Die Römer in
Südwestdeutschland
Der Untergang der römischen
Republik und die Regierungszeit des Kaisers Augustus (44 v.Chr. - 14 n.
Chr.)
Römische Geschichte zur
Zeit der Kaiser Domitian, Nerva und Trajan (81 - 117 n. Chr.)
Römische Geschichte zur
Zeit der Kaiser Hadrian und Antoninus Pius (117 - 161 n.Chr.)
Römische Geschichte zur
Zeit der Kaiser Marc Aurel und Commudus (161-192 n.Chr.)
Der Aufbau des römischen
Staats
Das Heer während der römischen
Kaiserzeit
Römische Religion und
Philosophie
Römische Literatur
Entstehung und Ausbreitung
des Christentums
Entwicklung des
Christentums von Kaiser Konstantin I. bis zum Untergang des
weströmischen Reiches (306 - 476)
Römische Medizin
Münzsystem und Fernhandel im
Römischen Reich
Das Weiterleben der
römischen Kultur
Römisches Recht
Römische Sprichwörter
und Lebensregeln
Das Geheimnis um den Ort
Grinario
Das römische Kastell in
Grinario
Das Dorf Grinario
Die Menschen im Dorf
Grinario
Ausgrabungen im heutigen
Köngen
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1782 - 1784
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1782
machte der Köngener
Oberamtmann Johann Eberhard Roser
(1740-1789) seinem Herrn, dem
Herzog Karl Eugen von Württemberg
"die submiheste Anzaige" von Münzfunden auf den "hießig
so genannten Burg-Äkern". Er berichtet, "dass dem
Vernehmen nach auf besagten Äckern von Zeit zu Zeit,
besonders während dem Pflügen von denen Bauren
meistentheils silberne und kupferne Münzen mit den
Brust-Bildern derer Kaißer Trajan und Hadrian
angetroffen" worden seien.
Gerade vor einigen Tagen, so berichtet Roser dem Herzog,
habe eine arme Tagelöhnerfrau in Köngen auf dem ‚Burgfeld‘
eine Goldmünze des Kaisers Antoninus Pius
gefunden und ihm übergeben. In Köngen, so fährt Roser in
fort, bestehe die Überlieferung, dass sich auf den
'Burg-Äkern' eine alte Stadt befunden habe. In seiner
Antwort auf dieses Schreiben erteilte Herzog Carl Eugen
den Auftrag nach Ruinen und Münzen graben zu lassen.
Die Grabungen
wurden auf Antrag Rosers auf den Herbst 1983 verschoben,
um den Bauern nochmals eine Bestellung ihrer Felder zu
ermöglichen.
Roser deckte nun in den Jahren
1783
und
1784
verschiedene
Teile der römischen Siedlung (Gebäude,
Straßen) auf. Entlang der Südweststraße nach Rottenburg
wurde eine Reihe von vierzehn Steinkellern ausgegraben.
Auch im Kastell grub Roser, allerdings ohne es als
solches zu erkennen.
Von
1783
bis 1786 schickte der Oberamtmann regelmäßig die
wertvolleren Funde, darunter eine
Goldmünze und 91
Silber- und 144 Bronzemünzen sowie Gemminge und
Steinskulpturen nach Stuttgart, den Rest bewahrte er in
seinem Dienstsitz, dem Schloss in Köngen, auf. Die im
Schloss gelagerten Fundstücke müssen so sensationell
gewesen sein, dass sie 1784 von Herzog Karl Eugen
besichtigt wurden.
Franziska von Hohenheim notierte in ihrem
Tagebuch: "Beim Zurückweg (von Kirchheim) so stieg man
bei Könken ab und besah die Alderdemer, die da
ausgegraben wurden, auf dem nehmlichen Platz, ging dann
auch in das Schloss und kam um 7 Uhr hier (Hohenheim)
wieder an."
Aus den Münzen schloss Roser, dass hier eine römische Siedlung bis zu
den Alamanneneinfällen im 3. Jahrhundert n. Chr.
bestanden hatte.
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Im Zusammenhang mit den
Ausgrabungen in den Jahren 1783 und 1784 soll
auf einen Artikel hingewiesen werden, den der
Archäologe Herr Dr. Martin Luik
(Ludwig-Maximilians-Universität München,
Institut für Vor- und Frühgeschichtliche
Archäologie und Provinzialrömische Archäologie)
in der Zeitschrift "Denkmalpflege in
Baden-Württemberg" (Heft 2 | 2013)
veröffentlicht hat. Der Titel der Abhandlung
heißt:' "... sondern man muss auch auf ihre
Erhaltung sinnen ...". Zum Beginn der
didaktischen Präsentation von archäologischen
Ausgrabungen in Südwestdeutschland.' Der
Inhalt des Heftes kann
hier aufgerufen werden. Im
folgenden haben wir die Forschungen von
Herrn Dr. Luik, soweit sie sich auf die
Funde in Köngen beziehen, zusammengefasst:
Bei neueren Forschungen hat sich gezeigt, dass
das Schloss in Köngen ehemals
eines der ältesten archäologischen
Museen Baden-Württembergs beherbergte.
Die Ausgrabungen in Köngen 1783 und 1784 hat
Herzog Carl Eugen von
Württemberg mehrmals besucht, wie das
Tagebuch der Gräfin Franziska von
Hohenheim eindeutig belegt. Daraus kann
sicherlich ein gewisses Interesse des Herzogs an
den dortigen Funden abgeleitet werden.
Die geborgenen Funde hatten dem abschließenden
Grabungsbericht zufolge einen
beachtlichen Umfang erreicht. Während die Münzen
dem Berichtsschreiben beigelegt wurden und so in
das Münzkabinett gelangten, sind die übrigen
Funde, also weitaus die meisten, offenkundig
zunächst am Ausgrabungsort verblieben. In dem
Bericht wird erwähnt, dass man eigens im Schloss
einen Saal mit römischen Antiquitäten
eingerichtet habe, der jedoch für Besucher
verschlossen sei. Als Grund für dieses Verhalten
nennt der Schreiber, dass man zunächst den
Besuch des Herzogs und seine weiteren
Entscheidungen abwarten wolle. Außerdem werden
Gerüchte erwähnt, der Herzog "wolle auf der
Grabungsstelle ein Haus erbauen, und alle
gefundenen Merkwürdigkeiten dahin bringen
lassen." In der Topographischen Geschichte des
Herzogtums Württemberg, die der herzogliche
Archivar Christian Friedrich Sattler
(* 1705, † 1785) im Jahre 1784
veröffentlicht hat, ist zu lesen: "Doch haben
seine regierende Herzogliche Durchlaucht die
gnädigste Anstalt gemacht, dass ein
besonderes Haus gebaut werden solle,
worin die gefundenen Altertümer dieser Stadt
aufbewahrt werden können." Vermutlich dieses
Gebäude in der unmittelbaren Umgebung des
Schlosses entstehen. Über die Gründe, warum
dieser Plan nicht weiter verfolgt wurde, kann
nur spekuliert werden. Die Sprunghaftigkeit, mit
der Herzog Carl Eugen seine Aufmerksamkeit rasch
wechselnden Vorhaben zuwandte und die
heraufziehende Französische Revolution mögen
dafür ausschlaggebend gewesen sein.
Noch im Jahr 1794 waren im Schloss Köngen die
meisten Funde ausgestellt, wie ein Inventar
bezeugt, das vom damaligen Oberamtmann E.F.
Steck angefertigt wurde.
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Leider gingen
die Funde aus Rosers Grabungen nach und nach
verloren. Viele Fundstücke wurden zu einem nicht
bekannten Zeitpunkt nach Stuttgart abtransportiert,
wo sie heute Bestandteile der Sammlungen im
Landesmuseum Württemberg sind. Nach dem Tode des
Herzogs ließ der Grabungseifer nach. Ein Zeitgenosse
(Ph. L. Röder) schreibt im Jahr 1820:
"Dieses
wirtembergische Pompeji
wurde nicht erhalten. Die Gebäude
sind zugeworfen und der Platz zu Äekern gemacht
worden."
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Die Ausgrabungen in Köngen
wurden jedoch nicht vergessen.
Gustav Schwab
(1792 - 1850), Mitglied des "Schwäbischen
Dichterkreises" schreibt 1823 in seiner Schrift
'Neckarseite der Schwäbischen Alb: "In dem Dorfe
Köngen selbst wird die Ausbeute merkwürdiger
Ausgrabungen aus dem römischen Altertum, die
hier im Jahre 1783 gemacht worden sind,
aufbewahrt. ... Wer Zeit hat einen Tag in
Kirchheim von der Albreise auszuruhen, den wird
dieser kleine Abstecher nach Köngen nicht
gereuen (sie sollen jetzt nicht mehr dort sein.
Jan. 1823)"
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1843 - 1844
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Zu Beginn der vierziger
Jahre begannen sich die Funde aus der Römerzeit wieder
zu häufen. Dies veranlasste den württembergischen
Landeskonservator Eduard Paulus d. Ä.
die
Grabungen wieder aufzunehmen. Er entdeckte u.a. ein
Schlachthaus, bei dem noch die Fleischerhaken erhalten
waren.
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1874
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Durch Grabungen von
Eduard Paulus d. J. wurde zum ersten Mal deutlich,
welche tatsächliche Ausdehnung die römische Siedlung
hatte. Bei Grabungen stieß man auf einen römischen
Brunnenschacht, in dem ein großer Hängekessel und ein
Sieb, beide aus Bronze, gefunden wurden.
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1882
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Der Stuttgarter
Archäologe Konrad Miller untersucht, zusammen mit
seinen Schülern, den römischen Friedhof. Dabei wurde
eine Umfassungsmauer entdeckt, die 51 m lang und 36,4 m
breit war. 54 von 500 geschätzten Gräbern wurden
freigelegt.
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Miller schreibt:
" Am 1. Mai kam ich ... durch Köngen und
erkundigte mich, ob auf dem Burgfeld keine neuen
Funde gemacht worden seien. Nein, sagte der
Gefragte, aber gleich beim Ort hat letzthin ein
Schreiner ein steinernes "Sautrögle"
ausgeackert. Das war natürlich ein Sarkophag;
... wir liessen und den mit Korn bepflanzten
Fundort zeigen, um nach beendigter Ernte ... die
Ausgrabung zu beginnen."
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1885 - 1886
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Der pensionierte
Generalstabschef des württembergischen Heeres,
Eduard
von Kallee, erkennt Fundamente und Straßenzüge als
Überreste eines römischen Kastells. Er erkundete den
Platz seiner Grabungen allein durch Kombination
militärstrategischer Erwägungen. Es gelang ihm, die
Reste der Umfassungsmauern des Kastells und einen Teil
der Wehrtürme freizulegen. Von dem
südwestlichen
Eckturm mit seinen gut erhaltenen Mauerresten
fertigte er zahlreiche Zeichnungen. Kallees Vorhaben,
das Stabsgebäude näher zu untersuchen, zerschlug sich,
nachdem die betroffenen Bauern eine hohe Entschädigung
für den Ausfall ihrer Ernte verlangt hatten.
Einem 1886 in Esslingen gebildeten Komitee, dem auch
R.A. Cammerer, der spätere 1.
Vorsitzende des Schwäbischen Albvereins angehörte,
gelang es, das Gelände in Köngen aufzukaufen und die
Fundamente der Lagermauer und des Turmes zu
restaurieren.
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Aquarellzeichnung der Eckturmreste (Eduard von
Kallee, 1885)
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1896
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Die im Jahre 1892
gegründete Reichslimeskommission führt unter der Leitung
von Adolf Mettler
und F. Hettner
systematische Grabungen auf dem Kastellgelände durch.
Durch Grabungen im Innenbereich erhoffte man sich
Aufschlüsse über die Orientierung des Kastells und die
Lage der Gebäude.
Teile der Lagermauer und der rückwärtigen Lagerfront,
der nördliche Eckturm sowie das Nordost- und Südwesttor
wurden aufgedeckt. Außerdem wurden große Teile der
Straßen innerhalb des Kastells freigelegt.
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Mit der Gründung der
Reichslimeskommission durch Theodor
Mommsen im Jahr 1892 wurde die römische
Forschung systematisiert. Der
Obergermanisch-Raetische Limes konnte
durch die Ausgrabungen der Streckenkommissare in
seinem Verlauf festgelegt werden und nahezu alle
Kastelle und Wachturmstellen wenigstens
angegraben oder im Gelände aufgenommen werden.
Ein 14bändiges Werk gibt Zeugnis von den
Bemühungen der Reichslimeskommission, das zum
großen Teil aus der Feder von deren wichtigstem
Vertreter, dem Freiburger Professor
Ernst Fabricius, stammte.
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1899 - 1901
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Veranlasst durch eine auffällige
Häufung von Funden durch die Bevölkerung nahm
Adolf Mettler
1900 seine Nachforschungen wieder auf. Es gelang ihm, ein
ungefähr sieben auf zehn Meter großes Mauerwerk zu
rekonstruieren, das aufgrund seiner Bauinschrift als
Jupiterheiligtum zu deuten ist.
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Im September 1899 stieß
der Kaufmann W. Deuschle rund 229 m südwestlich des
Kastells in geringer Tiefe auf den Kopf eines
jugendlichen Genius. Im Januar 1900 fand ein Bauer
auf seinem Acker unmittelbar vor dem Südwesttor des
Kastells einen Meilenstein aus der Regierungszeit Kaiser
Hadrians. Weitere Funde schlossen sich an, darunter die
Bauinschrift
für ein Jupiterheiligtum und ein
Altarstein, auf denen jeweils der antike Ortsname
Grinar...
für die römische Siedlung genannt wird.
Dies ermöglichte die zweifelsfreie Gleichsetzung mit dem
auf der Peutingertafel genannten
Grinarione
(siehe auch die Seite
'Der Name
Grinario')
Der 1895 zum Streckenkommisar der Reichslimeskommission
ernannte Prof. Eugen Nägele vermachte
im Jahr 1901 das Gelände dem Schwäbischen Albverein. Im
Übergangsvertrag wurde formuliert, dass der Kastellturm
und die Mauer wieder hergerichtet werden sollen.
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1910/11
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Wiederaufbau des
südwestlichen Eckturm auf Kosten des
Schwäbischen
Albvereins. Treibende Kraft
für den Wiederaufbau war der Köngener Schulleiter und
Ehrenbürger Johannes Kauder.
Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wird am 10.
Dezember 1911 der wieder aufgebaute Kastellturm
eingeweiht.
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Ausgrabung eines
römischen Inschriftensteins
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1967
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Entdeckung eines Münzschatzes
in der Nähe des Kastellgeländes.
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Im Frühjahr 1967 konnte der Abtransport eines
irdenen Gefäßes mit 615 römischen Münzen
auf eine Müllhalde gerade noch verhindert werden. Das
Gefäß war in einem römischen Keller südwestlich des
Kastells entdeckt worden, ohne dass man zunächst seinen
Wert zu erkannte. Bewohner Grinarios hatten den
'Münzschatz' wohl eilig vor den anrückenden
Feinden vergraben und anschließend keine Gelegenheit
gefunden, ihr Eigentum wieder abzuholen.
Der Schatz, der das zu seiner
Verwahrung verwendete Gefäß nicht ganz zu zwei Dritteln
ausfüllte, bestand
aus Denaren und Antoniniani.
Die Denaren waren bis in die Zeit um 238
/240 n. Chr. das gängige Nominal.
Die ‚Antoniniani‘ waren
214 n. Chr. neben den Denaren eingeführt worden. Sie
enthielten eineinhalb Mal so viel Silber wie die Denare,
hatten aber den Nennwert von zwei Denaren.
Untersuchungen des Münzschatzes ergaben, dass die Denare
zwischen 238 und 246 n. Chr., die
Antoniniani im Jahr 216 geprägt wurden.
Abgesehen von einem ganz isoliert dastehenden, völlig
abgeschliffenen und deformierten Legionsdenar des Marcus
Antonius aus dem Jahr 32/31 v. Chr. handelt es sich
um Prägungen von
insgesamt 23 Kaisern und weiteren Angehörigen des
jeweiligen Herrscherhauses aus der Zeit von 181 bis 246
n. Chr. Aufgrund des ziemlich abrupten Abbrechens im
Jahr 246 n. Chr. kann man annehmen, dass die Vergrabung
des Schatzes nicht allzu lange nach diesem Zeitpunkt
erfolgt ist.
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1976
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Beim Bau des Hotels
"Römerkastell" rund 270 m südwestlich des Kastells am Abhang zum
Neckartal wird das Teilstück eines großen
Mithrasreliefs entdeckt.
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1977
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Das
Köngener Kastellgelände
wird nach jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen der Gemeinde
Köngen und dem Staatlichen Amt für Denkmalpflege unter
Denkmalschutz gestellt.
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Bereits in den
fünfziger Jahren
setzte die Überbauung des gesamten
Vicusgeländes (des Geländes des ehemaligen Dorfes
Grinario) ein. Mit Hilfe größerer Grabungen sowie durch
Baustellenbegehungen gelang es der Denkmalpflege, sich
wenigstens ein grobes Bild vom römischen Köngen zu
verschaffen. Ein Großteil der römischen
Hinterlassenschaften wurde leider unkontrolliert
zerstört. Auch das Gebiet des Kastells sollte zur
Bebauung freigegeben werden. Dieses Vorhaben der
Gemeinde Köngen scheiterte am Einspruch des Staatlichen
Amtes für Denkmalpflege und seiner Nachfolgebehörde.
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3.6.1988
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An diesem Tag wurde der
Römerpark in Köngen der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht. Die Größe des Lagers wurde markiert und die
bisher ergrabenen Innenbauten durch Bodenplatten
markiert. Das Kernstück des Römerparks ist ein
Museumspavillon. Hier erhält der Besucher anhand von
Schautafeln, Rekonstruktionszeichnungen, Plänen und
Karten verbunden mit einer repräsentativen Auswahl von
originalen Funden einen Einblick in die politische und
wirtschaftliche Stellung des antiken Ortes.
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Nach der Idee des
Architekten hat sich auf dem Kastellgelände eine
Erdscholle - das grasbewachsene Dach des Museums - ein
wenig angehoben, um dem neugierigen Freund der Römer
Einblick zu gewähren.
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Juli - September 2006
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Beim
Ausbaggern der Baugrube für ein privates Wohnhaus in der Nähe
des Römerkastells im Juli 2006 stieß man auf
römische
Mauerreste. Die erste Vermutung, es könne sich um die schon
lange gesuchte Straßenstation
(Kombination aus
Pferdewechselmöglichkeit, Gasthaus und Polizeidienststelle)
handeln, stimmt wohl nicht. Die bisherigen Ausgrabungen (Stand
19.09.2006), die sich auf eine 6 Ar große Grundstücksfläche
erstrecken, deuten auf einen Betrieb hin, in dem der zum Backen
von Brot verwendete Dinkel getrocknet und aufbewahrt wurde. Die
zwei mit doppelten Mauerreihen umgebenen "Räume"
(Darren)
wurden jeweils von einer Feuerstelle aus über einen Kanal mit
Warmluft versorgt.
Der Zeitraum, in dem das Gewerbe betrieben
wurde, reicht von der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts
unserer Zeitrechnung bis in die Mitte des dritten
Jahrhunderts. Das 'Unternehmen' war wahrscheinlich noch in
Betrieb, als die römischen Soldaten das Köngener Kastell bereits
verlassen hatten, das Dorf (vicus) Grinario jedoch weiter
bestand. Bei den Grabungen wurden bisher mehrere Tonscherben aus
Terra Sigillata, zwei römische Münzen, einige Schreibgriffel
sowie Reste eines schön gearbeiteten Glaskrugs gefunden. Unter
den Kleinfunden, die ans Tageslicht befördert worden sind, ragt
eine Statue der sitzenden Göttin Herakura hervor. Die
hervorragend erhaltenen Pflastersteine des römischen Anwesens
lassen die Fachleute ins Schwärmen geraten.
Unter der steinernen Bebauung ist das aus
Archäologen der Denkmalpflege des Regierungspräsidiums Stuttgart
und aus mehreren Freiwilligen bestehende Grabungsteam auf Spuren
einer vorausgegangenen Besiedlung gestoßen. Unter anderem
beweisen die Reste eines Brunnens und einer Latrine davon, dass
schon vor Errichtung des römischen Kastells (95 n. Chr.)
auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde Köngen (wahrscheinlich
keltisches) Leben geherrscht hat.
Die Grabungen können aufgrund einer
Vereinbarung der archäologischen Denkmalpflege mit dem
Grundstückseigentümer noch bis Anfang Oktober 2006
fortgesetzt werden.
Über den Fortgang der
Ausgrabungen und neue Erkenntnisse werden wir berichten.
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Teilstück des
Ausgrabungsgebiets: Trockenraum (Darre). Vorne
der Kanal für die Warmluftzufuhr.
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Münze mit der Abbildung
von Kaiser Hadrian, datiert auf 125 n. Chr.
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Tonscherbe
(Verzierung einer Schale oder eines Krugs)
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Juni 2016 |
Auszug aus den Stiftungsnachrichten
(01/2016) der 'Förderstiftung Archäologie in Baden-Württemberg':
"Aus dem Siedlungsgebiet des Vicus Grinario wurden in
den vergangenen Jahrzehnten wiederholt Teilstücke eines
Grabensystems nachgewiesen. Besonders bei den
Ausgrabungen der Jahre 1977 und 1793 zeigte sich eindeutig die
frühe Zeitstellung dieses Grabens. Inzwischen ist klar, dass
dieser Befund in die römische Epoche datiert
werden muss, da es sich um einen Spitzengraben handelt. Die
wissenschaftliche Bearbeitung der Befunde und
Funde aus diesen verschiedenen Beobachtungen wird derzeit
durchgeführt. Inzwischen wurden die Unterlagen der Grabungen
1965/66, 1977 und 1993 gesichtet. Bei den Funden wurden die
chronologisch besonders wichtigen Fundgruppen wie die Münzen,
die Fibeln, die Reliefsigillaten und die glatten Sigillaten
vollständig aufgenommen, während bei den übrigen Fundgattungen
eine Auswahl erfolgen musste.
Auf dieser Grundlage soll ein neuer Gesamtplan
erstellt werden, in dem sämtliche relevanten Befunde eingetragen
sind. Die wichtigen Befunde werden derzeit von einer Fachkraft
für die Publikation umgezeichnet. Auch die Dokumentation
des Fundmaterials läuft gerade.
Die wissenschaftliche Deutung dieser
Grabenanlage bleibt schwierig. Von den verschiedenen
Möglichkeiten ist eine Deutung als frühe Vicusbefestigung am
unwahrscheinlichsten, nachdem eine derartige, ebenfalls früh zu
datierende Befestigung viel weiter nördlich (Grabung 1979)
nachgewiesen wurde, dort jedoch völlig anders konstruiert war.
Der Beginn der römischen Okkupation in Südwestdeutschland wirft
nach wie vor zahlreiche Fragen auf, nachdem militärische
Anlagen dieses Zeitabschnitts im mittleren Neckargebiet
nach wie vor fehlen. Aber auch Annexkastelle sind im heutigen
Süddeutschland nach wie vor sehr selten nachgewiesen.
Das Projekt wird durchgeführt von Dr.
Martin Luik, Jahrgang 1961, Studium der
Provialrömischen Archäologie, Vor- und Frühgeschichte, Alten
Geschichte, Klassischen Archäologie in München und Tübingen.
Promotion über das römische Köngen. Derzeit Professur an der LMU
München."
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