DDR 1971 - 1989

 

 

 

 

 

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Inhalt

 

Die Welt des späten Mittelalters (1250 - 1400)

Das Ende der Luxemburger und der Aufstieg der Habsburger Kaiserdynastie (1400 - 1517)

Die Reformation von Luthers Anschlag der 95 Thesen bis zum Wormser Reichstag (1517 - 1521)

Der Dreißigjährige Krieg (1618 - 1648)

Vom Westfälischen Frieden (1648) bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen (1740)

Der Aufstieg Preußens zur europäischen Großmacht (1740 - 1763)

Die Französische Revolution bis zum Ende der Diktatur Robespierres (1789 - 1794)

Deutschland in der Zeit der Französischen Revolution und der Herrschaft Napoleons (1789 - 1815)

 Restauration und Revolution (1815 - 1830)

Monarchie und Bürgertum (1830 - 1847)

Die Revolution von 1848/49

Von der gescheiterten Revolution 1848 bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1871

Die Innen- und Außenpolitik Bismarcks (1871 - 1890)

Das Deutsche Kaiserreich von 1890 bis zum Ausbruch der Ersten Weltkriegs 1914

Die Industrielle Revolution in England und Deutschland (1780 - 1914)

Europäischer Kolonialismus und Imperialismus (1520 - 1914)

Der Erste Weltkrieg (1914 - 1918)

Der Weg zur Weimarer Republik 1918 - 1919

Der Kampf um die Staatsgewalt in der Weimarer Republik (1919 - 1933)

Die Machtübernahme der NSDAP und die Errichtung der Diktatur Hitlers (1933 - 1939)

Der Zweite Weltkrieg (1939 - 1945)

Der Weg in die Teilung Deutschlands (1945 - 1949)

Der Kalte Krieg: Vom Kriegsende 1945  bis zum Bau der Berliner Mauer 1961

Die Ära Adenauer (1949 - 1963)

Die Kanzlerschaft Ludwig Erhards 1963 - 1966

Kalter Krieg Teil 2: Von der Kubakrise 1962 bis zur Auflösung der Sowjetunion 1991

Die Zeit der Großen Koalition 1966 - 1969

Die Ära Brandt (1969 - 1974)

Die Kanzlerschaft Helmut Schmidts (1974 - 1982)

Die Kanzlerschaft Helmut Kohls von 1982 bis 1987

Die Kanzlerschaft Helmut Kohls von 1987 - 1989

Der Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands (Teil I: Die DDR von den siebziger Jahren bis zum Fall der Mauer im Jahr 1989)

Vom Fall der Berliner Mauer bis zur deutschen Einheit (1989 - 1990)

 

 

 
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Reformbewegungen im Ostblock     Innere Unruhe in der DDR     Zusammenbruch des SED-Regimes     Literaturhinweise


Die DDR im Zeichen der Ost-West-Entspannung (1971 - 1982)


  • Innerdeutsche "Normalisierung"
 
  • Im Grundlagenvertrag vom 21.Dezember 1972 vereinbarten die Bundesrepublik und die DDR "normale gutnachbarliche Beziehungen zueinander auf der Grundlage der Gleichberechtigung". Dieser Vertrag wurde - mit kleinen Abstrichen - von beiden Staaten erfüllt.

 
  • Aus der Sicht der DDR blieben die innerdeutschen Beziehungen ein Teil der "globalen Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus". Eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten hielt die DDR-Führung nur bei einer sozialistisch geprägten Bundesrepublik für möglich.

  • Die Abgrenzungspolitik der DDR
 
  • Die Fülle der Vereinbarungen, die in den Jahren 1971 bis 1973 zwischen der BRD und der DDR getroffen wurden, hatte für die DDR-Führung nicht erwünschte Folgewirkungen. Während 1970 nur etwa 2 Millionen Menschen aus der BRD und Westberlin die DDR und Ostberlin besuchten, stieg diese Zahl 1973 auf 8 Millionen an. Die Zahl der Telefongespräche zwischen den beiden deutschen Staaten explodierte. In der DDR-Führung wuchs die Sorge, dass die Zunahme der persönlichen Kontakte sich negativ auf den inneren Zusammenhalt der DDR auswirken könnte.

 
  • Schon im Herbst 1970 hatte der Ministerpräsident der DDR, Willi Stoph, die These aufgestellt,  "angesichts des Gegensatzes der Systeme, des Staates und der Gesellschaft" sei "ein objektiver Prozess der Abgrenzung, nicht dagegen der Annäherung unausweichlich".

Partei- und Staatsfunktionären sowie Wehrpflichtigen wurde es seit 1970 untersagt, Kontakte zu Ausländern, zu denen auch die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik gerechnet wurden, zu unterhalten. In einem "Besucherbuch" waren die Namen derjenigen zu notieren, die nicht aus der DDR stammten und DDR-Bürger in ihren Wohnungen aufsuchten.

 
  • Im Herbst 1972 beschloss das SED-Politbüro neue Prinzipien für Agitation und Propaganda. Werner Lambertz, Mitglied des Politbüros, erklärte, dass es "an der ideologischen Front keinen Waffenstillstand, sondern verschärften Kampf" geben solle.

 
  • Eine besondere Form der Abgrenzung war die flächendeckende Kontrolle der DDR-Bevölkerung durch den Staatssicherheitsapparat. Nach der Entspannung zwischen Ost und West seit 1972 verzeichnete der Etat des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) hohe Zuwachsraten. Die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter dieses Ministeriums verdoppelte sich von 1972 bis 1989 (1989: 91.000). Darüber hinaus leisteten "Inoffizielle Mitarbeiter" (1989: 173.000) einen wesentlichen Beitrag zur Bespitzelung der DDR-Bevölkerung.

  • Die Maßnahmen der Staatssicherheit (Stasi) konnten nicht verhindern, dass Schriftsteller, Künstler und Oppositionsgruppen in der DDR das Klima der Entspannung zwischen Ost und West zum Anlass nahmen, auch im eigenen Lande eine Lockerung der strengen Zensur und Überwachung zu fordern. Bis zum Beginn der Entspannungspolitik in den frühen siebziger Jahren hatte es staatliche Repressionen unterschiedlichen Grades gegen Kritiker (Wolfgang Harich, Stephan Heym, Christa Wolf, Robert Havemann, Wolf Biermann u. a.) gegeben.

 

Wolf Bierman (* 15.11.1936)

Sänger, Schriftsteller, DDR-Oppositioneller

Im Mai 1973 gestand der SED-Parteichef den Intellektuellen, Schriftstellern und Künstlern "ein weites Feld für künstlerische Kreativität" zu. Die Grenzen der Entfaltungsmöglichkeit wurden jedoch sichtbar, als Wolf Biermann nach einer Konzertreise in die Bundesrepublik nicht wieder in die DDR einreisen durfte. Die Proteste vieler Prominenter wie Stephan Hermlin, Christa Wolf, Stefan Heym, Jurek Becker, Heiner Müller, Sarah Kirsch und Fritz Cremer brachten auch für diese Schikanen mit sich. Andere Kritiker wurden ausgebürgert oder erhielten langfristige Ausreisegenehmigungen.

  • In den siebziger Jahren begann vor allem die evangelische Kirche damit, sich gegen ihre Diskriminierung durch den Staat aufzulehnen. In ihren Gotteshäusern veranstaltete sie Diskussionen über Themen, die hauptsächlich junge Menschen berührten (z.B. Sexualität, Alkoholismus, das Leben in der DDR, Militarisierung der Gesellschaft). Die Kirche wurde Teil der Oppositionsbewegung. Auch als Erich Honecker, der Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und gleichzeitig Vorsitzender des Staatsrats der DDR, im Frühjahr 1978 die Kirche als "eine autonome Organisation von sozialer Bedeutung" anerkannte, blieb sie wichtiger Angelpunkt der Opposition. Ein Beispiel ist die 1979 und 1980 öffentlich geübte Kritik am Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan.


DDR 1971 - 1982     Innere Unruhe in der DDR     Zusammenbruch des SED-Regimes     Literaturhinweise


Der Einfluss der Reformbewegungen im Ostblock auf die innere Entwicklung der DDR


  • Die politische Entwicklung in Polen
 
  • Im Sommer 1980 brachten Arbeiterunruhen auf den Werften von Danzig und Gdingen die unabhängige Gewerkschaftsbewegung "Solidarität" hervor. Aus ihr heraus wurde im September 1980 der gleichnamige unabhängige Gewerkschaftsverband gegründet. Diese Entwicklung bedeutete eine Bedrohung der etablierten kommunistischen Parteiherrschaft in allen Staaten des Ostblocks.
 
  • Durch die Entwicklung in Polen schien für die SED-Führung die innere Stabilität der DDR gefährdet. Am 30. Oktober 1980 hob die Regierung in Ost-Berlin den visafreien Verkehr zwischen der DDR und Polen auf und erließ für den Reiseverkehr zwischen den beiden Staaten strenge Auflagen.
  Die Abschirmung der DDR gegen den Westen wurde nun durch die Abgrenzung gegenüber dem Osten ergänzt. Der Prozess der Selbstisolierung der DDR begann.
 
  • Am 13. Dezember 1981 wurde mit der Verhängung des Kriegsrechts durch General Jaruzelski in Polen auch jede Tätigkeit der Gewerkschaft "Solidarität" untersagt. Nach der Aufhebung des Kriegsrechts im Juli 1983 ließ General Jaruzelski in Polen ein Maß an Freiheit und politischem Pluralismus zu, das in anderen kommunistischen Ländern noch unbekannt war. Auch die Solidaritätsbewegung konnte ihre Tätigkeit fortsetzen.
  • Die politische Entwicklung in Ungarn
 
  • In Ungarn hatte die Strategie des Chefs der Kommunistischen Partei, Janos Kádar, ökonomische Reformen ohne gleichzeitige politische Liberalisierung durchzuführen, zu keinem wirtschaftlichen Erfolg geführt. Nach intensiven Auseinandersetzungen mit politischen und wirtschaftlichen Kreisen in den Jahren zwischen 1982 und 1984 wurde Kádár schließlich dazu gezwungen, die unternehmerische Freiheiten zu stärken und dem Prinzip der persönlichen Verantwortung für wirtschaftliche Leistung zuzustimmen. Auch das Wahlgesetz wurde liberalisiert. Das Streben Ungarns nach Eigenständigkeit innerhalb des Ostblocks war unübersehbar.
 
  • Nach der Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen, die nach dem Einmarsch von sowjetischen Truppen in Afghanistan im Dezember 1979 eintrat, blieben die DDR und Ungarn aus wirtschaftlichen Gründen auf die während der Ära der Entspannung geknüpften Westkontakte angewiesen. Um ein gemeinsames Vorgehen möglich zu machen, unterstützte die SED-Führung das Streben Ungarns nach mehr Eigenständigkeit.
  Erich Honecker verbündete sich mit Ungarn zu einer Zeit, als dieses Land bereits einen Kurs innerer Reformen und der Öffnung nach außen eingeschlagen hatte. Dies trug später wesentlich zum Sturz der SED-Regierung bei.
  • Die Reformpolitik in der Sowjetunion
 
  • Bis zum Amtsantritt Michail Gorbatschows als Generalsekretär der Kommunistischen Partei am 11. März 1985 war die Sowjetunion von der Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei geprägt, die ihren diktatorischen Einfluss auf alle Bereiche ausgedehnt hatte und nicht nur die Politik und das Militär, sondern auch die Wirtschaft und die Gesellschaft bestimmte. Aus dieser Tatsache resultierte eine Inflexibilität, die den Anforderungen der Zeit nicht mehr entsprach. Die Volkswirtschaft war schwach und durch hohe Militärausgaben belastet.

 

Michail Gorbatschow, * 2.3.1931, † 30.8.2022. Von März 1985 bis August 1991 Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, von 1990 bis Dezember 1991 Präsident der Sowjetunion.

picture-alliance/dpa

 
  • Die unter den Leitbegriffen 'Perestroika' (Umgestaltung) und 'Glasnost' (Transparenz, Offenheit) betriebene Reformpolitik Gorbatschows richtete sich zunächst nur gegen Korruption und Trunksucht, wurde jedoch, weil man im Zuge dieser Kampagnen ein riesiges Ausmaß von Missständen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft erkannte, stark ausgeweitet. Die Missstände waren durch Einzelmaßnahmen nicht mehr zu beseitigen.

  • Mit der "Perestroika" sollte eine Differenzierung und Regionalisierung der Entscheidungen und Handlungsabläufe erreicht werden. Von dieser Umgestaltung des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systems erwartete man sowohl ein höhere Kreativität als auch eine Stärkung von Eigenverantwortlichkeit und individueller Leistung.

Die begrenzte Privatisierung von Betrieben sowie die Einführung von marktwirtschaftlichen Elementen untergruben das System der Planwirtschaft und zogen teilweise chaotische Zustände nach sich. Die Demokratisierung der Gesellschaft, die Mitte 1988 in die Reformpolitik aufgenommen wurde, unterhöhlte die Herrschaft der kommunistischen Partei und damit den Kern des politischen Systems in der Sowjetunion. Die Reformen entwickelten eine Eigendynamik, die nicht mehr zu kontrollieren war.

  • Neben der Verwirklichung der "Perestroika" war auch die Öffnung der sowjetischen Gesellschaft (Glasnost) Ziel der Politik Gorbatschows. Durch die größere Offenheit und Transparenz sollte die Sowjetunion auf die Ansprüche und Bedürfnisse der modernen Kommunikationsgesellschaft vorbereitet werden.

Die im Zuge von 'Glasnost' eröffnete Geschichtsdebatte führte zum Beispiel zum sowjetischen Eingeständnis des Geheimen Zusatzprotokolls zum Hitler-Stalin-Pakt.

 
 
  • In seinen "Erinnerungen" weist Michail Gorbatschow darauf hin, dass es die ökonomischen Ziele der Sowjetunion waren, die ihn 1985 zur Einleitung politischer Reformen im eigenen Land und in den Beziehungen zu den "Bruderländern" zwangen.
 
  • Michail Gorbatschow hielt die Durchführung seiner Reformpolitik im Innern nur bei einer gleichzeitigen Entspannung des Ost-West-Gegensatzes für möglich. Auch die Belastungen der Sowjetunion durch die Herrschaft über den Ost-Block und den Afghanistan-Krieg sollten nach dem Willen Gorbatschows abgebaut werden, um Handlungsspielräume für innere Reformen zu gewinnen.

 
  • Die Vereinigten Staaten machten Fortschritte in den Abrüstungsverhandlungen, eine Ausweitung der Handelsbeziehungen und wirtschaftliche Hilfeleistungen von Zugeständnissen der Sowjetunion im humanitären Bereich abhängig. Gorbatschow und sein Außenminister Schewardnadse zeigten sich im Zuge ihrer Bestrebungen, "friedliche und günstige äußere Bedingungen für die innenpolitischen Reformen" (Schewardnadse) zu schaffen, zu weitgehenden Zugeständnissen bereit.

  • Gorbatschow zog die sowjetischen Truppen aus Afghanistan zurück und eröffnete eine abrüstungspolitische Offensive, die im Dezember 1987 zum INF-Abkommen mit den USA über den vollständigen Abbau der Mittelstreckenraketen in Europa führte.

  • Am 10. April 1987 erklärte Gorbatschow in Prag: "Wir sind weit davon entfernt, von jedem [Land] zu erwarten, uns zu kopieren. Jedes sozialistische Land hat seine spezielle Gestalt, und jede Bruderpartei entscheidet vor dem Hintergrund der jeweiligen nationalen Bedingungen selbst über ihre politische Linie. ... Die Unabhängigkeit jeder Partei, ihre Verantwortung für ihr Volk und das Recht, die Probleme der Entwicklung ihres Landes zu lösen - das sind für uns unumstößliche Prinzipien."

Mit dieser Rede kündigte Gorbatschow die Aufhebung der 'Breschnew-Doktrin' von 1968/1969 an, mit der die Sowjetunion die Vorherrschaft innerhalb des kommunistischen Lagers beansprucht hatte. Die 'Breschnew-Doktrin hatte mit der Begründung einer "begrenzten Souveränität sozialistischer Länder" und einem "beschränkten Selbstbestimmungsrecht" einen militärischen Interventionsanspruch der Sowjetunion für den Fall erhoben, dass die kommunistische Herrschaftsordnung in einem Land ihres Machtbereichs bedroht war. 

 
  • Die Sowjetunion verbuchte den Abschluss der Wiener KSZE-Folgekonferenz im Januar 1989, auf der man die Aufnahme von Verhandlungen über die Reduzierung der konventionellen Streitkräfte in Europa vereinbarte, als großen Erfolg. Im Gegenzug hatte sie sich zu weitreichenden Zugeständnissen bereitfinden müssen. Alle an der Konferenz beteiligten Staaten verpflichteten sich im Wiener Abkommen, das Recht eines jeden "auf Ausreise aus jedem Land, darunter aus seinem eigenen" zu achten. Unter sowjetischem Druck musste sich die DDR verpflichten, dieses Recht gesetzlich zu garantieren. Eine Umsetzung des Rechts auf Ausreise musste für die innere Stabilität der DDR bedrohlich wirken.

  • Am 6. Juli 1989 gab die Sowjetunion auf einem Gipfeltreffen des Warschauer Paktes in Bukarest offiziell die Breschnew-Doktrin der begrenzten Souveränität der Mitgliedstaaten auf. Die Ostblockländer bekundeten in dem Abschluss-Kommuniqué, dass es "keinerlei universelle Sozialismus-Modelle" gebe und "niemand das Monopol auf die Wahrheit" besitze. Die sowjetische Bestandsgarantie für alle kommunistischen Regime war in Frage gestellt; mit militärischer Unterstützung im Falle innerer Unruhen konnten sie von nun an nicht mehr rechnen.

  • Die Reaktion der DDR auf die Reformbewegungen im Ostblock
 
  • Die DDR-Führung fühlte sich durch die wirtschaftlichen und ideologischen Systemveränderungen  im Ostblock bedroht. Von den innenpolitischen Veränderungen in der Sowjetunion, aber noch mehr von der sowjetischen  Außenpolitik fürchtete die SED-Führung eine Destabilisierung ihrer Macht. Sie reagierte jedoch nicht mit eigenen Reformen, sondern mit Selbstisolierung. Erich Honecker bestand sogar darauf, dass die DDR nicht gezwungen werden dürfe, dem sowjetischen Modell zu folgen, sondern dass es ihr erlaubt sein müsse, einen Sozialismus "in den Farben der DDR" zu entwickeln.

Mit der Monatszeitschrift "Sputnik", die Stalin als Gehilfen Hitlers bezeichnet hatte, wird in der DDR erstmals ein sowjetisches Druckerzeugnis verboten (19.11.1988). Begründung: Die Zeitschrift festige nicht die deutsch-sowjetische Freundschaft und bringe "verzerrende Beiträge zur Geschichte". Die SED signalisiert damit, dass sie Gorbatschows Reformideen "Glasnost" und "Perestroika" ablehnt.

 
  • Erich Honecker verfolgte weiterhin seine Strategie,  einerseits die Westkontakte auszubauen, andererseits das Eindringen demokratischer Ideen in die DDR zu verhindern. So befürwortete er zwar Gorbatschows Anstrengungen zur Erneuerung des Ost-West-Entspannung, wies jedoch zugleich dessen Forderung nach größerer Offenheit sowie ökonomischen und politischen Umstrukturierungen im Innern zurück.

 
  • Die Weigerung der SED-Führung, ähnliche Reformen wie in Polen, in Ungarn und in der Sowjetunion einzuführen, trug erheblich dazu bei, dass viele DDR-Bürger die Hoffnung auf Besserung der Verhältnisse aufgaben und entweder resigniert Fluchtpläne schmiedeten oder nach Alternativen innerhalb der eigenen Grenzen Ausschau hielten.

Gegenüber den sich regenden Widerständen oder auch nur Sympathiekundgebungen für die Reformpolitik Gorbatschows reagierte die SED 1988 und Anfang 1989 mit verschärften Überwachungen, Verhaftungen und Abschiebungen in die Bundesrepublik.

 
  • Für die DDR-Regierung hatte das Bekenntnis der Sowjetunion zur Einparteienherrschaft und zur staatlich gelenkten Wirtschaft Existenzsicherung und Stabilität bedeutet. Allein die Anwesenheit sowjetischer Truppen in der DDR hatte 40 Jahre lang die SED-Führung an der Macht gehalten und die äußere Sicherheit gewährleistet.

Ohne die sowjetische Unterstützung für das SED-Regime, ohne militärische Hilfe gegen die innere Opposition kamen die Schwächen der DDR zum Ausbruch: die mangelnde Legitimität des Zwangssystems (keine wirklich freie Wahlen!) und der im Vergleich zur Bundesrepublik niedrige Lebensstandard. Die sozialpolitischen Verbesserungen, wie Lohn- und Rentenerhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen, Mietpreissenkungen und Wohnungsbauprogramm, mussten zunehmend durch Preisstopps für Massenkonsumgüter und Dienstleistungen sowie - daraus folgend - Subventionen aus der Staatskasse finanziert werden. Dieses verzerrte Preis-Leistungsverhältnis beschleunigte die Inflation und die Staatsverschuldung, vor allem in konvertierbarer Währung.


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Die wachsende innere Unruhe in der DDR


  • Die Reisefrage
 
  • Die Tatsache, dass die Ausreise (und damit die Übersiedlung in die Bundesrepublik) und die Besuchsreise in in den Westen für DDR-Bewohner unterhalb des Rentenalters nur sehr beschränkt möglich war, stellt einen wichtigen Impuls für die wachsende innere Unruhe in der DDR dar. Nach der KSZE-Schlussakte der Konferenz von Helsinki (1.8.1975), die auch die DDR-Führung unterschrieben hatte, konnten sich Ausreisewillige auf das Recht auf Freizügigkeit berufen.

 
  • Die DDR-Führung reagiert auf die Unruhe in der Bevölkerung zum einen mit Härte, also der Drangsalierung der Reisewilligen, zum anderen mit der Lockerung der Genehmigungspraxis. In den Jahren 1987 und 1988 stieg die Anzahl der Übersiedler und der Besuchsreisen deutlich an. Allerdings wuchs die Zahl der Anträge stärker als die Bewilligungen.

 
  • DDR-Bürger, die Anträge auf ständige Ausreise gestellt haben, machten mit mehreren Aktionen auf ihre Situation aufmerksam und werden dabei von evangelischen Geistlichen unterstützt. Nach einer ersten Veranstaltung am 19. Februar 1988 in der Leipziger Nikolaikirche öffnet Pfarrer Christian Führer seine Friedensgebete als Kontaktmöglichkeit für die Ausreisewilligen. Am 14.3.1988 veröffentlicht die evangelische Kirche eine Erklärung, in der sie betont, "zu Verhältnissen [beitragen zu wollen], unter denen Menschen gerne leben können und Anträge auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft nicht mehr stellen wollen".

 

Christian Führer, *1943 in Leipzig, † 2014 ebenda

1988 Pfarrer in der Leipziger Nikolaikirche

Bild: Internetquelle

 
  • Am 1. Januar 1989 tritt eine neue Verordnung des Ministerrats über Reisen in das Ausland in Kraft. Sie erweitert die Möglichkeiten, die zeitweilige oder ständige Ausreise aus der DDR zu beantragen. Die gerichtliche Verhandlung über abgelehnte Reiseanträge wird ab Juli 1989 zugelassen.

  • Friedensfrage und Umweltprobleme
 
  • Unter der Parole "Schwerter zu Pflugscharen" formierte sich die 'Friedensbewegung' die das Wettrüsten zwischen Ost und West anprangerte und zu Gebeten für 'Frieden und Menschenrechte' aufrief. Nach dem Scheitern der Kampagne gegen die NATO-Nachrüstung im Jahr 1983 ging die SED-Führung offen gegen die Friedensbewegung vor und ließ Ausweisungen sowie Verhaftungen vornehmen.

 
  • Kirchengemeinden in verschiedenen Städten der DDR boten der Friedensbewegung und den Gruppen, die für die Erhaltung der Umwelt eintraten, Raum und die Gelegenheit, sich zu versammeln, ihr Anliegen zu formulieren und in die Öffentlichkeit zu tragen. Die Kirchen gerieten mehr und mehr in die Funktion einer Anlaufstelle für Regimekritiker.

 
  • Am 17. Januar 1988 nutzen Friedens- und Menschenrechtsgruppen eine offizielle Demonstration aus Anlass des 69. Jahrestags der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zu einer Gegendemonstration. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), das schon am 12. Januar von den Plänen für diese Aktion erfahren hatte, verhaftete ca. 160 Personen. Gegen 40 Personen leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren ein.

Das scharfe Vorgehen staatlicher Sicherheitsorgane und der Justiz löste eine Solidaritätswelle innerhalb der Bevölkerung aus. Am 18.1.1988 finden in vielen Kirchengemeinden in Ost-Berlin und etwa 20 Orten der DDR Fürbittgottesdienste und Mahnwachen für die Inhaftierten statt. Das Verhältnis zwischen der Staatsführung und der evangelischen Kirche wird dadurch weiter belastet.

 
  • Mehrere wichtige Exponenten der DDR-Bürgerrechtsbewegung, die während der Protestaktion verhaftet worden waren, gehen auf das staatliche Angebot ein, in die Bundesrepublik oder andere westliche Länder entlassen zu werden.

 
  • Die Ereignisse um die Protestdemonstration vom 17. Januar 1988 führen zu wachsenden Spannungen zwischen Staat und Kirche. Erich Honecker erklärt, die evangelische Kirche dürfe kein Platz für "staatsfeindliche Aktivitäten" sein.

Mehrere Kirchenzeitungen wurden vom Presseamt des Ministerrates zensiert. Die Osterausgabe der Wochenzeitung "Die Kirche" erschien mit weißen Flecken und Pünktchen versehenen Absätzen, die für jedermann die Praxis der Zensur kenntlich machten.


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Der Zusammenbruch des SED-Regimes


  • Durch ihre Politik der Abgrenzung war es der SED-Führung mehr als ein Jahrzehnt gelungen, das Eindringen demokratischer Ideen in die DDR einzuschränken. Die destabilisierenden Folgen der Entspannung zwischen Ost und West wurden sowohl durch Kontrollen als auch durch Maßnahmen im Bereich der Sozialpolitik (z.B. Wohnungsbauprogramm, Sozialfürsorge), die den Wünschen der Bürgerinnen und Bürger entgegenkamen, aufgefangen. Nachdem die Sowjetunion, die für die Rückendeckung des SED-Regimes in jeder Hinsicht unverzichtbar war, nun selbst eine "Revolution von oben" forderte und andere Ostblockstaaten wie Polen, Ungarn und selbst die Tschechoslowakei bereits Auflösungserscheinungen zeigte, wurde die Lage für die DDR kritisch.

  • Die mangelnde Legitimität des politischen Systems, die wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten sowie das Reformdefizit der DDR innerhalb des Ostblocks seit 1985 waren die maßgeblichen Ursachen für die Krise, aus der es seit dem Frühjahr 1989 kaum noch einen Ausweg gab. Die steigende Zahl von Ausreiseanträgen und die zunehmende Fluchtbewegung aus der DDR dokumentierten den inneren Zustand eines Regimes, das seit 1945 durch die Sowjetunion stabilisiert worden war und sich nun in einer veränderten Umwelt plötzlich alleine behaupten sollte.

  • Einen wesentlichen Anteil an der Zuspitzung der Krise in der DDR hatte Ungarn, das seit Anfang 1989 vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet eine enge Zusammenarbeit mit den westlichen Ländern anstrebte. Der Abbau der Grenzsperren nach Österreich durch ungarische Soldaten, der im Mai 1989 begann, bedeutete das Ende der Abriegelung des kommunistischen Herrschaftsbereichs gegenüber dem Westen.

In Ungarn war die kommunistische Partei (Ministerpräsident Miklós Németh) selbst zum Motor tief greifender Veränderungen geworden - statt sie zu behindern. Sie verzichtete auf ihre in der Verfassung festgeschriebene Führungsrolle. Auch schuf sie die Voraussetzungen für ein Mehrparteiensystem, indem sie demokratische Rechte und Freiheiten zuließ. In dem am 12.4.1989 neu gebildeten Politbüro der Partei waren "Reformer" verstärkt vertreten.

  • Am 7. Mai 1989 fanden in der DDR Kommunalwahlen statt. Als Ergebnis gab der Vorsitzende der Wahlkommission, dass erneut 95,98 Prozent der Stimmen auf die Kandidaten der Nationalen Front entfallen waren. Erich Honecker nannte das Ergebnis "ein eindrucksvolles Bekenntnis zu der auf Frieden und Sozialismus gerichteten Politik der SED".

Kaum jemand in der DDR bezweifelte, dass die Wahlen manipuliert worden waren. Oppositionsgruppen gingen daran, die Manipulationen aufzudecken. Tatsächlich waren die Wahlmanipulationen am 7. Mai 1989 kaum gravierender als bei früheren 'Wahlen'. Allerdings hatte die SED-Spitze den Rückhalt verloren, den sie früher in der Sowjetunion und bei den anderen 'Bruderländern' besessen hatte und verfügte daher kaum noch über Autorität.

  • Die zustimmende Reaktion der SED-Führung auf die brutale Niederschlagung der Studentenrebellion in Peking am 4. Juni 1989 rief in der DDR-Bevölkerung große Empörung hervor. Das SED-Politbüro entschied, dass man dem "hart geprüften chinesischen Volk" zur Hilfe kommen müsse.

Der Schulterschluss mit dem totalitären Regime in China war offenbar ein Signal an innenpolitischer Gegner, wie man auch in der DDR mit oppositionellen Elementen umzugehen gedachte, wenn diese zu einer ernsthaften Bedrohung für die Regierung werden sollten.

  • Im Sommer 1989 setzte eine Fluchtbewegung von Bewohnern der DDR über Ungarn in die Bundesrepublik ein, in deren Verlauf die ungarische Regierung am 11. September 1989 die Grenze nach Österreich ganz öffnete. Andere Ausreisewillige aus der DDR suchten in den Botschaften der Bundesrepublik in Prag und in Warschau Zuflucht. Zugleich schwoll die Protestbewegung innerhalb der DDR immer weiter an.

  • Die DDR-Führung versucht, mit einer Reihe von Ausschleusungsaktionen der Ausreisewelle Herr zu werden. Ende September 1989 wird die Ausreise der in der Prager Vertretung der Bundesrepublik sowie in der bundesdeutschen Botschaft in Warschau wartenden DDR-Bürger unter der Bedingung genehmigt, dass diese in Zügen der Deutschen Reichsbahn über das Gebiet der DDR erfolgt. Am 30. September überbringt der Außenminister der Bundesrepublik, Hans-Dietrich Genscher, diese Nachricht an die "Besetzer" der Botschaft in Prag, die mit Jubel quittiert wird.

  • Im Rahmen der ersten Massenausreise treffen aus Prag rund 6000 und aus Warschau 800 DDR-Bürger in der Bundesrepublik ein. Innerhalb von nur drei Tagen füllt sich die bundesdeutsche Vertretung in Prag erneut, nunmehr mit 7.600 Fluchtwilligen. Am 3. Oktober 1989 setzt die DDR den pass- und visafreien Reiseverkehr in die Tschechoslowakei "zeitweilig" aus. Die zweite Massenausreise beginnt am 4. Oktober.

  • Der Flüchtlingsstrom, der sich aus der DDR über Ungarn und Österreich in die Bundesrepublik ergoss, schwoll immer mehr an. Nachdem die ungarische Regierung, in der Außenminister Gyula Horn eine wesentliche Rolle spielte, nach dem 11. September 1989 es DDR-Bürgern gestattete, die Grenze nach Österreich legal zu überschreiten, flohen täglich Tausende. Bis Ende September waren es insgesamt bereits 32.500.

 

Gyula Horn, *1932 in Budapest, von 1989 bis 1990 ungarischer Außenminister, von 1994 bis 1998 ungarischer Ministerpräsident

news BBC

Auf die Bitte von DDR-Außenminister Fischer, ein Treffen des 'Warschauer Paktes' einzuberufen, um die Ungarn zur Räson zu bringen, antwortete Gorbatschow, die Zeit sei vorüber, in der "eine Abweichung von der allgemeinen Linie durch den Druck der Mehrheit" habe korrigiert werden können. Die DDR-Führung stand allein.

  • Am 4. September 1989, einem Montag, demonstrierten in Leipzig nach dem Ende eines Friedensgebets in der Nikolai-Kirche etwa 1.200 Menschen für ihre Ausreise. Die beiden folgenden Montagsdemonstrationen in der Leipziger Innenstadt wurden von den Sicherheitskräften schnell unterbunden. Bei der Demonstration am 25. September zeigt sich ein anderes Bild. Die fünftausend Teilnehmer rufen Losungen wie "Wir bleiben hier" und treten offen für Reformen in der DDR ein. Am 2. Oktober belief sich die Teilnehmerzahl an der Demonstration auf etwa 20.000.

  • Ermutigt durch den Erfolg der Protestaktionen wurden nun auch politische Organisationen gegründet, die sich zum Teil als Parteien, zum Teil als Bürgerbewegungen verstanden: am 12. September das 'Neue Forum', am 12. September 'Demokratie jetzt', am 7. Oktober die 'Sozialdemokratische Partei in der DDR' und am 29. Oktober der 'Demokratische Aufbruch'.

  • Das festliche Ereignis des 40. Jahrestags der DDR am 7. Oktober 1989 in Ostberlin kommt der Partei- und Staatsführung durchaus nicht gelegen. Am 7. Oktober gibt Erich Honecker einen Staatsempfang, dessen Gäste, darunter der sowjetische KP-Generalsekretär Michail Gorbatschow, nicht mitbekommen können, dass sich auf Alexanderplatz etwa 15.000 bis 20.000 Demonstranten versammelt hatten. Auch in anderen Städten der DDR kommt es zu Demonstrationen. Im Umfeld des 7. Oktobers wurden in der DDR etwa 3.500 Bürger festgenommen.

  • Michail Gorbatschow weist mehrfach, sowohl intern im Gespräch mit den Mitgliedern des SED-Politbüros als auch öffentlich auf den Ernst der Lage in den staatssozialistischen Ländern hin. Wörtlich erklärte er den Politbüromitgliedern: "Ich halte es für sehr wichtig, den Zeitpunkt nicht zu verpassen und keine Chance zu vertun [ ... ]. Wenn wir zurückbleiben, bestraft uns das Leben sofort [ ... ]. Unsere Erfahrungen von Polen und Ungarn haben uns überzeugt: Wenn die Partei nicht auf das Leben reagiert, ist sie verurteilt."

  • In seiner Antwort auf die Rede Gorbatschows pries Erich Honecker den Erfolg des Sozialismus in der DDR. Jeglicher Hinweis auf die prekäre Lage des Landes fehlte, keine Erwähnung der Flüchtlinge und Demonstranten.

  • Für die Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 bereitet sich die Staatsmacht mit dem Zusammenziehen von Verbänden der Volkspolizei, der Staatssicherheit und der Nationalen Volksarmee im Raum Leipzig auf eine gewaltsame Auflösung des erwarteten Demonstrationszuges vor.

In den späten Nachmittagsstunden des 9. Oktober berichtet der Leipziger Stadtfunk von einem von sechs Personen unterzeichneten "Appell Leipziger Bürger", in dem diese versichern, alles in ihrer Macht Stehende für einen friedlichen Verlauf der abendlichen Demonstration tun zu wolle. Die Unterzeichner sind drei Mitglieder der SED-Bezirksleitung Leipzig (Kurt Meier, Jochen Pommert, Roland Wötzel) auf der einen Seite sowie der Kapellmeister Kurt Masur, der Kabarettist Bernd Lange und der Pfarrer Peter Zimmermann auf der anderen. Die Zusicherung der drei SED-Funktionäre verhinderte ein drohendes Blutvergießen in der Innenstadt.

  • In der Sitzung des Politbüros am 17. Oktober 1989 stellt Willi Stoph im Auftrag der Politbüromitglieder Egon Krenz, Günter Schabowski und Siegfried Lorenz den Antrag, Erich Honecker als SED-Generalsekretär abzulösen. Die sowjetische Regierung hatte gegen die geplante Absetzung Honeckers keine Einwände erhoben. Am 18. Oktober wird dem SED-Zentralkomitee das Rücktrittsgesuch Honeckers mitgeteilt, in dem dieser seine angeschlagene Gesundheit und sein Alter für seinen Rückzug von allen Staats- und Parteiämtern anführt und Egon Krenz als seinen Nachfolger vorschlägt. Egon Krenz wird einstimmig zum neuen SED-Generalsekretär gewählt. In einer Fernsehansprache räumt Krenz ein, dass die DDR-Führung in den vergangenen Monaten die Lage "nicht real genug" eingeschätzt und nicht rechtzeitig die richtigen Schlussfolgerungen gezogen habe.

Gegen die Wahl von Egon Krenz demonstrierten noch am gleichen Tag 12.000 Ostberliner vor dem "Palast der Republik". Während der ersten Montagsdemonstration nach der Ernennung von Krenz zum Generalsekretär gingen allein in Leipzig 300.000 Menschen auf die Straße. Krenz, der ohnehin bereits für seine Rolle bei der Manipulation der Kommunalwahl kritisiert worden war und überdies in dem Ruf stand, das Musterbeispiel eines steifen Parteifunktionärs zu sein, vermittelte das typische Negativ-Image der alten SED-Elite.

  • Die neue Führung unter Egon Krenz verspricht, künftig Demonstrationen als Teil der politischen Kultur der DDR zu tolerieren. Neue Reisegesetze werden angekündigt. Am 27. Oktober 1989 wird eine Amnestie für Ausgereiste sowie für Flüchtlinge und Demonstranten erlassen. Die Proteste gegen das SED-Regime und die Fluchtbewegungen setzen sich dennoch fort.

  • In der ersten Novemberwoche 1989 erreichen die Demonstrationen ihren Höhepunkt. Am 4. November versammeln sich mehr als eine halbe Million Menschen auf dem Berliner Alexanderplatz. Zwei Tage später demonstrieren  in Leipzig ebenfalls eine halbe Million DDR-Bürger. Daraufhin treten am 7. November zunächst die Regierung der DDR (der Ministerrat) und am 8. November auch das Politbüro geschlossen zurück. Der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung in Dresden, Hans Modrow, wurde als Nachfolger von Willi Stoph Vorsitzender des DDR-Ministerrats bestimmt. Seine Wahl erfolgte am 13. November durch die Volkskammer.

  Hans Modrow, *1928, ab Herbst 1973 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden, ab 13.11.1989 bis zur ersten freien Volkskammerwahl im März 1990 Vorsitzender des DDR-Ministerrats

Hans Modrow hatte sich durch persönliche Bescheidenheit, Aufgeschlossenheit gegenüber Reformen und Ablehnung stalinistischer Methoden im Umgang mit Andersdenkenden weit über Dresden hinaus in der DDR Sympathien erworben. Im übrigen war es ein offenes Geheimnis, dass Modrow das Vertrauen der sowjetischen Regierung besaß.

  • Nach Aufhebung der Reisebeschränkungen gegenüber der Tschechoslowakei am 1. November 1989 und der Erklärung der DDR-Regierung, dass ihre Bürger direkt von der CSSR in die Bundesrepublik fahren könnten, machten innerhalb einer Woche über 48.000 DDR-Bürger von dieser Möglichkeit Gebrauch. Bis zum Ende der ersten Novemberwoche hatten 1989 allein 225.000 Ostdeutsche ihren Weg nach Westdeutschland gefunden.

Das Ausmaß der Ausreisen war inzwischen so groß, dass selbst die wohlhabende Bundesrepublik in Schwierigkeiten geriet. Bundeskanzler Kohl plädierte in seinem "Bericht zur Lage der Nation" am 8. November für Hilfe vor Ort statt für eine Übersiedlung in die Bundesrepublik. Sein Hilfsversprechen an die neue DDR-Führung, ihr bei der Umsetzung ihrer Reformen zu helfen, verknüpfte er mit der Forderung nach "Selbstbestimmung für alle Deutschen".

  • Der Fall der Mauer
 
  • Am 6. November 1989 veröffentlicht die DDR-Presse den Entwurf einer neuen Reiseverordnung, die Aufenthalte im westlichen Ausland (einschließlich der Bundesrepublik) für 30 Tage pro Jahr nach einem bürokratischen Genehmigungsverfahren vorsieht. Die Beibehaltung von Ausschließungsgründen für viele Bürger stieß auf massive Kritik. Noch am Tage der Veröffentlichung forderten mehrere Hunderttausend Menschen auf einer Massendemonstration in Leipzig "ein Reisegesetz ohne Einschränkungen". Zum ersten Mal erklang der Ruf "Wir brauchen keine Gesetze - die Mauer muss weg!". Auch in anderen Städten der DDR gab es Protestaktionen gegen den Entwurf. In Fabriken im ganzen Land kam es zu spontanen Warnstreiks von Arbeitern. Der Entwurf wurde daraufhin am folgenden Tag vom Rechtsausschuss der Volkskammer als "unzureichend" verworfen.

 
  • Am Nachmittag des 9. Novembers legte Egon Krenz dem SED-Zentralkomitee einen Entwurf über neue Reisebestimmungen vor. Nach dieser Regierungsvorlage (ein gültiger Beschluss lag noch nicht vor!) sollten ständige Ausreisen über alle Grenzübergänge der DDR zur Bundesrepublik und nach West-Berlin abgewickelt und Reisepässe und Ausreisevisa für Besuche und Reisen in westliche Länder kurzfristig durch die Volkpolizei-Kreisämter ausgestellt werden. Eine Ablehnung von Reiseanträgen war nur in Ausnahmefällen vorgesehen.

 
  • Am frühen Abend des 9. November verkündet Günter Schabowski, der Sprecher des SED, auf einer Pressekonferenz eher beiläufig, dass die DDR ihre Grenzen geöffnet habe. (Dass es sich bei dem Text um eine Vorlage der Regierung und nicht um einen gültigen Beschluss handelte, war ihm, wie er heute erklärt, nicht bekannt.)

Entsprechend groß war die Aufregung. "Bedeutet dies", fragte ein Reporter, "dass jeder DDR-Bürger jetzt frei in den Westen reisen kann?" Schabowski zitierte darauf aus dem Text, dass Anträge auf Reisen ins Ausland ohne Vorbedingungen gestellt werden könnten, dass jeder DDR-Bürger ab dem kommenden Morgen um 8 Uhr ein Visum erhalten könne und dass die Behörden angewiesen seien, Pässe und Visa "schnell und unbürokratisch" auszustellen. Die Regelung trete "sofort" in Kraft.

  Günter Schabowski (* 1929), Mitglied des ZK der SED 
 
  • Noch in der Nacht strömten Tausende Ost-Berliner zu den Grenzübergängen, um sich an Ort und Stelle einen Eindruck von der neuen Lage zu verschaffen. Dort war die Verwirrung allerdings groß, denn die Grenzposten hatten von der angeblichen Grenzöffnung ebenfalls erst aus den Medien erfahren. Nach längerem Zögern und nach Rücksprachen mit ihren Zentralen entschieden sich die Wach- und Personenkontrolleinheiten der DDR-Grenztruppen bzw. des Sicherheitsdienstes für die Öffnung aller innerstädtischen Kontrollpunkte. Bis 24:00 Uhr waren alle Grenzübergänge geöffnet.

 

Egon Krenz wurde gegen 21 Uhr telefonisch von Mielke unterrichtet, dass "mehrere Hundert" Menschen an der Grenze die sofortige Ausreise verlangten. Er sprach sich dafür aus, sie "durchzulassen", da die Öffnung ohnehin beabsichtigt und nicht mehr zu vermeiden sei. Damit war die Mauer, 28 Jahre nach ihrer Errichtung, gefallen.

 
  • Unzählige Dresdner drängen sich am 19. Dezember 1989 um Bundeskanzler Helmut Kohl, der vor den Trümmern der Frauenkirche eine unvergessliche Rede hält. Bei seinem Antrittsbesuch an der Elbe verspricht er den knapp hunderttausend Zuhörern: "Mein Ziel bleibt - wenn die geschichtliche Stunde es zulässt - die Einheit unserer Nation." Immer wieder wird seine spontane Rede von lauten 'Deutschland'-Rufen unterbrochen. Seinen Besuch in Dresden bezeichnet Helmut Kohl später als "sein Schlüsselerlebnis auf dem Weg zur Einheit" und den schwierigsten Balanceakt seines Lebens." Bis dahin sei er überzeugt gewesen, die deutsche Einheit komme erst in drei oder vier Jahren.


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Literaturhinweise


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Zwischen Kreml und Kanzleramt. Wie Moskau mit der deutschen Frage rang. 2. Aufl., Paderborn 1998

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Die äußeren Aspekte der deutschen Einigung. Bonn 1990.

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Europa im Ost-West-Konflikt. 1945 - 1990 (Oldenbourg Grundriß der Geschichte 18). München 2004

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Konflikt im Kreml. Zur Vorgeschichte der deutschen Einheit und Auflösung der Sowjetunion. München 1997

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Erinnerungen. Berlin 1995

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Der schwierige Weg zur Demokratie. Vom Ende der DDR zu deutschen Einheit. 2. Auflage 1992

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Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und Selbstbehauptung 1949 - 2000. Stuttgart 2001

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Die Vereinigung Deutschlands in europäischer Perspektive. Baden-Baden 1992.

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Als der Kalte Krieg zu Ende war. Ein Bericht aus dem Innern der Macht. Berlin 1999.

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Deutschlands Vereinigung. Die internationalen Aspekte. Mit den wichtigsten Dokumenten. Bergisch Gladbach 1991

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Der Ost-West-Konflikt. Die Organisation der internationalen Beziehungen im 20. Jahrhundert. 2. Aufl. Stuttgart 1988

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Die Sowjetunion und das Ende der DDR. In: Jarausch, Konrad H./Sabrow, Martin (Hrsg.): Weg in den Untergang. Der innere Zerfall der DDR. Göttingen 1999, S. 119-152.

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Geschichte der Weltpolitik von Hitler bis Gorbatschow 1941 - 1991. München 1996


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