Deutschland 1890 - 1914

 

 

 

 

 

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Inhalt

 

Die Welt des späten Mittelalters (1250 - 1400)

Das Ende der Luxemburger und der Aufstieg der Habsburger Kaiserdynastie (1400 - 1517)

Die Reformation von Luthers Anschlag der 95 Thesen bis zum Wormser Reichstag (1517 - 1521)

Der Dreißigjährige Krieg (1618 - 1648)

Vom Westfälischen Frieden (1648) bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen (1740)

Der Aufstieg Preußens zur europäischen Großmacht (1740 - 1763)

Die Französische Revolution bis zum Ende der Diktatur Robespierres (1789 - 1794)

Deutschland in der Zeit der Französischen Revolution und der Herrschaft Napoleons (1789 - 1815)

 Restauration und Revolution (1815 - 1830)

Monarchie und Bürgertum (1830 - 1847)

Die Revolution von 1848/49

Von der gescheiterten Revolution 1848 bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1871

Die Innen- und Außenpolitik Bismarcks (1871 - 1890)

Das Deutsche Kaiserreich von 1890 bis zum Ausbruch der Ersten Weltkriegs 1914

Die Industrielle Revolution in England und Deutschland (1780 - 1914)

Europäischer Kolonialismus und Imperialismus (1520 - 1914)

Der Erste Weltkrieg (1914 - 1918)

Der Weg zur Weimarer Republik 1918 - 1919

Der Kampf um die Staatsgewalt in der Weimarer Republik (1919 - 1933)

Die Machtübernahme der NSDAP und die Errichtung der Diktatur Hitlers (1933 - 1939)

Der Zweite Weltkrieg (1939 - 1945)

Der Weg in die Teilung Deutschlands (1945 - 1949)

Der Kalte Krieg: Vom Kriegsende 1945  bis zum Bau der Berliner Mauer 1961

Die Ära Adenauer (1949 - 1963)

Die Kanzlerschaft Ludwig Erhards 1963 - 1966

Kalter Krieg Teil 2: Von der Kubakrise 1962 bis zur Auflösung der Sowjetunion 1991

Die Zeit der Großen Koalition 1966 - 1969

Die Ära Brandt (1969 - 1974)

Die Kanzlerschaft Helmut Schmidts (1974 - 1982)

Die Kanzlerschaft Helmut Kohls von 1982 bis 1987

Die Kanzlerschaft Helmut Kohls von 1987 - 1989

Der Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands (Teil I: Die DDR von den siebziger Jahren bis zum Fall der Mauer im Jahr 1989)

Vom Fall der Berliner Mauer bis zur deutschen Einheit (1989 - 1990)

 

 

 
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Machtkampf der Weltmächte   Europäische Krisen   Literaturhinweise      Württemberg 1871-1918     Köngen 1850-1900


Deutschland unter Kaiser Wilhelm II.


  • Die Entlassung Bismarcks (1890)
 
  • Kaiser Wilhelm I. starb am 9. März 1888. Sein Sohn Friedrich Wilhelm nahm als Friedrich III. die Kaiserwürde an. Er und seine Frau Victoria - eine Tochter der britischen Königin Victoria - galten als Anhänger der parlamentarischen Monarchie Großbritanniens. Die Regentschaft des todkranken Kaisers dauerte nur ganze 99 Tage. Als Friedrich III. am 15. Juni 1888 starb, übernahm sein Sohn, der 29-jährige Kronprinz Wilhelm  (von nun an Wilhelm II.) die kaiserliche Würde.

Wilhelms Kindheit und Jugend war extrem hart und dürfte entscheidende Weichen für sein späteres Verhalten gelegt haben. Bei seiner Geburt am 27. Januar 1859 war sein linker Arm so schwer verletzt worden, dass er für immer verkrüppelt blieb. Da sich seine Eltern mit der Behinderung ihres Sohnes nicht abfinden konnten, griffen sie zu Mitteln, die dem Kind Qualen, aber keine Heilung brachten. So wurde zum Beispiel versucht, mit einer 'Streckmaschine' seinen verkürzten Arm zu verlängern. Durch den Privatlehrer Georg Ernst Hinzpeter wurde er einer strengen Erziehung unterworfen, die ihm kaum Luft zum Atmen ließ. Die liberalen Ansichten seiner Eltern übernahm er jedoch nicht. 

 
   

Wilhelm II. (1859 - 1941), Deutscher Kaiser und König von Preußen von 1888 bis 1918

*27.1.1859 Potsdam, † 4.6.1941 Haus Doorn, Provinz Utrecht (Niederlande)

Bild: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv 

 
  • Bismarck war dem jungen Kaiser zunächst zugetan, schon deshalb, weil dieser seine eigenen antiliberalen Ansichten teilte. Die ersten Konflikte waren persönlicher Art und wohl auf den Generationenunterschied zurückzuführen. Bismarck bezeichnete den Regenten als "Brausekopf", der nicht schweigen könne, Schmeichlern zugänglich sei und Deutschland in einen Krieg führen könne, "ohne es zu ahnen und zu wollen". Bald ging es auch um die Stellung des Kaisers: Wilhelm II. wollte die Führungsposition im Reich, Bismarck sah seine Machtposition in Gefahr.

Anders als sein Großvater, der letztlich den Ratschlägen des Reichskanzlers immer gefolgt war, wollte Wilhelm II. selbst regieren.

 
  • Um einer späteren Mythenbildung vorzubeugen, plant Wilhelm II. eine allmähliche Entmachtung Bismarcks. Er reserviert sich zunächst - an Bismarck vorbei -  ein eigenes politisches Thema, das Arbeiterschutzprogramm. Weitere Provokationen des Kaisers folgen: Preußische Minister werden - unter Umgehung Bismarcks - einzeln zur Berichterstattung gebeten, Einberufung eines neuen Handelsministers in Preußen (Bismarck hatte diese Funktion provisorisch übernommen).

 
  • Bismarck entscheidet sich zum offenen Kampf. Er entschließt sich, einen innenpolitischen Konflikt zu schüren um sich dann als Retter zu präsentieren: Nach den Gewinnen der Sozialdemokraten bei den Reichstagswahlen im Februar 1890 strebt er eine Verschärfung des Sozialistengesetzes an. Damit gerät er in Gegensatz zum Kaiser, der mit seinem Arbeiterschutzprogramm die Arbeiter für sich gewinnen will.

  • Auch der Reichstag war mit einer Neuauflage des Sozialistengesetzes nicht einverstanden. Am 25. Januar 1890 fiel der Entwurf zu diesem Gesetz im Parlament durch. Bei der Reichstagswahl 1890 verloren die den Kanzler stützenden Nationalliberalen und Konservativen (Kartellparteien) die Mehrheit. Mit 19,7 Prozent der Stimmen wurden die Sozialdemokraten stärkste Partei. Das Mehrheitswahlrecht verhinderte, dass sich der Stimmenanteil in Mandate umsetzen ließ. Die SPD erhielt  lediglich 35 Sitze. Das Zentrum erhielt mit nur 18,6 Prozent Stimmenanteil 106 Mandate.

  • Die "Wahlarithmetik" konnte den Niedergang der Machtposition Bismarcks nicht verhindern. Bald sollte auch das Zerwürfnis mit dem jungen Kaiser, der "selbst regieren" wollte, unüberwindbar werden.

 
  • Nach den Verlusten der Kartellparteien bei den Reichstagswahlen versucht Bismarck eine Zusammenarbeit der Konservativen mit dem Zentrum herbeizuführen. Der Kaiser verübelt die Gespräche Bismarcks mit Windthorst (dem Vorsitzenden des Zentrums). Für ihn war das Zentrum "die fünfte Kolonne Roms".

 
  • Kaiser Wilhelm II. warf dem Kanzler in einer Unterredung am 15. März 1890 erregt Eigenmächtigkeiten vor. Der Bruch war nicht mehr zu kitten. Drei Tage später sah sich Bismarck gezwungen, sein Entlassungsgesuch einzureichen.

  • Auszüge aus dem Entlassungsgesuch Bismarcks vom 18.3.1890: "Eure Majestät geruhten ... mir bezüglich meiner dienstlichen Berechtigungen Grenzen zu ziehen, welche mir nicht das Maß der Beteiligung an den Staatsgeschäften, der Übersicht über letztere und der freien Bewegung in meinen ministeriellen Entschließungen und in meinem Verkehr mit dem Reichstag und seinen Mitgliedern lassen, deren ich zur Übernahme der verfassungsmäßigen Verantwortlichkeit für meine amtliche Tätigkeit bedarf.  .... Nach gewissenhafter Erwägung der Allerhöchsten Intentionen, zu deren Ausführung ich bereit sein müsste, wenn ich im Dienst bliebe, kann ich nicht anders als Euere Majestät zu bitten, mich aus dem Amte des Reichskanzlers und des Preußischen Ministers der Auswärtigen Angelegenheiten in Gnaden und mit der gesetzlichen Pension entlassen zu wollen." 

  • Am 20. März erhält Bismarck ein Antwortschreiben Kaiser Wilhelms II..  Auszüge: "Mit tiefer Bewegung habe ich ... ersehen, dass Sie entschlossen sind, von den Ämtern zurückzutreten, welche Sie seit langen Jahren mit unvergleichlichem Erfolge geführt haben. ... Wenn Ich ... in vollem Bewusstsein der folgenschweren Tragweite Ihres Rücktritts jetzt genötigt bin, Mich mit diesem Gedanken vertraut zu machen, so tue Ich dies zwar betrübten Herzens, aber in der festen Zuversicht, dass die Gewährung Ihres Gesuches dazu beitragen werde, Ihr für das Vaterland unersetzliches Leben und Ihre Kräfte so lange wie möglich zu schonen und zu erhalten." 

  "Der Lotse verlässt das Schiff"

"Dropping the Pilot", Karikatur von Sir John Tenniel (1820-1914) aus dem englischen Magazin 'Punch' vom 20. März 1890.
 

Nebenbei bemerkt: Otto Lilienthal (* 1848, † 1896) aus der Stadt Anklam in Mecklenburg-Vorpommern führte von 1891 bis 1896 erfolgreich und wiederholbar Gleitflüge mit einem vogelähnlichen Fluggerät (Hängegleiter) durch. Zuvor hatte es immer wieder Versuche des Menschen gegeben, die ausgebreiteten Arme zu Flügeln werden zu lassen. Viele Legenden und Sagen berichten davon. Otto Lilienthal ist der erste Mensch, der, durch zahlreiche Fotos belegbar,  mit einem Gerät von der Erde abhob und bis zu 250 m durch die Lüfte schwebte. Über 20 Jahre hatte Lilienthal ohne jeden praktischen Flugversuch die physikalischen Grundlagen eines Menschenflugs untersucht. So ermittelte er im Laborversuch die verborgenen, aber entscheidenden Eigenschaften des Flügels. Seine Erkenntnisse fasste er 1889 in dem Buch „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“ zusammen. Am 9. August 1896 stürzte Lilienthal mit dem Fluggerät ab, seine dadurch erlittenen Verletzungen führten zum Tod. Aufbauend auf den Forschungsergebnissen Lilienthals entwickelten die Gebrüder Wright 1903 das Konzept des eigenstartfähigen Motorflugzeugs.

  • Das "persönliche Regiment" Kaiser Wilhelms II.
 
  • Persönlichkeit Wilhelms II.: Reiner Egozentriker, keine politische Grundidee, sprunghafte Persönlichkeit ("Wilhelm der Plötzliche"), Sucht nach öffentlicher Anerkennung, keine Weltanschauung, braucht Beifall der Öffentlichkeit, keine einheitliche und folgerichtige Politik, eigenmächtige und impulsive Handlungen und Reden. Der junge Monarch verkörperte allerdings auch den Glauben seiner Zeit an Fortschritt, Wissenschaft und Technik. Der Historiker Golo Mann sagte Treffendes über Wilhelm II.: "Er war kein böser Mensch, er wollte geliebt werden, nicht Leid verursachen. Zu blutrünstigen Reden konnte er sich verirren; blutiges Handeln lag ihm gar nicht". Allerdings zeigt die Geschichte, dass ein Überforderter, der wenig Böses im Sinn hat, Schreckliches hervorbringen kann. Vorausgesetzt, er findet ein Volk, das ihn bewundert.

  • Viele Deutsche sahen Kaiser Wilhelm II. und seine Aktivitäten sehr kritisch. So teilte man nicht die Auffassung, die der Kaiser von sich selbst hatte: dass es Gott gefallen habe, dem Hause Hohenzollern die Herrschaft über ganz Deutschland zu verleihen, und dass deshalb er, "von Gottes Gnaden" König von Preußen, mit ganz besonderen, die aller anderen Sterblichen übertreffenden Gaben ausgestattet worden sei.

  • Kaiser Wilhelm II. blieb bei seinen Maßnahmen im Rahmen der Verfassung und entsprach fast immer den Hoffnungen und Erwartungen einer Mehrheit der beiden Berliner Parlamente, des preußischen und des deutschen, wie auch der Nation. Das gilt selbst für die Entlassung von Bismarck und auch für den Übergang zu einer deutschen "Weltpolitik" und die dafür nötige Flottenrüstung. Der Kaiser war populär, und er unternahm manches, es zu bleiben und immer mehr zu werden. Auch war Wilhelm II. intelligent. Sein Selbstbewusstsein konnte sich zu einer krankhaften Ichbezogenheit steigern. Man kann vermuten, dass ihm gerade sein übergroßes Selbstbewusstsein sehr erschwerte, zentrale Probleme auch nur zu sehen oder richtig zu sehen.

 
  • Wilhelm II. möchte sein "eigener Kanzler" sein. Das wirtschaftlich erfolgreiche Deutsche Reich soll durch sein "persönliches Regiment" auch machtpolitisch zur Weltgeltung gebracht werden. Er  aktiviert Kompetenzen, die ihm nach der Verfassung zustehen, jedoch unter Wilhelm I. nicht in Anspruch genommen wurden. Die beiden ersten Nachfolger Bismarcks fügen sich weithin dem kaiserlichen Willen.

Kaiser Wilhelm I. hatte sein Kaisertum sozusagen als Anhängsel zu seinem preußischen Königtum betrachtet; sein Enkel sah das von vornherein anders und spielte vor allem die Rolle des Deutschen Kaisers, der vom alten konstitutionellen Königtum auch das Recht übernahm, das die anderen Könige nicht mehr beanspruchten, selbst die - modern ausgedrückt - "Richtlinien der Politik" zu bestimmen. Seine königlichen Standesgenossen betrachtete Kaiser Wilhelm II. als seine Untergebene, als "Vasallen"; von ihren Fähigkeiten hielt er wenig oder nichts.

 
  • Für den Kaiser ist das Heer die Grundlage seiner Herrschaft. Die Stellung des Militärs ist in der Verfassung nicht geregelt. Eine Kontrolle durch den Reichstag erfolgt nicht. Das Militär ist nur über die Person des Kaisers in das Gesamtsystem des Staates integriert. Nur der Kaiser war es möglich, militärische und politische Interessen aufeinander abzustimmen.

 
  • Der Kaiser hat den Oberbefehl über das Militär.  Auf der Ebene der Generalität nimmt er selbst die Stellenbesetzung vor. Für Militär und Marine hat der Kaiser eigene 'Büros' (Militärkabinett, Marinekabinett), mit denen er seine Macht ausüben kann. Die Personalpolitik des Kaisers ist auch für den zivilen Bereich von zentraler Bedeutung. Wilhelm II. erhebt den Anspruch, Personen seines Vertrauens ernennen zu können.

  • Anstatt sich mit seinen Kanzlern und Minister abzustimmen, umgab sich Wilhelm II. lieber mit hohen Offizieren und suchte die Nähe fragwürdiger Freunde, die sich als Ratgeber aufspielten, tatsächlich ihm nur nach dem Munde redeten.

  • Als besonders fatal erweist sich die negative Führungsauslese des Monarchen. Er bestimmt inkompetente Personen für hohe Staatsämter - die Folge: die schleichende Selbstentmachtung des Kaisers.

 
  • Militärische und zivile Gewalt müssen auf der Ebene des Budgets zusammenarbeiten. Die Budgetbewilligung ist eine Befugnis des Reichstags. Dort kommt es immer wieder zu Kraftproben.

 
  • Für die deutsche Bevölkerung war der Kaiser das einzige Symbol für die Reichseinheit. Der Sehnsucht der Deutschen nach einem Symbol für den neuen Nationalstaat kam dem Präsentationsbedürfnis des Kaisers entgegen (Reisekaiser).

 
  • Mit Bismarck hatte das Reich seinen Koordinator verloren. Die nachfolgenden Reichskanzler waren nicht  in der Lage, einen ständigen Interessenausgleich zwischen Kaiser, Reichstag und Einzelstaaten herbeizuführen. Nicht zuletzt durch die Einflussnahme des Kaisers wurde die deutsche Außenpolitik unberechenbar.

  • Die Politik des "Neuen Kurses"
 
  • Die Reichskanzler nach der Entlassung Bismarcks: von Caprivi (1890 -1894), von Hohenlohe-Schillingsfürst (1894 - 1900), von Bülow (1900 - 1909), von Bethmann-Hollweg (1909 - 1917). Die beiden ersten Nachfolger Bismarcks fügen sich weitgehend dem Willen des Kaisers. Reichskanzler von Bülow versucht den Kaiser durch höfische Geschmeidigkeit zu lenken, kann aber auf die Dauer "Zwischenfälle" nicht vermeiden.

 
  • Genereller Wandel der außenpolitischen Rahmenbedingungen: Der Spielraum der Diplomaten wird in allen europäischen Staaten dadurch eingeschränkt, dass sie zunehmend auf nationalistische "pressure groups" (Interessenverbände) Rücksicht nehmen müssen. Darunter leidet die Kompromissbereitschaft der Staaten. Dies führt u. a. zu starren Frontbildungen der unter den Staaten geschlossenen Bündnisse.

 
  • Die Kündigung des geheimen Rückversicherungsvertrags mit Russland

  • Schon in den letzten Kriegsjahren Bismarcks hatten Handelsstreitigkeiten die Beziehungen des Deutschen Reichs zu Russland getrübt. Statt sich um einen Ausgleich zu bemühen, zeigte Bismarcks Nachfolger, Leo von Caprivi, Russland die kalte Schulter. Das Angebot Russlands auf Verlängerung des geheimen Rückversicherungsvertrags wurde abgewiesen.

  • Das Auswärtige Amt hatte den schwankenden Kaiser für die Kündigung des Vertrages gewonnen. Sein Repräsentant, Geheimrat Friedrich von Holstein, strebte stattdessen eine Annäherung an Großbritannien an. Ein solches Bündnis wurde von Großbritannien abgelehnt.

  • Die Nichtverlängerung war in Deutschland durchaus populär: Sozialdemokraten und Linksliberale lehnten einen Vertrag mit dem despotischen System in Russland ab. Nur die Konservativen waren für die Verlängerung des Vertrags eingetreten.

  • Bei der Kündigung des Rückversicherungsvertrags war die Auswirkung auf die Beziehung zwischen Russland und Frankreich nicht bedacht worden. Das Zarenreich wurde endgültig an die Seite Frankreichs getrieben. Dort hatte man lange auf eine Annäherung mit Russland hingearbeitet. Der französisch-russische Zweibund wird mit dem Besuch der französischen Flotte in Kronstadt (1891) eingeleitet, 1892 durch eine Militärkonvention fortgeführt und 1894 durch einen förmlichen Vertrag vollendet. Für Deutschland bestand nun die Gefahr eines Zweifrontenkriegs. Bismarcks Alptraum, dass Deutschland von anderen Staaten "in die Zange" genommen werden könnte, wurde also bald nach seinem Sturz Realität

Am 9. November 1892 wurde in Berlin die 'Deutsche Friedensgesellgesellschaft' (DFG) gegründet. Wichtige Initiatoren dieser Gründung waren die Schriftstellerin Bertha von Suttner und der Verleger Alfred Hermann Fried. In Schriften und Vorträgen vertraten beide die Ansicht, dass der Krieg kein notwendiges Übel sei. Ihre Idee war es, das Völkerrecht zu stärken und Streitigkeiten durch ein internationales Schiedsgericht zu lösen. Beide wurden für ihre Verdienste mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet (Bertha von Suttner im Jahr 1905, Alfred Hermann Fried im Jahr 1911).

Mir ihrem im Jahr 1889 veröffentlichten Roman "Die Waffen nieder" hat Bertha von Suttner viele Menschen bewegt. Der Schriftsteller Stefan Zweig hat sie nach dem Ersten Weltkrieg als eine Art Don Quichotte gewürdigt, als eine Frau, die gegen Windmühlen gekämpft hatte, obwohl sie wusste, dass die Macht der Gewalt und der Waffenlobby stärker war.

  • Schutzzollpolitik
 
  • Ringen zwischen agrarischen und industriellen Interessen; Linksliberale und Sozialdemokraten treten für den Übergang zum Industriestaat und die Beseitigung der Schutzzölle ein. Zentrum, Nationalliberale und Konservative wollen eine lebensfähige Landwirtschaft erhalten.

 
  • Die Handelsverträge Caprivis setzen vorübergehend die Schutzzölle herab und fördern durch ein Netz von Meistbegünstigungsverträgen die Entwicklung des Außenhandels. Aktive Exportförderung. Die Einfuhr von Getreide aus Russland trifft die Interessen der preußischen Agrarier. Rückendeckung der industriefreundlichen Politik durch den Kaiser.

 

Leo von Caprivi, deutscher Staatsmann, *1831 † 1899, 1890-94 Reichskanzler

DHM Berlin, F67/2033

 
  • Aus Protest gegen Caprivi gründen die Agrarier den "Bund der Landwirte", der in der Hauptsache den Getreide anbauenden Großgrundbesitz vertritt.
  • "Weltpolitik"

  • Unter der Herrschaft Kaiser Wilhelms II. trat das Deutsche Reich seit etwa 1900 entschieden in die "Weltpolitik" ein. Der Herrscher versprach den Deutsche, er würde sie "herrlichen Zeiten" entgegenführen.

  • Deutschland nimmt bewusst am Imperialismus teil. Bernhard von Bülow, damals noch Staatssekretär im Auswärtigen Amt, fordert für das Deutsche Reich einen "Platz an der Sonne". Damit drückte er den sehnlichsten Wunsch Seiner Majestät aus. Die "Weltpolitik" tritt an die Stelle der begrenzten Kolonialpolitik Bismarcks. Der Nationalismus gewinnt an Bedeutung.

  • Das Feld, auf dem Kaiser Wilhelm II. Profil und Prestige erlangen wollte, war die Außenpolitik; er wollte Kolonien - um nahezu jeden Preis. Im November 1897 besetzten deutsche Marinetruppen das Fort Tsingtau in der chinesischen Bucht von Kiautschou, wo auch Russland Rechte beanspruchte. Nach drei Wochen diplomatischer Aktion von Bernhard von Bülow, des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, gab die russische Regierung nach, und Deutschland hatte seinen chinesischen Stützpunkt. Der spektakuläre Erfolg weckte neue Ambitionen.

 

Durch die Fortschritte in der Medizintechnik und der Ernährung seit den 1890er Jahren war besonders die Bevölkerung des Deutschen Reiches stark angewachsen. Die Ausdehnung des Territoriums der Nation schien auch für viele Ökonomen und Politiker notwendig zu sein. Die Ausdehnung des Staates und der Nation auf andere Kontinente wurde von den Großmächten Europas als "Kampf um Dasein" verstanden.

  • Der riskante Kurs der deutschen "Weltpolitik" trug viel zu der fatalen Isolierung bei, in die das Deutsche Reich mehr und mehr geriet. Im Sommer 1914 war für die maßgeblichen deutschen Politiker der Krieg der einzige Ausweg, aus dieser "Umklammerung" herauszukommen.

Zu den folgenreichen Fehlern von Kaiser Wilhelm II. gehört, dass er das Deutsche Reich mit unbedachten Auftritten und Verbalangriffen außenpolitisch isoliert. In der so genannten 'Hunnenrede' im Jahr 1900 heißt es: "Führt eure Waffen so, dass auf tausend Jahre hinaus kein Chinese es mehr wagt, einen Deutschen scheel anzusehen."

  • Der Bau der Bagdadbahn bringt Deutschland in enge Verbindung mit dem Osmanischen Reich, führt aber in ein Gebiet, in dem es mit englischen und russischen Interessen zusammentrifft.

  • Flottenpolitik

  • Der Bau der Kriegsflotte ist das persönliche Werk Wilhelms II. und des Konteradmirals Alfred von  Tirpitz, dem Leiter des Reichsmarineamtes. Das Flottenprogramm ist ein Programm der imperialistischen Weltpolitik. Mit der zweitstärksten Flotte (nach der englischen) sollte Deutschland in der Lage sein, auf der Nordsee der englischen Flotte entgegenzutreten. Bei einem Kampf sollen der englischen Flotte solche Verluste beigebracht werden, dass seine Machtstellung gefährdet wird. Dieses Risiko soll Großbritannien von einem Seekrieg mit Deutschland abschrecken.

  • Die Flottenfrage belastete das deutsch-englische Verhältnis schwer. Auf längere Sicht bedrohte das deutsche Flottenprogramm das Gleichgewicht der Großmächte auf dem Kontinent, an dem sich die englische Politik immer orientiert hatte.

Solange das Gleichgewicht zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn, Frankreich und Russland vorhanden war, vermied es Großbritannien, sich auf Bündnisse mit einer dieser Mächte festzulegen, um nicht in kontinentale Streitigkeiten hineingezogen zu werden.

  • Admiral von Tirpitz (er wurde vom Kaiser geadelt!) gelang es, im Reichstag immer wieder Mehrheiten für die Finanzierung des Flottenbaus zu erhalten. Mit seinem "Nachrichtenbuereau" mobilisierte er wirksam die öffentliche Meinung. 1899 wurde ein Flottenverein gegründet, der die Forderungen von Tirpitz zunächst weitgehend unterstützte, sich jedoch nach und nach verselbständigte und stark nationalistisches Gedankengut aufnahm (Populistischer Nationalismus).

Am 21. November 1910 übergab Kaiser Wilhelm II., begleitet von Admiral Tirpitz, die Marineschule Mürwik ihrer Bestimmung. Wilhelm II. ließ die 190 Offiziersanwärter mit dem für ihn typischen Pathos nicht im Unklaren darüber, was er von ihnen erwartete. Er wünsche sich Seeoffiziere, "wie das Vaterland sie braucht, stolze und wetterfeste Männer im Sturme des Lebens" Nach dem vorbereiteten Text fügte der Monarch ein paar improvisierte Bemerkungen hinzu. So warnte er seine Zuhörer launig vor einer großen Gefahr - dem Alkohol: "Ich weiß sehr wohl, dass die Lust am Trinken ein altes Erbstück der Germanen ist". Jedoch untergrabe der Alkohol die gesunden Nerven, die "der nächste Krieg und die nächste Seeschlacht" erfordern würden. Da werde es entscheidend darauf ankommen, "klare Nerven und kühlen Kopf" zu bewahren, denn "diejenige Nation, die das geringste Quantum Alkohol zu sich nimmt, die gewinnt."

  Alfred von Tirpitz, deutscher Großadmiral, * 1849, † 1930

Gutenberg

  • Das Bautempo für die Schiffe war mit drei Schiffen pro Jahr relativ langsam; bei diesem Tempo wäre das Ziel erst nach 25 Jahren zu erreichen gewesen. Die Engländer begannen ihrerseits, ihre Schlachtschiffe zu modernisieren und eine Serie von "Dreadnoughts", einen neuen Typ von Kriegsschiffen, zu bauen, die an Schnelligkeit und Feuerkraft den deutschen Schiffen überlegen waren.

  • Alles hing davon ab, ob Deutschland oder Großbritannien finanziell die meiste Luft haben würde, denn die Flottenrüstungsprogramme verschlangen einen erheblichen Teil des Staatsbudgets. Auf Dauer hatten die Engländer eine stärkere Finanzkraft als die Deutschen und konnten auf zwei deutsche Großkampfschiffe mit drei neuen Schiffsbauten antworten.

  • Um 1911 war klar, dass Deutschland den Seerüstungswettstreit nicht mehr gewinnen konnte. Dies war der Grund, weshalb das Deutsche Reich auf einen Kurs der Verständigung mit Großbritannien umschwenkte und zu einer verstärkten Landrüstung gegen Russland und Frankreich überging.

  • Verfassungspolitik

  • Die Wahlkreiseinteilung benachteiligt die Großstädte obwohl diese aufgrund der zunehmenden Industrialisierung das Übergewicht über das Land bekommen haben (um 1880 lebt über die Hälfte der Bevölkerung von der Landwirtschaft; 1910 sind es nicht mehr ganz drei Zehntel). Eine Änderung wird nicht vorgesehen - auch eine Art von Politik.

  • Dreiklassenwahlrecht in Preußen (eine Stimme der dritten Klasse (3,2 Millionen Wähler) hat kaum ein Zehntel des Gewichts einer Stimme der ersten Klasse (293.000 Wähler). Auch hier wurde keine Änderung durchgeführt.

  • Sozialpolitik

  • Der Kaiser erweckt am Anfang seiner Regierungszeit Hoffnungen auf den Ausbau des Arbeitsschutzes, die Regelung der Arbeitszeit, die Einrichtung von Schiedsgerichten zwischen Arbeitern und Unternehmern, die Einschränkung von Frauen- und Kinderarbeit.

Grundsätzlich war Wilhelm II. bereit, der Arbeiterschaft einige soziale Verbesserungen zuzugestehen, ihre politische Emanzipation duldete er nicht. Als seine vielen Versprechungen nicht zum erhofften Niedergang der Sozialdemokratie führten, verlor der Kaiser das Interesse an der "sozialen Frage". Die Initiativen zu sozialpolitischen Reformen kamen in der Folge nicht vom Kaiser selbst, sondern aus dem Beamtenapparat.

  •  Zu den sozialpolitischen Maßnahmen während der Regierungszeit Wilhelms II. gehören die Novellen zur Gewerbeordnung (1891 und 1908), die Einführung der obligatorischen Gewerbegerichte (1901), ein erweitertes Kinderschutzgesetz (1903), ein weiteres Unfallversicherungsgesetz (1900) und Krankenversicherungsgesetz (1903), die Reichsversicherungsordnung und die Angestelltenversicherung (1911). In der sozialen Versicherungsgesetzgebung bleibt Deutschland führend.

  • Neben den sozialpolitischen Maßnahmen stehen etliche Versuche, die Arbeiterbewegung zu unterdrücken. Ein Beispiel dafür ist die so genannte "Zuchthausvorlage": Terroristische Anschläge auf den italienischen Ministerpräsidenten Crispi und den französischen Staatspräsidenten Carnot veranlassten Wilhelm II. im Jahr 1898 eine Verschärfung des Vereins- und Versammlungsrechts sowie des Presserechts zu fordern, um auf diese Weise die politische und gewerkschaftlichen Tätigkeit der Arbeitervereine zu beschränken. Der Kampf der  Arbeiter um die Anerkennung des Streikrechts, um die Rechtsfähigkeit ihrer Organisationen und um die Reform des Arbeitsrechts setzte sich dennoch fort.

Ihren Namen verdankte die Zuchthausvorlage, der Ankündigung eines Gesetzes, wonach "jeder - er möge sein, wer er will, und heißen, wie er will -, der einen deutschen Arbeiter, der willig ist, seine Arbeit zu vollführen, daran zu hindern sucht, oder gar zu einem Streik anreizt, mit Zuchthaus bestraft werden soll."

  • Die christlichen Kirchen wenden sich zunehmend der sozialen Frage zu. 1891 fordert Papst Leo XIII. in der Enzyklika 'Rerum novarum' eine Wiederherstellung der durch Kapitalismus und Individualismus gestörten Harmonie des gesellschaftlichen Lebens. Der "Volksverein für das katholische Deutschland" wird zum Träger sozialer Arbeit. Auf evangelischer Seite fordert Friedrich Naumann eine soziale und demokratische Gesinnung, welche die geistigen Werte der Vergangenheit in die Welt des Kapitalismus hinüberretten soll.


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Machtkampf der Weltmächte 1898 - 1905


  • Mit den Vereinigten Staaten und Japan entstehen zwei neue Großmächte. Der Vorrang Europas wird fragwürdig.

  • Seit Mitte der 1980er Jahre wurden die europäischen Nationen mit zunehmender Geschwindigkeit zu imperialistischen Staaten. Überall war man überzeugt, dass die europäischen Großmächte Kolonien auf anderen Kontinenten, vor allem in Afrika, zur Erhaltung ihrer Lebensfähigkeit benötigten. "Weltmacht oder Niedergang" wurde zu einer Losung des Nationalismus. Der imperialistische Drang der Großmächte nach Machterweiterung führt zu neuen weltpolitischen Spannungen und zur Verschärfung der in Europa vorhandenen Gegensätze.

  • Vereinigte Staaten von Amerika

  • 1898 Der Krieg mit Spanien endet mit dem Erwerb Kubas und der Philippinen; im gleichen Jahr Annexion von Hawaii. Die Philippen werden zur US-Kolonie.

  • 1901 Präsident Roosevelt strebt eine Vormachtstellung auf dem amerikanischen Kontinent an, vor allem in Mittelamerika  (u.a. durch den Bau des Panamakanals)

  • Im Fernen Osten geraten die Vereinigten Staaten in Gegensatz zu Japan.

 
 

Nebenbei bemerkt: Am 18. April 1906 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7,8 die kalifornische Stadt San Francisco. Die nachfolgenden Brände machten die Stadt dem Erdboden gleich. Es war eine der größten Naturkatastrophen in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika.

  • Japan

  • Bis 1867 ein Feudalstaat. Unter amerikanischem Zwang öffnet der Kaiser sein Land dem Handel und verwandelt es zu einer modernen Großmacht

  • Gefahr der Überbevölkerung. Kampf Japans mit Russland um die Vormachtstellung in Ostasien. Hauptdruck des Expansionsstrebens richtet sich gegen das nahe liegende Festland Asiens: Korea, Mandschurei, Nordchina.

  • 1894/95 Erster Japanisch-Chinesischer Krieg: Im Frieden von Shimonoseki (1895) musste China Taiwan an Japan abgeben, wodurch die Insel zur ersten Kolonie Japans wurde. China gestand Japan auch die Kontrolle über die Halbinsel Liaodung in der südlichen Mandschurei als Pachtgebiet zu.

  • 1895: Aus Furcht vor einer Destabilisierung der Region protestierten Russland, Frankreich und das Deutsche Reich gegen die Territorialgewinne Japans (Intervention von Shimonoseki). Japan wird gezwungen, auf den Erwerb von Korea und Port Arthur zu verzichten. 

  • 1898: Nachdem Japan auf Druck der Kolonialmächte auf Liaodung verzichtet, schließt Russland einen Pachtvertrag für die Halbinsel mit China. Die Philippinen werden zur US-Kolonie.

  • 1904/05: Nach dem Boxer-Krieg in China (1899 - 1901) ignoriert Russland japanische Ultimaten, Truppen aus China wieder abzuziehen. Japan löst mit einem Überraschungsangriff auf den russischen Marinstützpunkt Port Arthur den Russisch-Japanischen Krieg aus und entscheidet diesen trotz zahlenmäßiger Überlegenheit für sich.

  • 1905: Frieden von Portsmouth: In dem Friedensvertrag, vermittelt von US-Präsident Theodore Roosevelt erhält Japan von Russland die südliche Hälfte der Insel Sachalin und Liaodung zurück. Mit den militärischen Siegen über China und Russland hatte Japan sich als Führungsmacht in Ostasien etabliert. Da es aber prinzipiell auf Expansionskurs blieb, begann nach 1905 schrittweise eine Entfremdung von den USA. Deren Einfluss in der Region wuchs, seit sie sich 1898 die Philippinen angeeignet hatten.

  • Gruppierungen und Gegensätze zwischen den alten Großmächten

  • Die so genannten "Mittelmächte", das Deutsche Kaiserreich und Österreich-Ungarn, bilden den defensiv gegen Russland gerichteten "Zweibund". Der "Dreibund" (mit Einschluss Italiens) richtet sich gegen einen Angriff Frankreichs.

  • Schwächung Österreich-Ungarns wegen interner Nationalitätenkonflikte. Wert als Bundesgenosse für Deutschland sinkt.

  • Die Politik Italiens ist von Großbritannien, der stärksten Seemacht im Mittelmeer, abhängig. Italien verspricht Frankreich 1897  im Kriegsfall neutral zu bleiben (Frankreich begünstigt dafür die Besetzung von Tripolis durch Italien). Der Dreibund wird dadurch entwertet.

  • Dem "Dreibund" steht das Bündnis zwischen Frankreich und Russland gegenüber. Für Frankreich richtet sich dieses Bündnis gegen Deutschland, für Russland gegen Großbritannien.

  • Die Versöhnung Deutschlands mit Frankreich scheitert an der elsass-lothringischen Frage.

  • Gegensatz zwischen Russland und Österreich-Ungarn. Russischer Wunsch nach Hegemonie unter den slawischen Völkern, nach Vormacht auf dem Balkan und der Verfügung über die Meerengen.

  • Großbritannien beschließt 1898 (vor dem Burenkrieg!) aus Sicherheitsgründen seine Isolationspolitik aufzugeben. Nach der Jahrhundertwende nähert es sich Frankreich und Russland an. Noch um 1900 hatte das Deutsche Reich einen ständigen weltpolitischen Gegensatz Großbritanniens zu Russland zur Grundlage seiner Außenpolitik gemacht.

  • Scheitern der Bündnisverhandlungen zwischen Deutschland und Großbritannien (1898 - 1901). Dieses Scheitern ist der Auftakt für die Ententepolitik Großbritanniens geworden.

  • Die Gegensätze Großbritanniens zu Deutschland verschärften sich ständig. Dies lag am kräftigen Wachstum der wirtschaftlichen Macht des Kaiserreichs und seinen zunehmenden imperialistischen Interessen, welche die britische Vormachtstellung ernsthaft bedrohten. Der Aufbau einer kampfstarken Flotte musste von Großbritannien als Gefährdung seiner Überlegenheit zur See aufgefasst werden.

  • 1902 schließt Großbritannien ein Bündnis mit Japan ab, das gegenseitige Neutralität beim Angriff  von mehr als einer Macht auf den Partner verspricht. Beide Staaten wollen eine russische Hegemonie in Ostasien verhindern. (Russland hatte bereits die Mandschurei besetzt und trat Japan auch in Korea als Rivale entgegen.)

Gedeckt durch das Bündnis mit Großbritannien beginnt Japan 1904 den Krieg mit Russland. Am 8. Februar 1904 wird das in russischem Besitz befindliche Port Arthur okkupiert.  1905 siegt Japan über die europäische Großmacht. Im Frieden von Portsmouth gewinnt Japan die Oberhoheit über Korea. Die Mandschurei muss an China zurückgegeben werden. Nach seiner Niederlage in Ostasien konzentriert sich die russische Politik wieder auf Europa (Balkan!).

Nebenbei bemerkt: Am 20. April 1902 gelingt es den französischen Wissenschaftlern Marie und Pierre Curie das chemische Element Radium in reiner Form zu isolieren.

  • Mit der englisch-französischen Entente von 1904 beginnt Großbritannien auch in Europa aus seiner Isolierung herauszutreten. Die "Entente cordiale" war kein Bündnis im völkerrechtlichen Sinn, sondern, wie der Name sagt, nur ein "herzliches Einvernehmen" über die Abgrenzung der beiderseitigen Interessen in Ägypten und Marokko. Großbritannien gesteht Frankreich besondere Interessen an Marokko zu, Frankreich anerkennt die englische Machtstellung in Ägypten.

Die Regierenden in Deutschland hatten es nicht für möglich gehalten, dass sich Großbritannien und Frankreich, in der Vergangenheit oft in koloniale Händel verstrickt waren, zu einer Verständigung gelangen. Im Grunde richtete sich die "Entente cordiale" gegen das Deutsche Reich.

  • Die englisch-russische Entente von 1907 sollte dem Ausgleich der Gegensätze in Asien dienen. Großbritannien verzichtet auf direkte Einflussnahme in Tibet. Afghanistan bleibt neutraler Pufferstaat. Der Norden Persiens wird russisches, der Süden englisches Einflussgebiet. Aus der "Entente cordiale" wurde die "Triple Entente". Deutschland war nun auf Gedeih und Verderb an seinen einzigen zählenden Verbündeten Österreich-Ungarn geschmiedet. Die weit gehende Isolation Deutschlands war selbst herbeigeführt worden.

Der Vertrag zwischen Großbritannien und Russland war nicht direkt gegen Deutschland gerichtet, berührte jedoch deutsche Interessen bzw. Projekte, insbesondere den Plan eines von deutschen Firmen geführten 'Bagdadbahn-Konsortiums für eine Eisenbahnverbindung von Berlin nach Bagdad. Das Gefühl der Deutschen, Opfer zielgerichteter "Einkreisung" zu sein, verstärkte sich. Dieses Gefühl war auch das Hauptmotiv für das "Losschlagen" von 1914.


Kaiser Wilhelm II.    Machtkampf der Weltmächte     Literaturangaben      zurück zum Seitenanfang  

Europäische Krisen 1904 - 1914


  • Die Marokkokrisen
 
  • Mit der 'Entente cordiale' von 1904 hatten Großbritannien und Frankreich ihre kolonialen Auseinandersetzungen um Marokko entschärft: Frankreich hielt sich aus Ägypten heraus, Großbritannien ließ den Franzosen freie Hand in Marokko. 1905 leitet Frankreich die "friedliche Durchdringung" Marokkos ein.

  • Im März 1905 landete Kaiser Wilhelm II. mit großem Gefolge in der marokkanischen Hafenstadt Tanger. Seine Absicht war es, Frankreich und Großbritannien über die Marokkofrage auseinander zu bringen. Er fordert eine internationale Konferenz zur Regelung der "Souveränität Marokkos".

 

Das Eingreifen Deutschlands in den gewohnten Prozess der informellen imperialistischen "Inbesitznahme" ferner Länder löste eine massive internationale Krise aus. Wenn Deutschland sich wirklich der Ausdehnung französischer Interessen in Marokko widersetzen würde, konnte dies sofort zu einem Krieg führen. Es war offensichtlich, dass die deutschen Militärs nichts lieber getan hätten, als mit einem gezielten Schlag die französische Republik aus dem Kreis der Großmächte zu entfernen. Angesichts dieser drohenden Gefahr gingen die Großmächte auf die Forderung Deutschlands ein, eine internationale Konferenz über die weitere Zukunft Marokkos zusammenzurufen.

  • Die internationale Konferenz von Algeciras in Spanien (1906) schrieb die Vorherrschaft Frankreichs über Marokko fest. Verwaltung, Polizei und Banken des völkerrechtlich unabhängigen Sultanats - wie in der Präambel zum abschließenden Vertrag scheinheilig betont - wurde der Kontrolle französischer und spanischer Beamten unterstellt. In Wirklichkeit ging es darum, den beiden an Marokko hauptsächlich interessierten Mächten, nämlich Frankreich und Spanien, dort weitestgehend freie Hand zu lassen. Deutschland erhielt keinen Zugriff auf diese Kontrollen Marokkos.

Anstatt, wie beabsichtigt, einen Keil zwischen Frankreich und Großbritannien zu treiben, fand sich das Deutsche Reich nun selbst in der Isolation. Die empfindliche diplomatische Niederlage verstärkte das subjektive Gefühl einer zunehmenden Einkreisung Deutschlands.

 
  • Als Frankreich im Jahr 1911 wegen innerer Unruhen in Marokko ein Expeditionskorps in die Stadt Fez entsendet, macht das deutsche Kanonenboot "Panther" vor Agadir fest ("Panthersprung nach Agadir"). Mit dieser Aktion wollte die Reichsregierung die "Entente cordiale" erneut unter Druck setzen. Der seit Juni 1910 amtierende "Außenminister" des Deutschen Reiches, Staatssekretär Alfred von Kiderlen-Waechter, versuchte die Marokko-Frage als Hebel einer deutschen Afrika-Politik einzusetzen. Von Frankreich wollte er größere Konzessionen in den französischen Besitzungen in Afrika erhalten. Im Gegenzug wollte Kiderlen-Waechter Frankreich in der Marokko-Angelegenheit freie Hand geben.  

 

  • Großbritannien reagierte anders, als es die deutsche Reichsregierung erwartet hatte. Die britische Regierung machte unmissverständlich klar, dass es im Konfliktfall an der Seite Frankreichs stehen würde. Deutschland wurde gezwungen, zugunsten Frankreichs auf die politische Einflussnahme in Marokko zu verzichten.

  • Frankreich lehnt den Anspruch Deutschlands auf Abtretung von ganz Französisch-Kongo ab. Das deutsche Reich erhielt nur unbedeutende Teile des französischen Kongogebiets und musste im Gegenzug einen Landstreifen in Togo an Frankreich abgeben.

 
  • Die Reaktionen in Deutschland auf die diplomatische Niederlage fielen verheerend aus. Nationalistische Organisationen hatten aggressive Propaganda für Deutschlands Aufstieg zur Weltmacht getrieben. In einem Buch des ehemalige Generals Friedrich von Bernhardi, das im Jahr 1912 erschien, wird die Ansicht verbreitet, "dass wir den Krieg um unsere Weltmachtstellung unter keinen Umständen vermeiden können". Diese Ansicht wurde von vielen Politikern und Offizieren geteilt. Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg, seit 1909 im Amt, wirkte mäßigend. Bei einer Reichstagsdebatte sagte er: "Für mich ... ist es Pflicht, die Geschäfte so zu führen, dass ein Krieg, der vermieden werden kann, der nicht von der Ehre Deutschlands gefordert wird, auch vermieden wird."

  • Die Balkankrisen

  • Am 6. Oktober 1908 annektiert Österreich-Ungarn Bosnien und die Herzegowina und stößt dabei auf den Widerstand Serbiens. Das Königreich Serbien wird von Russland unterstützt. Unter deutschem Druck (Deutschland will seinen letzten Bündnispartner nicht verlieren!) und durch die Vermittlung Großbritanniens muss Russland nachgeben.

Bosnien und die Herzegowina waren zwei Länder, die von Serbien beansprucht wurde. Die damit ausgelöste "bosnische Annexionskrise" brachte Europa an den Rand eines Krieges. Frankreich weigerte sich, in "Balkanfragen" das Bündnis mit Russland zu befolgen. Russland hatte sich nach seiner Niederlage gegen Japan im Krieg von 1905 noch nicht erholt, um zugunsten der bosnischen Serben und Serbien Krieg gegen Österreich-Ungarn - und damit auch gegen dessen Verbündeten Deutschland - zu führen.

  • Nachdem sich Italien mit Libyen einen Teil des Osmanischen Reiches einverleibt hatte und die Türkei aus militärischer Schwäche nicht reagieren konnte, erwachten in den Balkanstaaten die Wünsche nach nach nationaler Selbständigkeit. Russland unterstützte die Bildung eines Bundes der Balkanstaaten (Serbien, Bulgarien, Griechenland und Montenegro) mit dem Ziel, die Osmanen aus Europa zu verdrängen. Im ersten Balkankrieg (1912/13) erleidet das Osmanische Reich eine schwere Niederlage gegen diesen "Balkanbund". Im zweiten Balkankrieg wird Bulgarien durch Serbien, Griechenland und Rumänien vernichtend geschlagen. Österreich-Ungarn empfindet die Vergrößerung Serbiens als eine Bedrohung. Der Ausbruch eines Krieges zwischen Russland und Österreich-Ungarn wird durch englische und deutsche Vermittlung "in letzter Sekunde" verhindert (Botschafterkonferenz in London)

Bei einem Krieg zwischen Österreich-Ungarn, dem einzigen wichtigen Bündnispartner Deutschlands, und Russland wäre ein Eingreifen Frankreichs und Großbritanniens an der Seite ihres Partners Russland so gut wie gewiss gewesen.

  • Seit dem Jahr 1912 begannen die europäischen Nationen einen möglichen Krieg in ihren politischen und militärischen Planungen stark zu berücksichtigen. Deutschland begann mit kleineren Verstärkungen seines Heeres. Frankreich, überzeugt vom baldigen Krieg mit Deutschland, versuchte alles, um die Allianz mit Russland so zu gestalten, dass Deutschland auf jeden Fall einen Zwei-Fronten-Krieg würde führen müssen. Mit dem Ausbruch der Balkankriege erhielt das allgemeine Wettrüsten einen erheblichen Auftrieb.

  • Das Deutsche Reich und Großbritannien

  • Deutschland fürchtet die "Entente cordiale" zwischen Großbritannien und Frankreich als Instrument der Einkreisung; Großbritannien fürchtet eine deutsche Hegemonie in Europa.

  • Ab 1908 neue Verständigungsversuche: Deutschland wünscht einen Vertrag über die Neutralität Großbritanniens in einem europäischen Krieg; Großbritannien fordert Begrenzung der deutschen Flotte. Der letzte große Verständigungsversuch scheitert 1912 (Haldane-Mission).

  • Ab 1913 massive Rüstungen in Frankreich, Deutschland und Russland.


Allen Schülern und Studenten, die gerade eine Prüfung zu bestehen haben, wünschen wir viel Erfolg.  Wir drücken auch die Daumen für diejenigen, die eine Klausur schreiben müssen oder eine Hausarbeit bzw. Referat anzufertigen haben. Hat Euch unsere Seite bei der Vorbereitung oder bei der Informationssammlung geholfen?


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