardt, in: Der Arme Konrad, hg. von
Uwe Jens Wandel, Schorndorf 1991
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Ille-Kopp, Regina
|
Die Teilnehmer am
Aufstand des Armen Konrad 1514 in Württemberg, in: Der
Arme Konrad, hg. von Uwe Jens Wandel, Schorndorf 1991
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Weller, Karl und Arnold
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Württembergische
Geschichte im südwestdeutschen Raum. Stuttgar/Aalen 1970
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Auge, Oliver und Kühnle,
Nina
|
Zwischen "Ehrbarkeit"
und Landesherrschaft. In 'Zeitschrift für
Württembergische Landesgeschichte'. 71. Jahrgang,
Stuttgart 2012.
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Stadt Fellbach (Hg.)
|
500 Jahre Armer Konrad - "Der
Gerechtigkeit einen Beistand thun". 2014
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www.dgf-magazin.de/index.php/magazin/infothek/geschichte
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Der Arme Konrad. 2013
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Stand: 23.01.2019
Copyright © 2019 Geschichts- und Kulturverein Köngen
e.V.
Autor: Dieter Griesshaber
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