Industrielle Revolution

 

 

 

 

 

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Die Welt des späten Mittelalters (1250 - 1400)

Das Ende der Luxemburger und der Aufstieg der Habsburger Kaiserdynastie (1400 - 1517)

Die Reformation von Luthers Anschlag der 95 Thesen bis zum Wormser Reichstag (1517 - 1521)

Der Dreißigjährige Krieg (1618 - 1648)

Vom Westfälischen Frieden (1648) bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen (1740)

Der Aufstieg Preußens zur europäischen Großmacht (1740 - 1763)

Die Französische Revolution bis zum Ende der Diktatur Robespierres (1789 - 1794)

Deutschland in der Zeit der Französischen Revolution und der Herrschaft Napoleons (1789 - 1815)

 Restauration und Revolution (1815 - 1830)

Monarchie und Bürgertum (1830 - 1847)

Die Revolution von 1848/49

Von der gescheiterten Revolution 1848 bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1871

Die Innen- und Außenpolitik Bismarcks (1871 - 1890)

Das Deutsche Kaiserreich von 1890 bis zum Ausbruch der Ersten Weltkriegs 1914

Die Industrielle Revolution in England und Deutschland (1780 - 1914)

Europäischer Kolonialismus und Imperialismus (1520 - 1914)

Der Erste Weltkrieg (1914 - 1918)

Der Weg zur Weimarer Republik 1918 - 1919

Der Kampf um die Staatsgewalt in der Weimarer Republik (1919 - 1933)

Die Machtübernahme der NSDAP und die Errichtung der Diktatur Hitlers (1933 - 1939)

Der Zweite Weltkrieg (1939 - 1945)

Der Weg in die Teilung Deutschlands (1945 - 1949)

Der Kalte Krieg: Vom Kriegsende 1945  bis zum Bau der Berliner Mauer 1961

Die Ära Adenauer (1949 - 1963)

Die Kanzlerschaft Ludwig Erhards 1963 - 1966

Kalter Krieg Teil 2: Von der Kubakrise 1962 bis zur Auflösung der Sowjetunion 1991

Die Zeit der Großen Koalition 1966 - 1969

Die Ära Brandt (1969 - 1974)

Die Kanzlerschaft Helmut Schmidts (1974 - 1982)

Die Kanzlerschaft Helmut Kohls von 1982 bis 1987

Die Kanzlerschaft Helmut Kohls von 1987 - 1989

Der Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands (Teil I: Die DDR von den siebziger Jahren bis zum Fall der Mauer im Jahr 1989)

Vom Fall der Berliner Mauer bis zur deutschen Einheit (1989 - 1990)

 

 

 
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Vorindustrielle Gesellschaft     Industrielle Revolution in England     Industrielle Revolution in Deutschland     Literaturhinweise  


Merkmale der Industriellen Revolution


  • Die 'Industrielle Revolution', die im späten 18. Jahrhundert in England beginnt und sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast überall in Europa durchsetzt, hat zusammen mit der 'Französischen Revolution' die Lebensverhältnisse der Menschen bis in unsere Gegenwart hinein geprägt.

 
  • Beide Revolutionen sind auf tiefgehende soziale, wirtschaftliche und kulturelle Spannungen in der Gesellschaft zurückzuführen. In ihren Folgen bewirkten sie die Auflösung und den Untergang der ständisch-agrarischen Gesellschaftsordnung. Neue Lebensverhältnisse entstanden, die wiederum zu Spannungen führten.

  • Die 'Industrielle Revolution' ermöglichte den Ausbruch aus den Zwängen der agrarischen Produktionsweise. Sie bedeutete in den industrialisierten Teilen der Erde die Befreiung der Menschen aus dem immerwährenden Kreislauf mit seiner fatalen Abfolge von Bevölkerungswachstum, Missernten, Hungersnöten, Verteilungskriegen, Seuchen, Bevölkerungsrückgang. Seit dieser Revolution kennt die Industriegesellschaft, Kriegszeiten ausgenommen, keinen Hunger, der zuvor erhebliche Teile der Bevölkerung immer wieder getroffen hatte.

  • Im engeren Sinne versteht man unter 'Industrieller Revolution' die durch die Erfindung von neuen Antriebstechniken (z.B. der Dampfmaschine) und neuer Arbeitsmaschinen (z.B. des mechanischen Webstuhls). Im weiteren Sinne bezeichnet der Begriff den durch wissenschaftlichen Fortschritt und technische Entwicklung ausgelösten schnellen Wechsel der Produktionstechniken und die damit verbundenen Veränderungen in der Gesellschaft (z.B. den Wandel vom Agrarstaat zum Industriestaat). Unter 'Industrialisierung' versteht man die Ausweitung des 'industriellen Wirtschaftsbereichs'  im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen wie dem Handwerk und dem Handel.

  • Die 'Industrie' ist der Bereich der gewerblichen Wirtschaft für die Gewinnung von Rohstoffen, die Bearbeitung und Verarbeitung von Rohstoffen und Halbfabrikaten, die Herstellung von Endprodukten sowie für Montage- und Reparaturarbeiten. Industriebetriebe sind vor allem durch maschinelle Produktion, weit gehende Arbeitsteilung und Massenfertigung in größeren Betriebsstätten gekennzeichnet.

  • Wenn wir in den folgenden Abschnitten Voraussetzungen und Vorgänge des Industrialisierungsprozesses nennen, so handelt es sich keinesfalls immer um einfache Kausalketten (Ursache - Wirkung). Vorgänge und Faktoren sind wechselseitig abhängig und haben jeweils nach Ort und Entwicklungsstand unterschiedliches Gewicht.


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Kennzeichen der vorindustriellen Gesellschaft


  • Die Neuartigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie durch die 'Französische Revolution' und die 'Industrielle Revolution' hervorgerufen wurden, kann man nur dann erkennen und bewerten, wenn man sie mit den wesentlichen Kennzeichen der vorindustriellen Gesellschaft vergleicht.
  • Absolutistische Herrschaftsform
 
  • Im 17. Jahrhundert hatte sich in Frankreich der Absolutismus (d.h. eine Königsherrschaft, die nicht durch Gesetze und Institutionen begrenzt ist), weit gehend durchgesetzt. Die Ausweitung der königlichen Macht ging zu Lasten der Stände (Adel, Klerus, Dritter Stand). Der Absolutismus in Frankreich zentralisierte die Verwaltung des Staates, förderte den Handel, die Stadtentwicklung, später das Gewerbe und die Manufaktur.

  • Im England des 17. und 18. Jahrhunderts regierten der König, der Adel und ein Teil des städtischen Großbürgertums. Andere Stände hatten entweder überhaupt keine Rechte oder waren auf den Ständeversammlungen nur beschränkt vertreten.

  • Ständische Gesellschaftsordnung
 
  • Die gesellschaftliche Ordnung im 17. und 18. Jahrhundert war ständisch geprägt. Die Einteilung und die Benennung der verschiedenen Stände war in Europa nicht überall gleich. Unterschiede zwischen den Ständen (in Frankreich also zwischen Adel, Klerus und Drittem Stand) gab es nicht nur im wirtschaftlichen und sozialen Bereich sondern auch in rechtlicher Hinsicht.

 
Hierarchische Ständeordnung. Auf der obersten Stufe steht der König, der über verschiedene Stufen Rechte ausleihen kann. Die unterste Stufe stellen die unfreien Schichten dar.
 
  • In allen europäischen Staaten stand der Grund besitzende weltliche und geistliche Adel mit den Fürsten und Königen an der Spitze der Rangordnung. Der Adel kontrollierte die Nutzung des Bodens und lebte hauptsächlich von den Abgaben und Dienstleistungen der von ihm abhängigen Bauern. In den meisten Ländern war der Adel bis in das 18. Jahrhunderts hinein von der Steuerzahlung befreit.

  • Ein Wechsel zwischen den Ständen war nur in sehr geringem Maße vom persönlichen Entschluss eines einzelnen Menschen, seiner Befähigung und seiner Ausbildung, abhängig. Wenn man in eine soziale Schicht hinein geboren wurde, so wurde man durch Rechtsvorschriften darin festgehalten. Auch die Wahlmöglichkeit im Hinblick auf den Wohnort, die Arbeitsstelle, den Beruf und die Heirat war insbesondere bei der unteren Schichten strengstens geregelt.

 
  Unfreie Bauern mussten von ihrem Grundherren freigelassen werden oder ihre Freiheit erkaufen, um in der Stadt einen handwerklichen Beruf ergreifen zu können. Die Zugehörigkeit zu einem Berufszweig in den Städten war durch Verbände von Handwerkern und Kaufleuten, das heißt durch Zünfte und Gilden, geregelt.
 
  • Auch bei der ständischen Ordnung blieben Konflikte zwischen den sozialen Gruppen nicht aus. So kam es in Deutschland und Frankreich mehrfach zu gewalttätigen Aktionen zur Verteidigung oder zum Erwerb von politischen und wirtschaftlichen Rechten. Beispiele sind die Bauernkriege, die Konflikte zwischen Handwerkerzünften und Kaufmannsgilden, die Kämpfe zwischen den städtischen bürgerlichen Schichten und den adeligen Stadtherren. Die Änderungen vollzogen sich jedoch sehr langsam und erfassten nur kleine Bevölkerungsgruppen.

  • Agrargesellschaft
 
  • Noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lebten in Deutschland 90 Prozent der Gesamtbevölkerung auf dem Land, 10 Prozent in Städten oder stadtartigen Siedlungen. Ca. 80 Prozent der Menschen waren  ausschließlich in der Landwirtschaft beschäftigt. Die übrigen widmeten sich teils hauptberuflich, teils nebenberuflich - vor allem in der Stadt - handwerklichen, kaufmännischen, militärischen oder amtlichen Tätigkeiten.

 
Das Arbeiten der Bauern mit dem Räderpflug
 
  • Die Städte waren im 17. und 18. Jahrhundert im Durchschnitt und im Vergleich mit unserer Zeit verhältnismäßig klein. Bis zum Ende des Mittelalters lag die Einwohnerzahl in der Mehrzahl der deutschen Städte noch unter 5000. Um 1800 hatte Berlin 200 000, Hamburg etwas über 100 000 Einwohner.

  • Mit dem agrarischen Charakter der gesellschaftlichen Ordnung, der bis in das städtische Leben hineinreichte, waren die Lebenshorizonte und Natureinstellungen, Familienformen und Erziehungspraktiken sowie die Berufswahl und Berufsausbildung verbunden.

  • Bindung an Traditionen
 
  • Im Verhalten, in der Verteilung von Rechten und Pflichten, in der Erziehung, in der Arbeitsweise spielten Überlieferungen der Vorfahren eine viel größere Rolle als heute. Von technischem Fortschritt war wenig die Rede.

  • Bestimmend für das Verhalten der meisten Menschen war ihre Beziehung zum Glauben und zur Kirche. Die kirchliche Organisation interpretierte die Über- und Unterordnung von Menschen als von Gott gewollt und trug damit zur Wahrung der bestehenden Verhältnisse und Normen bei.


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 Ursachen, Verlauf und Folgen der Industriellen Revolution in England


  • Die Industrielle Revolution beginnt um das Jahr 1780 in England. Wenn man nach den Ursachen und Bedingungen fragt, warum gerade dieses Land zum Ausgangspunkt der Industrialisierung wurde, so muss man eine Vielzahl von Faktoren nennen, die sich wechselseitig beeinflussten. Einige dieser Faktoren sind völlig unabhängig voneinander entstanden.

  • Bevölkerungszunahme

  • Die Bevölkerung Englands (mit Wales) wuchs von 1780 bis 1850 von 8 auf 18 Millionen, bis 1900 auf rund 32 Millionen und übertraf damit das Bevölkerungswachstum in Deutschland. In beiden Ländern ist die Zunahme auf das Zurückdrängen der Kindersterblichkeit, die steigende Lebenserwartung sowie auf den Rückgang der Seuchen als Folge verbesserter Hygiene zurückzuführen. In England kommen die Auswirkungen der gestiegenen geographischen Mobilität (z.B. Abwanderungsmöglichkeit der Bauern in die Stadt), ferner der Wegfall von Heiratsverboten und die frühe Beseitigung des Zunftzwanges hinzu.

  • Die Zahl der Einwohner auf dem Gebiet des Deutschen Reiches nahm zwischen 1816 und 1850 von 24,8 Millionen auf 35 Millionen um mehr als 40% zu und schnellte dann nochmals auf 64 Millionen im Jahr 1910 in die Höhe.

 
   

England / Wales

 

Deutschland

   
    Bevölkerung (in Mill.) Wachstum (in %) Bevölkerung (in Mill.) Wachstum (in %)  
             
  1780 8   21    
  1800 9 12,5 23 9,5  
  1825 14 55,6 28 21,7  
  1850 18 28,6 35 25,0  
  1875 25 38,9 43 22,9  
  1900 32 28,0 56 30,2  
  1910 40 25,0 64 14,3  
             
  Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung: 1848 - 1949, ein Jahrhundert der deutschen Geschichte (CD-ROM)
 
  • Mit der Bevölkerungszunahme erweiterte sich auch die Nachfrage nach gewerblichen Gütern, vor allen Dingen nach Textilien, und trieb die Produktion von Rohstoffen wie Wolle oder die Einfuhr von Baumwolle gewaltig an.
  • Politische Faktoren
 
  • Seit dem 17. Jahrhundert war England, gestützt auf die größte europäische Flotte, größte Handelsmacht Europas. Diese dominierende Stellung konnte es in den Kriegen des 18. Jahrhunderts, insbesondere im Siebenjährigen Krieg und in den napoleonischen Kriegen, behaupten.

  • Mit der zunehmenden Bedeutung der Schifffahrt und des Welthandels lockerte sich in England die Trennung in Stände früher als in den Ländern des europäischen Kontinents. So konnte der Adel am Handel teilnehmen und Verbindungen mit dem städtischen Patriziat eingehen. Die durch Lockerung der Ständeschranken bewirkte soziale Mobilität größerer Bevölkerungsschichten sowie größere politische und gewerbliche Freiheiten förderten die Ausbreitung des Handels, die Entwicklung des Handwerks, die Entfaltung des Verlagswesens sowie die Ausweitung der größeren Manufakturwerkstätten.  Auch die Grundlagen für technische Erneuerungen und die Kapitalbildung wurden dadurch geschaffen. 

  • In England gab es keine absolutistische Herrschaft eines Königs. Ansätze dazu, die es im 17. Jahrhundert gegeben hatte, wurden nach revolutionären Ereignissen unter der Führung von Oliver Cromwell beseitigt. 1688/89 wurden die Herrschaftsbefugnisse des Königs durch die Verfassung stark eingeschränkt.

  • Das 'Verlagswesen' brachte die Produkte der Heimarbeitern auf den Markt. Den Heimarbeitern wurden Rohstoffe und Werkzeuge leihweise zur Verfügung gestellt.

  • Wirtschaftliche und gesellschaftliche Faktoren

  • Im 18. Jahrhundert erließ das englische Parlament eine Reihe von Gesetzen, welche das Einziehen und Aufkaufen von Bauernhöfen durch die Grundherren begünstigten. Zum Zwecke der Schafzucht, also der Produktion von Wolle, wurde es dem Landadel und auch dem Bürgertum ermöglicht, ertragsintensive Großgüter zu errichten. Viele Bauern nahmen dies zum Anlass, in die Städte abzuwandern.

  • Die in die Städte zugewanderten Bauern stellten die Arbeitskräfte für die im Aufschwung befindliche Industrie. Allerdings mussten sie wegen des Überangebots an Arbeit Suchenden und wegen fehlender Sozialgesetze zu niedrigsten Löhnen und extrem schlechten Arbeitsbedingungen arbeiten.

  • Zur besseren Ausnutzung des Bodens führten die Besitzer der Großgüter den systematischen Fruchtwechsel anstelle der alten Dreifelderwirtschaft, bei der immer ein Drittel des Bodens brachlag, ein. Der Anbau von Futterpflanzen machte die Stallfütterung möglich, die wiederum die Düngung der Felder verbesserte.

  • Die Umgestaltung der Agrarstruktur und die Änderung der Anbaumethode bewirkte, trotz der Abwanderung der kleinen Bauern in die Städte, ein Anwachsen der landwirtschaftlichen Produktion. Daraus entstand ein gesteigerter Bedarf der Landwirtschaft und ihrer Verarbeitungsbetriebe, etwa der Mühlen, an industriellen Produkten.

Die erhöhte Produktivität der Landwirtschaft verbesserte den Lebensstandard der Bevölkerung, der wiederum mit der Bevölkerungszunahme im Zusammenhang stand. Die rasch zunehmende Bevölkerung sorgte dafür, dass sich der Binnenmarkt vergrößerte. Dabei kam es England zugute, dass es bereits seit dem 16. Jahrhundert einen einheitlichen Wirtschaftsraum ohne Binnenzölle darstellte.

  • Zum Transport von Massengütern bot sich für England der im Vergleich zum Straßensystem billigere Weg auf dem Wasser an. Die Möglichkeit der Küstenschifffahrt spielt bei der wirtschaftlichen Entwicklung Englands eine große Rolle. Auch im Inland gab des die Möglichkeit des Transports auf Wasserwegen, entweder auf den schiffbar gemachten Flüssen oder auf dem im 18. Jahrhundert entwickelten Kanalsystem.

  •  Die Ausdehnung des Kolonialbesitzes und die Erweiterung des Welthandels trug zur Kapitalbildung in England bei. Das im Ausland angesammelte Kapital und das hoch entwickelte englische Bankwesen mit relativ niedrigen Zinsen stellten entscheidende Voraussetzungen für die Industrialisierung dar.

  • England nutzte, früher als andere Länder, die Kohle als Energiequelle. Die Kohleförderung regte die Entwicklung der Dampfmaschine an und schuf die Basis für die Eisenproduktion. Außerdem verfügte England über Eisenerz.

  • Die englische Wirtschaftsordnung beruhte weitgehend auf der Freiheit und der Eigeninitiative der Unternehmer. Die absoluten Monarchien auf dem Festland reglementierten die Wirtschaft ihres Landes, was häufig zur Folge hatte, dass zahlreiche Betriebe gegründet und begünstigt wurden, die sich später als nicht lebensfähig erwiesen, weil sie ein veraltetes Herstellungsverfahren benutzten oder am Markt vorbei produzierten.

 
 
  • Der schottische Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler Adam Smith (* 1723, † 1790) versucht in seinem im Jahr 1776 veröffentlichten Buch "Der Wohlstand der Nationen" zu zeigen, dass der eigennützige, auf seinen persönlichen wirtschaftlichen Vorteil bedachte Mensch mit seinem wirtschaftlichen Handeln gleichzeitig dem Wohl aller anderen dient. Er sah damit den Egoismus des Menschen als treibende Kraft wirtschaftlichen Handelns an. Für Adam Smith ist die "unsichtbare Hand" die Bezeichnung für die Selbststeuerung der Wirtschaft über Angebot und Nachfrage. Das Marktgeschehen ist nach seiner Ansicht eine ordnende und regulierende Kraft, die den Einzelnen dazu bringt, seine wirtschaftlichen Interessen nach bestmöglicher Bedürfnisbefriedigung zu verfolgen und dabei gleichzeitig dem Interessen der Gesellschaft nach bestmöglicher Güterversorgung zu dienen. Der Gedanke von Smith, dass das private Gewinnstreben zu kollektivem Wohlstand führt, war damals revolutionär.- Mit anderen Worten behauptete Smith: Wenn ich reicher werde, nutze ich damit nicht nur mir selbst, sondern allen. Reich zu sein, bedeutet ein moralischer Mensch zu sein.

  • Adam Smith betrachtete die menschliche Arbeit und die Arbeitsteilung als Quellen des menschlichen Wohlstands. Für ihn vermehrt nur die Arbeit den Wert eines Gutes und das umso wirksamer, je mehr sie nach ihrer Qualifikation und Spezialisierung arbeitsteilig eingesetzt wird. Voraussetzung für die Arbeitsteilung ist dabei ein funktionierender Marktmechanismus. Durch das Eigeninteresse stellt sich, so Adam Smith, im freien Wettbewerb das Gleichgewicht zwischen Produktion, Verbrauch, Lohn und Preis ein.

 
  • Finanzierung der Investitionen über Kredite
 
 
  • Der Bau von Fabriken oder Eisenbahnen verschlang erheblich mehr Kapital als an Spargeldern vorhanden war. Die Investitionen wurden zunehmend über Kredite finanziert. Da die Banken das Geld ihrer Kunden, das auf Geld- oder Sparkunden gutgeschrieben war, zum überwiegenden Teil dazu benutzten, als Kredit an andere Kunden weiterzugeben, konnte neues Geld geschaffen und die umlaufende Geldmenge erhöht werden.

Exkurs: Der Kreditbetrag wird dem Kunden auf einem Konto zur Verfügung gestellt, der zum Beispiel eine Ware kauft und die Kaufsumme auf das Konto seines Lieferanten überweist. In jedem Schritt wird quasi neues Geld geschaffen. Ähnliches geschieht, wenn die Banken von ihren Kunden Wechsel ankaufen und den Gegenwert auf dem Konto des Kunden gutschreiben. Dieses über das Bankensystem geschaffene Geld vermehrt das in Form von Banknoten und Münzen umlaufende Geld.

  • Die Aufnahme eines Kredits basiert auf dem Vertrauen, dass in Zukunft mehr Ressourcen zur Verfügung stehen als in der Gegenwart. Dies ist dann der Fall, wenn man auch darauf vertraut, dass Produktion und Handel durch neue Erfindungen, Verbesserungen und auch Entdeckungen zunehmen werden. Während der Industriellen Revolution wurde (in England und auch in anderen europäischen Ländern) unter dem Eindruck des Fortschrittsgedankens immer mehr Kredite vergeben und nachgefragt. Das eintretende reale Wirtschaftswachstum stärkte das Vertrauen in die Zukunft und bereitete den Boden für neue Kredite.

  • Wissenschaft und Technik
 
  • Neue Formen der Energiegewinnung und der Energieproduktion
 
 
  • Vor der Industriellen Revolution bildeten Mensch, Tier, Wasser und Wind die wichtigsten Energiequellen. Ende des 17. Jahrhunderts zeichnet sich ab, dass Muskel-, Wasser- und Windkraft bald nicht mehr ausreichen, die immer zahlreicher und vielfältiger werdenden Arbeitsmaschinen anzutreiben. Besonders deutlich wurde dies im Bergbau, wo die Antriebskraft der Pumpen zur Entfernung des in die Gruben einströmenden Wassers nicht mehr ausreichte. Gelöst wurde dieses Problem durch die Nutzung der Dampfmaschine, die schließlich zu einer Triebfeder der Industriellen Revolution wurde.

 

  • Der Erfinder der Dampfmaschine ist nicht James Watt, wie es heute noch in vielen Schulbüchern steht. Der in Deutschland lebende Franzose Denis Papin und der Engländer Thomas Savery hatten sich unabhängig voneinander um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert bemüht, Dampfmaschinen zu bauen ("mit Feuer Wasser zu heben"). Schuld daran, dass die Arbeiten nicht über das Versuchsstadium hinauskamen, war das niedrige Niveau der damaligen Maschinenbautechnik.

  • James Watt hat die Bautechnik der Dampfmaschine verbessert und so umkonstruiert, dass sie in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts in der englischen Textilindustrie für den Antrieb von Spinn- und Webmaschinen benutzt werden konnte.

James Watts Dampfmaschine - eine Triebfeder der Industriellen Revolution

Deutsches Museum München, Inv.-Nr. 1913/37193

 
  • Durch die neue Form des Kraftantriebs war die industrielle Fertigung nicht mehr an einen Standort, z.B. an einen Wasserlauf, gebunden und auch nicht mehr vom Wechsel der Jahreszeiten abhängig. Da die Schwankungen in der Leistungskraft von Mensch und Tier wegfielen, konnten Tempo, Stetigkeit und Genauigkeit der Produktfertigung wesentlich erhöht werden.

 
  • Maschinensysteme und technologische Fortschritte
 
 
  • Im 18. Jahrhundert konzentrierte sich die Entwicklung von Maschinen zunächst auf das Textilgewerbe. An die Stelle des einzelnen Spinnrads traten kombinierte Spinnmaschinen, an die Stelle des einzelnen Handwebstuhls die Webmaschinen. Die Wasserräder, die ursprünglich für den Kraftantrieb gesorgt hatten, wurden durch Dampfmaschinen ersetzt.

 
Baumwollspinnerei in England um 1835
 
  • Die Entwicklungen im Kraftantrieb und von Maschinensystemen beeinflussten sich gegenseitig. Der Dampfantrieb wurde auch bei anderen Maschinenarten und bei Transportmitteln wie zum Beispiel bei Lokomotiven und Schiffen übernommen. Verbesserungen der Antriebstechnik zwangen zu besserer Schmiedetechnik, vor allem bei der Herstellung des Zylinders und von Maschinenwerkzeugen. Auf der anderen Seite schuf die Einführung der Dampfmaschine in der Eisenindustrie die Voraussetzung für die Verbesserung der Eisenverarbeitung und der Schmiedearbeit.

 
Edmond Cartwrights mechanischer Webstuhl


Deutsches Museum München, Inv.-Nr. 1907/12315
 
  • In der Eisenindustrie wird ab 1830 das Puddelverfahren verwendet, das sechs Siebtel der bisherigen Arbeitszeit beim Herstellungsprozess von Eisen einsparte. Im Bergbau ermöglichten neue Techniken den Abbau in viel größerer Tiefe als bisher.
 
  • Transportsysteme
 
 
  • Ständige Verbesserungen der Transportsysteme führten zur Verbilligung der Transportkosten, zu höherer Geschwindigkeit beim Rohstofftransport und beim Personenverkehr. Für die die Entwicklung der Industrie waren diese Faktoren von großer Bedeutung.

  • In England wurde die erste Eisenbahn überhaupt gebaut. Dazu entstand ein Schienennetz, das schließlich das ganze Land überzog. Der Bau von Lokomotiven, Waggons und Bahnstrecken förderte neben der Eisen- und Maschinenindustrie auch die Nachfrage nach Holz, Glas und Leder.

  • Der Eisenbahnbau wirkte sich auch auf dem Kapitalmarkt aus. Große Bevölkerungskreise beteiligten sich am Erwerb und am Handel von Eisenbahnaktien. Eine "neue" Klasse der "reinen Kapitalanleger" entstand.

  • Wandel der Lebensbedingungen
 
  • Die Kehrseite des Glanzes, welche die Entwicklung von Industrie und Technik mit sich brachte, war das Elend der breiten Massen in den überfüllten Städten, die dem Zustrom nicht gewachsen waren und sich mangels Kanalisation und Hygieneeinrichtungen wiederholt Epidemien wie der Cholera ausgesetzt sahen. England, das den kontinentalen Ländern in der Ausbildung des Industriesystems voraus war, zeigt die krassesten Auswüchse des Frühkapitalismus.

  • Im Nordwesten Englands rings um Manchester markierten die Jahre nach 1800 die erste Hochphase der industriellen Revolution. Vor allem die erste industrielle Spinnmaschine hatte ihren Siegeszug angetreten und den ersten Arbeitsgang der Textilindustrie revolutioniert. In Manchester gab es die ersten dampfgetriebenen Spinnereien, die an 50.000 oder mehr Spindeln gleichzeitig Baumwollgarn spannen. Verlierer dieser ersten Phase der industriellen Revolution waren vor allem die selbständigen Spinner, die ihr Gewerbe in Heimarbeit ausübten. Zwar verstärkten die neu entstehenden Webereien die Nachfrage nach Garn, aber mit dem Ende napoleonischen Kriege (1815) drängten auch die zurückkehrenden Soldaten wieder auf den Arbeitsmarkt. Da Spinnräder nur eine geringe Investition erforderten und auch auf engstem Raum betrieben werden konnten, waren sie für Kleinunternehmer attraktiv. Die Konkurrenz untereinander und gegen die mechanischen Spinnereien schlug jedoch schnell auf die Einkommen durch, die kontinuierlich sanken. Zugleich zog das Wachstum der städtischen Textilindustrie die Bevölkerung aus dem Umland an. Wer in der Landwirtschaft kein Auskommen mehr fand, ging in die Stadt, wo die Fabriken Beschäftigung versprachen. Um 1780 lebten in Manchester gerade einmal 30.000 Einwohner; 20 Jahre später waren es fast 75.000, und der Zensus von 1821 wies 126.000 Bewohner aus. Da die Stadtfläche nicht mitwuchs, zwängten sich immer mehr Menschen in zu kleine Wohnungen oder Kellerräume. Der Weg zur Verelendung der Arbeiter, wie sie Friedrich Engels um 1840 beschrieb, war vorgezeichnet.

  • Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts trat eine Verbesserung in der Lage der englischen Arbeiterschaft ein. Zwischen 1850 und 1865 stiegen die Löhne entsprechend den Lebenshaltungskosten. Nach 1865 erhöhten sich die Reallöhne.

  • Entstehung des modernen Kapitalismus
 
  • Zum Begriff des Kapitalismus: Der Kapitalismus ist eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Angebot und Nachfrage bestimmen Markt und Produktion. Das Kapital sind Maschinen, Anlagen, Fabrikhallen, Geld, Fahrzeuge und so weiter. Im Kapitalismus befindet sich das Kapital im Besitz von Unternehmen. Der Staat greift wenig oder gar nicht in das Wirtschaftsgeschehen ein. Die Unternehmer können weitgehend frei arbeiten und arbeiten lassen. Der Staat schützt das Privateigentum und die Unternehmer. (Quelle: Das junge Politik-Lexikon von www.hanisauland.de, Gerd Schneider/Christiane Toyka-Seid)

  • Der moderne Kapitalismus ist um 1760 im Nordwesten Englands entstanden, als Webstühle und Spinnereien mechanisiert wurden. Die Ursache für den Beginn der Industrialisierung in England lag darin, dass die Löhne der englischen Arbeiter im 18. Jahrhundert die höchsten der Welt waren. Damit wurden die britischen Waren international nicht mehr konkurrenzfähig. Weil die Arbeit der Menschen teuer war, lohnte es sich erstmals, Maschinen einzusetzen. Durch den Einsatz von Technik konnte jeder einzelne Arbeiter mehr Waren herstellen. Damit kamen das Wachstum und der Reichtum in die Welt. Da Löhne nicht nur Kosten für den Unternehmer sind, sondern auch Nachfrage darstellen, entwickelt sich die Wirtschaft nur dann stabil, solange die Reallöhne steigen und mit dem Produktivitätszuwachs (der Effizienz) mithalten. Wenn es technisch möglich ist, mehr Waren herzustellen, muss auch die Massenkaufkraft steigen, damit es Kunden gibt, die diese Güter erwerben können.

  • Der Kapitalismus ist keine Marktwirtschaft, denn dieses Konzept geht davon aus, dass die Betriebe einem möglichst perfekten Wettbewerb unterliegen, dass also kein einzelnes Unternehmen dominiert. Diese Art der Konkurrenz ist im Kapitalismus eher selten. Der Grund dafür liegt darin, dass alle Märkte irgendwann gesättigt sind. Den Verdrängungswettbewerb überleben dann nur diejenigen Unternehmen, die ihre Waren und Dienstleistungen am günstigsten produzieren und anbieten können. Dies sind in der Regel große Unternehmen, denn je größer die Stückzahlen sind, desto billiger wird die eingesetzte Technik pro Ware oder Dienstleistung.

  • Ein entscheidender Faktor der modernen kapitalistischen Wirtschaft war, dass Gewinne aus der Produktion wieder in die Steigerung der Produktion (z.B. in den Ausbau der Fertigungsanlage, in die wissenschaftliche Forschung oder in die Entwicklung neuer Produkte) investiert wurden. Dieser Gedanke war den Menschen lange Zeit fremd gewesen.

  • Nachteile des Kapitalismus: Kapitalismus erzeugt nicht nur Wachstum, sondern benötigt auch Wachstum, wenn es nicht zu schweren Wirtschaftskrisen kommen soll. Ohne Wachstum setzt eine unkontrollierbare Abwärtsspirale ein: wenn die Unternehmen Verluste fürchten, investieren sie nicht mehr. Arbeitsplätze und die Kaufkraft gehen verloren,  die Nachfrage sinkt, die Produktion schrumpft, weitere Entlassungen von Arbeitskräften. Die Grenzen des Wachstums sind erkennbar: Rohstoffe werden knapp, Ausbeutung der Umwelt.


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Ursachen, Verlauf und Folgen der Industriellen Revolution in Deutschland


  • Die erste Phase der Industrialisierung (1835 - 1849)
 
  • Politische Voraussetzungen für die Industrialisierung
 
 
  • Bauernbefreiung: Am 9. Oktober 1807 wurden in Preußen alle Bauern zu freien Bürgern erklärt. Die Bauern konnten nun selbst über ihren Wohnsitz und ihre weiteren Berufsziele entscheiden. Sie hatten die Möglichkeit, sich von den Frondiensten und Feudalabgaben freizukaufen und das von ihnen genutzte Land des Grundherrn als Eigentum zu erwerben.

  • Gewerbefreiheit: Im Rahmen der Stein-Hardenbergschen Reformen wurden am 9. November 1807 in Preußen die Gewerbefreiheit eingeführt. Die Zünfte der Handwerker wurden aufgelöst. Bauern, Bürger und Handwerker konnten ein frei gewähltes Gewerbe ergreifen, der Weg zu Eigeninitiative und Unternehmergeist war geebnet.

  • Mit dem Zollverein von 1834 schuf Preußen im Norden Deutschlands durch den Abbau von Zollgrenzen einen größeren und einheitlichen Wirtschaftsraum.

 
  • Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft als Voraussetzung für die Industrialisierung
 
  • Nach der Bauernbefreiung machte die deutsche Landwirtschaft ähnliche Verbesserungen durch, wie die englische Landwirtschaft im 18. Jahrhunderts: die Einführung der Fruchtwechselwirtschaft zur besseren Ausnutzung des Bodens, die Ausweitung der Futterpflanzung und des Kartoffelanbaus, die Verbesserung der Düngung.

  • Wie in anderen Ländern war auch in Deutschland die wachsende Verbesserung der maschinellen Ausrüstung der Landwirtschaft Voraussetzung für den Industrialisierungsprozess.

 
  • Wachstum der Bevölkerung
 
  • Die mit der Produktivitätssteigerung der Landwirtschaft verbundene Verbilligung der Lebenshaltung sowie neue Verdienstmöglichkeiten auf dem Land durch Lohnarbeit waren Mitursachen für das Wachstum der Bevölkerung.

  • Andere wichtige Ursachen für das Bevölkerungswachstum sind: 1. Aufhebung der Gebundenheit an einen bestimmten Ort durch die Bauernbefreiung und den Zunftzwang, damit größere Mobilität der Stadt- und Landbewohner. 2. Fortfall von Heiratsbeschränkungen für Angehörige der unteren Bevölkerungsschichten. 3. Sinken der Sterblichkeitsrate (vor allem der Säuglingssterblichkeit) durch Fortschritte in der Medizin 4. neue hygienische Maßnahmen.

  Die für die Industrialisierung notwendigen Arbeitskräfte waren infolge des Anwachsens der Bevölkerung und der teilweisen Abwanderung der Bauern in die Stadt in den 30er und 40er Jahren in reichlicherem Maße vorhanden, als die Fabriken aufnehmen konnten.
   
 
  • Verlauf der Industrialisierung in der ersten Phase (1835 - 1850)

  • Der Beginn der eigentlichen Industrialisierung in Deutschland ist um das Jahr 1835 anzusetzen. In diese Zeit fällt ein allgemeiner werdender Übergang von der Handarbeit zur Maschinenarbeit, die Erleichterung des Handels durch den Zollverein, Patentübereinkünfte und der Aufschwung des Bankwesens.

  • Eine entscheidende Voraussetzung für die Industrialisierung in Deutschland stellt der Beginn des Eisenbahnbaus dar. Die von der privaten 'Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft' 1835 in Nürnberg erbaute 'Bayerische Ludwigsbahn' wird als erste deutsche Eisenbahn angesehen. Am 7. Dezember 1835 wurde als erste deutsche Eisenbahnverbindung die Kurzstrecke von Nürnberg nach Fürth eröffnet. Bereits 1836 Jahr nutzten durchschnittlich 615 Reisende je Tag und Richtung die sechs Kilometer lange Strecke. Kurz darauf entstanden die ersten Fernstrecken. Den Anfang machte die Strecke zwischen Leipzig und Dresden, die ab 1839 auf ganzer Länge befahrbar war.

Eisenbahn Nürnberg-Fürth 1835

  • Im Jahr 1835 existierte in den handwerklich und landwirtschaftlich geprägten deutschen Staaten noch keine Eisenbahnindustrie. Die Erwartungen an das neue Verkehrsmittel waren allerdings sehr groß. Der Nationalökonom Friedrich List (*1789, † 1846) hatte bereits 1833 einen detaillierten Streckenplan für die Eisenbahn in Deutschland entwickelt. Er träumte vom "Herkules in der Wiege, der die Völker erlösen würde von der Plage des Kriegs, der Teuerung und Hungersnot, des Nationalhasses und der Arbeitslosigkeit, der Unwissenheit und des Schlendrians". Insbesondere das aufstrebende Bürgertum wollte sein Geld in die neu gegründeten Eisenbahngesellschaften anlegen.

Auch der Breslauer August Borsig (*1804, † 1854), der nach einer Lehre als Zimmermann und ersten Erfahrungen im Maschinenbau beim späteren Konkurrenten Franz Anton Egells im Juli 1837 in Berlin eine eigene "Maschinenbauanstalt" gegründet hatte, wollte vom aufkommenden Eisenbahnboom profitierten. Bei der Reparatur von importierten Lokomotiven erhielt Borsig Einblick in deren Konstruktion. Auf der Grundlage amerikanischer Noris-Loks entwickelte er ein eigenes, besseres Modell. Diese erste in seinem Unternehmen hergestellte Lokomotive absolvierte am 24. Juli 1841 ihre Jungfernfahrt und wurde am 24. August 1841 von der 'Berlin-Anhaltischen Eisenbahn-Gesellschaft' übernommen. 1842 wurden acht und 1843 zehn bestellte Dampflokomotiven nach amerikanischen Vorbildern für die preußischen Bahnen fertiggestellt. Durch Umstellung der Fertigung auf Massenproduktion konnte Borsig ´seine Loks sogar günstiger anbieten als die ausländischen Konkurrenz. Lieferte das Unternehmen im Jahr 1844 noch 20 Loks aus, waren es 1847 bereits 67. 1854 wurde die 500. Dampflokomotive in den Fabriken gebaut. Bis weit in das 20. Jahrhundert prägte das Unternehmen August Borsigs den Lokomotivbau in der ganzen Welt.

  • Mit dem Eisenbahnbau wurde es möglich, auch abseits von See- und Binnenschifffahrtswegen in größerem Umfange Industriebetriebe zu errichten. Die ersten Eisenbahnen waren, von wenigen Ausnahmen wie in Baden abgesehen, Privatunternehmungen. Erst nach 1850 baute der Staat, vor allem Preußen, in eigener Regie neue Bahnstrecken.

  • Beim Bau der Eisenbahn und der Bahnstrecken fanden viele Menschen eine Arbeit, auch außerhalb der Großstädte.

  • Die Eisenbahn ermöglichte den Handel mit Waren in bislang nie dagewesenem Umfang und unerreichter Geschwindigkeit, und das zu günstigeren Transportpreisen als zuvor. Vor allem der Steinkohlenbergbau, die Eisen- und Stahlindustrie sowie der Maschinenbau profitierten von dem neuen Verkehrsmittel - das selbst wiederum neue Fabriken notwendig machte. Auch für die Entwicklung des Kapitalmarkts spielte der Eisenbahnbau eine große Rolle.

  • Die wichtigsten technologischen Erfindungen der 30er und 40er Jahre kamen aus England. Unter dem Konkurrenzdruck des in quantitativer und qualitativer Hinsicht überlegenen englischen Güterangebots begann Deutschland mit einer intensiven naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung. Eine wichtige Voraussetzung für den industriellen Aufstieg Deutschlands nach der Jahrhundertmitte stellte zwischen 1820 und 1831 die Gründung von technischen Schulen dar, aus denen später die technischen Hochschulen entstanden.

 
  • In der Textilindustrie, d.h. in der Woll- und später der Baumwollindustrie, war es die Ersetzung des Handwebstuhls durch die mechanische Webmaschine - ein technisches Gerät, das es in England schon um die Wende zum 19. Jahrhundert eingesetzt wurde. In Deutschland wurde der erste mechanische Webstuhl 1845 gebaut.

Ende des 19. Jahrhunderts entstanden in Sachsen große Textilunternehmen. Nahezu alles, was sich aus Wolle, Baumwolle oder Seide herstellen ließ, wurde in diesen Unternehmen produziert. Die Herstellung war voll mechanisiert, Dampfmaschinen trieben Spindeln und Webmaschinen an. Gesteuert wurden die Webmaschinen bereits über ein ausgeklügeltes Lochkartensystem. Fast jeder zehnte Einwohner Sachsens arbeitete in den Textilfabriken. Einer der sächsischen Unternehmer war Friedrich Pfau in Crimmitschau. Begonnen hatte der Sohn eines Tuchmachers 1859 mit einer kleinen Handweberei, 1885 war er Besitzer einer großen Fabrik.

  • Große Bedeutung für die Industrialisierung hatte die Schwerindustrie, nämlich bei Kohle und Stahl. In Deutschland setzten die neuen Verfahren nach 1840 langsam ein. In Preußen wurden im Jahr 1842 noch 82% des Eisens mit Holzkohle erstellt. 1852 waren es sechzig Prozent, 1863 12,3 Prozent.

 
  • Folgen der Frühindustrialisierung in Deutschland (1832 - 1850)
 
  • In der Phase der Frühindustrialisierung kam es in Deutschland - wie auch in anderen Ländern - zu Hungersnot, Wohnungsnot und Verschlechterung des Lebensstandards. Insbesondere betroffen waren die neuen Industriearbeiter, kleine Bauern und Handwerker, also die sozial schwächeren Schichten.

  • Die Einführung der Gewerbefreiheit, eine der Voraussetzungen für die Industrialisierung, hatte für das Handwerk sehr negative Auswirkungen: Das Einkommen vieler Handwerksmeister und Handwerksgesellen sank unter das Existenzminimum. Die Überbesetzung des Handwerks wurde selbst in denjenigen deutschen Staaten zum sozialen Problem, die anstelle des Zunftzwanges ein staatliches Konzessionssystem gesetzt hatten wie die süddeutschen Staaten und Sachsen.

  • Zu der sozialen Not trug bei, dass das Heimgewerbe - vorwiegend in der Textil- und Kleineisenindustrie - immer weniger rentabel wurde. In der Zeit von 1839 bis 1845 kam es immer wieder zu Unruhen, bei denen teilweise auch Maschinen zerstört wurden. Bekannt geworden ist der schlesische Weberaufstand von 1844.

  • Obwohl die soziale Lage der Fabrikarbeiter im Vormärz etwas sicherer war als die vieler Handwerker, waren die Arbeitsverhältnisse für heutige Begriffe unvorstellbar: ein zwölf- bis sechzehnstündiger Arbeitstag unter belastenden gesundheitlichen und hygienischen Bedingungen. Frauen erhielten nur halb soviel Lohn wie Männer. Im Gebiet des Zollvereins lag der Anteil der Fabrik-Lohnarbeiter an der Gesamtbevölkerung noch im Jahr 1846 zwischen 4,5 und 6,0 Prozent, war also noch sehr gering. Den 1846 in Preußen registrierten 850.000 Handwerkern standen etwa 550.000 Arbeiter gegenüber.

  • In der frühindustriellen Zeit hatten die Arbeiter keinerlei Recht, an der Verbesserung der teils menschenunwürdigen Arbeitsverhältnisse mitzuwirken. Von den Arbeitern wurde unbedingter Gehorsam gegenüber den Befehlen der Vorgesetzten verlangt. Vom halbmilitärischen Charakter der frühindustriellen Betriebsorganisationen zeugen die damaligen Fabrikordnungen: Entlassungen bei Unpünktlichkeit oder Ungehorsam, Geldstrafen für Plaudern während der Arbeitszeit.

  • Das dunkelste Kapitel der Frühindustrialisierung war die Kinderarbeit. Kinder mussten vielfach zehn bis zwölf Stunden täglich unter gesundheitsschädlichen Bedingungen arbeiten.

  • Gegen Hungerrevolten wurde 1846 sogar das Militär eingesetzt. Trotz Sinkens der Getreidepreis hielt die Arbeitslosigkeit 1848/49 an. Eine entscheidende Wende zum Besseren trat 1850 ein.

  • Da politische und gewerkschaftsähnliche Organisationen für die Arbeiter verboten waren - wie in ganz Europa, ausgenommen Großbritannien - waren Arbeiterbildungsvereine die einzigen legalen Arbeiterorganisationen.

  • Die zweite Phase der Industrialisierung in Deutschland (1850 - 1870)
 
  • Politische Rahmenbedingungen
 
  • Deutschland war kein Staat, sondern ein aus 36 souveränen Einzelstaaten bestehender Staat. Nach der Revolution von 1848/49 erfolgte die monarchische Restauration sowohl in den einzelnen Staaten als auch auf Reichsebenen.

  • Die kleinen Länder, die von Preußen wirtschaftlich abhängig waren, treten der Zollunion bei. Einen großen Zollverbund, wie ihn Österreich schon 1849 vorschlug, lehnt Preußen ab. So wird auf wirtschaftlichem Gebiet durch den Zollverein eine 'kleindeutsche Lösung' verwirklicht.

 
  • Wissenschaft und Technik
  • Die in den Fabriken eingesetzten Produktionsverfahren hatten sich in der ersten Phase der Industriellen Revolution relativ unabhängig von der Wissenschaft entwickelt. In ihrem Bestreben, neue Produkte zu entwickeln, den Produktionsausstoß zu erhöhen und bestehende Betriebsabläufe kostengünstiger zu gestalten, griffen die Unternehmer in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts mehr und mehr auf nationale und internationale wissenschaftliche Erkenntnisse zurück. Die wissenschaftliche Grundlagenforschung wurde vom Staat gefördert.

  • Die Verwissenschaftlichung der Technik lässt sich auf Gebieten der Optik, der Eisen- und Stahlindustrie und der Nachrichtentechnik besonders deutlich verfolgen. Durch die von dem Engländer Sir Henry Bessemer im Jahr 1855 erfundene "Bessemer-Birne" wurden die Voraussetzungen für die künftige Massenerzeugung von Stahl geschaffen. Der Chemiker Robert Wilhelm Bunsen konstruierte ebenfalls 1855 den so genannten "Bunsen-Brenner", durch den Gasheiztechnik ermöglicht wurde. Schon in den fünfziger Jahren wurden erste Grundlagen für die (erst gegen Ende des Jahrhunderts einsetzende) Entwicklung der chemischen Industrie und der Elektroindustrie geschaffen.

  Robert Wilhelm Bunsen (* 1811, † 1899), deutscher Chemiker
     
 
  • Weitere Voraussetzungen für die Industrialisierung
 
  • Der freie Handel innerhalb der Gebiete des Zollvereins ermöglichte einen höchstens durch Niedrigzölle belasteten Warenstrom in einem Wirtschaftsraum von großer Ausdehnung und wachsender Produktivkraft. Voraussetzung dafür war die Beschleunigung des Transports von Waren und Menschen, die durch die Eisenbahn eingeleitet wurde. Der Eisenbahnbau rief eine enorme Nachfrage nach den verschiedenen Grundstoffen, vor allem nach Eisen und Holz, hervor, setzte die Metall- und Maschinenbauindustrie in Gang.

  • Um 1850 verfügten nur England und Belgien über ein zusammenhängendes Eisenbahnnetz. Deutschland, das 1850 noch nicht den Stand der Industrialisierung seiner westlichen Nachbarländer erreicht hatte, war diesen im Eisenbahnbau voraus (Streckennetz: 1850 = 6000 km; 1871 = 19.500 km).

  • In vielen deutschen Ländern gab es nur Staatsbahnen, in Preußen war 1857 etwa die Hälfte der Bahnen in staatlichem Besitz oder unter seiner unmittelbaren Kontrolle.

  • Eine wesentliche Voraussetzung der Industriellen Revolution war das Vorhandensein und die Verfügbarkeit von Kapital. Die 1852 gegründete französische "Crédit mobilier" gab weit über Frankreich hinaus Industriekredite und galt lange Zeit als eine Art europäisches Investitionsunternehmen. In Deutschland kamen Banken auf, die vor allem für die Unterbringung von Aktien, Industrieobligationen und Staatsanleihen bei Kapitalanlegern sorgten. Das Eigenkapital dieser Banken wurde in Form von Aktien aufgebracht. 1848 entstand die Schaafhausensche Bank AG. Ihr folgte 1853 die Darmstädter Bank für Handel und Gewerbe, 1856 die Berliner Disconto-Gesellschaft, 1870 die Deutsche Bank. Von 1835 bis 1870 erhöhte sich die Bilanzsumme der Banken um rund das Zehnfache.

 
  • Fortschritte in der Industrialisierung
 
  • In Deutschland sank in der Textilindustrie die Zahl der Handwebstühle von 74.000 im Jahr 1861 auf 47.000 im Jahr 1875. Der englische Vorsprung in der Textilerzeugung konnte von den kontinentalen Staaten trotz rascher Fortschritte nicht aufgeholt werden. Noch um 1870 waren etwa drei Fünftel aller Spindeln in der Hand englischer Fabrikbesitzer.

  • Die Expansion der Kohle- und Stahlproduktion war eine Folge des Eisenbahnbaus, hat aber ihrerseits der Industrialisierung neue Impulse vermittelt.

  • Maschinenbau, Kohleverbrauch, Gusseisenproduktion und Verbrauch an Baumwolle zeigen, dass von 1850 bis zum Jahr 1873 die deutsche Industrialisierung gegenüber Westeuropa ihren Rückstand aufholte.

  •  Kohle und Koks verdrängten seit 1850 rasch Holz und Holzkohle als Brennstoff für Industrie und Haushalte.

  • Dampfmaschinen wurden nicht mehr überwiegend aus England importiert. Seit der Jahrhundertmitte kamen die meisten aus deutscher Eigenproduktion.

  • Technische Neuerungen wie Dampfhammer, Bessemer-Konverter und Siemens-Martin-Ofen für die Stahlerzeugung verbilligten die Produktion und weiteten den Absatz aus.

 
  • Folgen der Industrialisierung
 
  • Die Weltausstellung von 1851 im Londoner Kristallpalast verbreitete mit großem Glanz die Erfolge von Industrie und Technik. Kehrseite des Glanzes war das Elend der breiten Massen in den überfüllten Städten, die dem Zustrom vom Land nicht gewachsen waren.
  Weltausstellung von 1851 in London, Kristallpalast

Copyright: Official Catalogue 1851, Bd. 1, S. 66
 
  • Hinter der Reduzierung der Zahl der Handwebstühle in der Textilindustrie verbirgt sich ein unbarmherziger Prozess der Vernichtung kleiner Existenzen und der Arbeit im Verlagssystem zugunsten fabrikmäßiger Herstellung.

  • Viele Fabrikarbeiter, aber auch größere Teile der Handwerker, der Kleingewerbler und der Händler, konnten zu Beginn der Industrialisierung zum Zwecke ihrer Versorgung mit Nahrungsmitteln noch auf ihren landwirtschaftlichen Besitz bzw. den ihres Familienverbandes zugreifen. Mit der Ausweitung der Fabrikarbeit und der Anzahl der Betriebe lösten sich die bäuerlichen und handwerklichen Familienverbände auf.

  • Für die deutschen Industriearbeiter verbesserten sich die Lebensverhältnisse nach 1860 sehr rasch. In den Jahrzehnten zwischen 1850 und 1880 sind steigende Löhne und die Verkürzung der Arbeitszeit auf 12 bis 13 Stunden charakteristisch. Dort, wo die Unternehmer für Arbeitersiedlungen sorgten, verbesserten sich auch die Wohnverhältnisse. Erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts stieg der Konsum an Fleisch, Zucker, Weißbrot und Obst und verbesserte damit die Zusammensetzung der Ernährung. Ursache dafür war, dass neben der Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktivität im Getreidebau und in der Viehzucht verbilligte Handelswaren aus Übersee und aus den Kolonien eingeführt wurden.

  • Das relativ gemeinsame Interesse des Großbürgertums (industrielle Unternehmer, Bankiers, Großkaufleute) an Gewinnsteigerung und Marktbeherrschung geriet mit dem Interesse der Arbeiter und Arbeitnehmer an Steigerung des Lohns, Sicherung des Arbeitsplatzes und Schutz vor Krankheit, Alter und Invalidität zunächst in einen latenten, dass heißt unterschwellig vorhandenen Gegensatz. Dieser Gegensatz manifestierte sich in aktuellen Konflikten wie Streiks, Lohnkämpfen und Aussperrungen.

 
  • Staatliche Regelungen
 
  • Sehr bald erkannte man, dass die Frauen- und Kinderarbeit schädliche Auswirkung für die Familie, die Gesundheit, die Erziehung, aber auch für die Effektivität der Arbeit hatte. In England kam es bereits in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts zu ersten Fabrikgesetzen und zu Einschränkungen der Frauen- und Kinderarbeit.

  • In Preußen wurden 1839 und 1853 und im Deutschen Reich 1903 Kinderarbeit entweder eingeschränkt oder ganz aufgehoben. Insgesamt sind die Betriebs- und Fabrikverhältnisse in der frühen Industrialisierung schrittweise verändert und verbessert worden; wie z. B. durch die Arbeitszeitverkürzungen pro Woche von 82,5 Stunden im Jahre 1825 auf etwa 57 Stunden im Jahre 1910. Mit diesen Maßnahmen wurden die ersten Schäden der frühen Industrialisierung teils beseitigt, teils gemildert. Die soziale Frage, die Aufhebung der ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Benachteiligung der unselbständigen Arbeitnehmer und vor allen Dingen der Arbeiter, war damit noch nicht vollauf bewältigt. Hier wurden weitere entscheidende Veränderungen durch viele Faktoren, vor allem aber auch durch die aufkommende Arbeiterbewegung, in politischer und gewerkschaftlicher Richtung herbeigeführt.

  • Die dritte Phase der Industrialisierung (1871 - 1914)

  • Politische Rahmenbedingungen

  • Der Sieg über Frankreich 1870/71 leitete mit der von Frankreich gezahlten Kriegsentschädigung von fünf Milliarden Franken und mit der Einverleibung der Erzvorkommen in Lothringen und der Kalilager im Elsass die so genannte Gründerperiode mit der stürmischen Entwicklung von neuen Unternehmen und mit der Nutzung der neuen technischen Erfindungen ein.

1871, nach der Annexion des Elsass und Lothringens, lebten im Deutschen Reich rund 41 Millionen Menschen. 1913 waren es 67 Millionen. Das starke Wachstum der Bevölkerung bewirkte neben der Notwendigkeit, die Produktivität in der Landwirtschaft zu steigern auch den Zwang, Nahrungsmittel ein- und Industriegüter auszuführen.

  • In Deutschland wurden viele Voraussetzungen für die ökonomische und industrielle Entwicklung nicht unter bürgerlicher Führung, sondern unter der Dominanz des Königshauses, des ostelbischen Adels, des adlig geführten Offizierskorps und des preußischen Beamtentums geschaffen. Preußen spielte aufgrund seiner militärischen Überlegenheit eine Führungsrolle.

  • Mit der zunehmenden Demokratisierung des Staatsapparats wurden schrittweise für immer größere Gruppen, auch für die Arbeitnehmer, die Gleichheit vor dem Gesetz zur Wirklichkeit. Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Kapitalbesitzer waren nach und nach nicht mehr Teil einer ständischen Ordnung, in der ein Wechsel zwischen den sozialen Gruppen durch Rechtsvorschriften erschwert oder verhindert wurden.

  • Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert gehörte es zu den Zielen der deutschen Staaten, die allgemeine  Volksbildung und die technische Ausbildung zu verbessern, das Hochschulstudium aufzuwerten und wissenschaftliche Forschungsstätten außerhalb der Universität zu errichten. Wirtschaftswachstum und technischer Fortschritt sollten so gefördert werden. Bildung und technisches Fachwissen wurden Voraussetzungen für den sozialen Aufstieg. Die vom Staat getragene Bildungsoffensive des 19. Jahrhunderts, von den Polytechnischen Hochschulen der dreißiger und vierziger Jahre bis hin zur Gründung der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft am Vorabend des Ersten Weltkriegs war eine wesentliche Ursache für den wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands.

  • Durch Maßnahmen des Staates gelang es, die bitterste Armut zu beheben und die menschenunwürdigen Zustände in Fabriken und Armenvierteln zurückzudrängen. Unter dem Druck der Gewerkschaften sowie der sozialistischen und sozialliberalen Parteien wurde die Sozialgesetzgebung zum Schutze der Schwachen erweitert.

 
  • Erfindungen als Motor der Industrialisierung
 
  • In der Industrialisierungsphase von 1850 bis 1870 war Eisen der wichtigste Werkstoff im Maschinenbau, Schiffsbau und Eisenbahnbau gewesen. Nun folgte die Ersetzung des Eisens durch Stahl, zu dessen Herstellung und Verbesserung das Siemens-Martin-Verfahren von 1864 und das seit 1879 industriell genutzte Thomas-Verfahren beitrugen.

  • Das Thomas-Verfahren ermöglichte die Verhüttung phosphorhaltiger Erze und senkte die Produktionskosten um 80 bis 90 Prozent. Zwischen 1870 und 1913 stieg die Stahlerzeugung um das Achtzigfache.

  • Im Jahr 1893 war die Stahlerzeugung in Deutschland zum ersten Mal größer als die in England. Gründe dafür waren neben den größeren Rohstoffstoffvorkommen und dem Einsatz von größeren Hochofenanlagen auch die größeren Kapitalzusammenschlüsse. Der größte Eisen- und Stahlproduzent waren seit 1890 die USA.

 
  • In der chemischen Industrie bewährte sich in besonderem Maße das Zusammenwirken von Wissenschaft und Technik. Am Beginn ihres Aufschwungs stand die Erfindung synthetischer Farbstoffe in England und in Deutschland. So konnte zum Beispiel das 1880 von Adolf von Baeyer entwickelte Anilin den Naturfarbstoff Indigo verdrängen. Gegen Ende des Jahrhunderts wurde Anilin industriell hergestellt.

  • Die Metallurgie wurde zu einem Zweig der angewandten Chemie und führte zur Herstellung von neuen Werkstoffen wie Stahllegierungen und Aluminium. Ebenso wurden Glas-, Papier-, Zement-, Gummi- und Keramikherstellung zu Teilen der chemischen Industrie. In der Herstellung von Schwefelsäure und in der Entwicklung der Farbstoffindustrie nahm Deutschland um die Jahrhundertwende eine führende Rolle in Europa ein.

  • Die industrielle Nutzung der Elektrizität als Energiequelle war durch eine lange experimentelle und wissenschaftliche Forschung während des 19. Jahrhunderts vorbereitet worden. Die Elektrizität eroberte sich ihren Platz zuerst für die Erzeugung von Licht (Erfindung der Glühlampe). 1879 wurde in Frankfurt die erste Bogenlampenbeleuchtung installiert. Ebenfalls 1879 baute Werner Siemens den ersten Webstuhl mit elektrischem Antrieb. In den beiden letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts stieg die Nachfrage nach elektrischem Strom so an, dass mit dem Ausbau der Stromerzeugung in großem Umfang begonnen wurde. 1891 wurden die technischen Voraussetzungen für die Übertragung von Strom über größere Entfernungen geschaffen. Die erste Fernübertragung elektrischer Energie fand, ebenfalls im Jahr 1891, in Frankfurt statt.

  Werner von Siemens (* 1816, † 1892), deutscher Erfinder und Industrieller
 
  • 1885/86 konstruierten unabhängig voneinander Gottlieb Daimler zusammen mit Wilhelm Maybach und Carl Benz einen Kraftwagen mit der Kombination von Fahrgestell und Motor. In den Jahren 1900/01 wurde in der 'Daimler-Motoren-Gesellschaft' das erste moderne Automobil gebaut. Zu einer ersten Massenfertigung von Kraftwagen kommt es 1908 durch Henry Ford in Nordamerika.

  • Die Finanzierung der immer größer werdenden Unternehmen kann immer weniger durch einzelne Personen oder Familien geleistet werden, sondern bedarf des Kapitalzusammenschlusses in den Aktiengesellschaften, von denen bis 1850 in Preußen 102, von 1850 bis 1857 295 gegründet wurden. Die großen Banken (Deutsche Bank, Dresdner Bank, Darmstädter Bank, Disconto-Gesellschaft) spielen als Finanzierungsquelle eine immer größere Rolle. 

  • Der Außenhandel und die Handelsschifffahrt wurden erweitert, der Export nicht nur von Waren, sondern auch von Kapital nahm an Bedeutung zu. Deutschland begann, sich an dem Wettbewerb um die Schaffung von Kolonien zu beteiligen und die Rüstungsindustrie auszubauen.

  • Am 1. April 1881 nahm das erste Telefonnetz im Deutschen Reich in Berlin offiziell seinen Betrieb auf. Die 48 Telefonanschlüsse mussten per Handvermittlung miteinander verbunden werden. Das drei Monate später veröffentlichte erste Berliner Telefonbuch verzeichnete schon über 200 Einträge. Zum Jahresende betrug die Anzahl der Anschlüsse 458 und am Ende des Jahrzehnts bereits mehr als 10.000.

  • Von 1871 bis 1914 versechsfachte Deutschland seine industrielle Produktion und überflügelte damit Großbritannien.

 
  • Folgen der Industrialisierung
 
  • Wandel der Arbeitsverhältnisse
 
  • In der vorindustriellen Zeit waren Hausgemeinschaft und Arbeitsstätte für die meisten Menschen (insbesondere für Bauern und Handwerker) miteinander verbunden. Mit zunehmender Industrialisierung müssen immer mehr Menschen die Hausgemeinschaften verlassen, um den Lebensunterhalt für sich und die Familie in einem industrialisierten Betrieb zu verdienen.

  • Arbeitsrhythmus, Arbeitsgestaltung, die Länge der Arbeitszeit und die Arbeitsteilung werden nun viel höherem Maße als zuvor durch den Rhythmus und die Anforderungen der Maschinenarbeit bestimmt. Neu ist der Zwang zur Anpassung an die durch neue Energien angetriebene Maschinensysteme. Der an der Steigerung des Gewinns interessierte Fabrikbesitzer achtet darauf, dass die Maschinen so effizient wie möglich eingesetzt werden.

  • Durch die verstärkte Arbeitsteilung in den Fabriken verlor der einzelne Arbeiter den Überblick über das Endprodukt und über den Zusammenhang des ganzen Arbeitsprozesses.

 
  • Wandel der Lebensverhältnisse
 
  • Um die Mitte des 19. Jahrhunderts lebte in Deutschland nur ein Viertel der Bevölkerung in Städten. Diese Zahl verschob sich in den folgenden Jahren durch die Zuwanderung vom Land.
 
  • Die Stadt war für viele Menschen das Tor zu einem besseren Leben. Neben dem Zugang zu Bildung und Kultur bot sie Chancen auf Reichtum und gesellschaftlichen Aufstieg. Durch das schnelle Wachstum der Städte entstehen neue Arbeitsbereiche, so auf dem Gebiet allgemeiner Dienstleistung, bei der Polizei, bei der Stadtreinigung.

  • Die ländliche Welt wurde immer rascher zusammengedrängt. Allerdings war ihr politischer Einfluss, insbesondere in Preußen, nach wie vor sehr groß.

 
  • Der durchschnittliche reale Jahresverdienst (die Kaufkraft) von Arbeitnehmern in Industrie, Handel und Verkehr stieg von 1871 bis 1913 um 79 Prozent. So konnten die Arbeitnehmer einen immer größeren Lohnanteil auch für anderes als Nahrungsmittel ausgeben, vor allem für Wohnen und Kleidung. Zum Teil lag dies an den niedrigen Preisen der wichtigsten Grundnahrungsmittel.
 
  Jahr

Durchschnittl. Jahresverdienst (nominal) Mark

Index Lebenshaltungskosten (1895 = 100)

Durchschnittl. Jahresverdienst (real), Preise von 1895

 
  1871 493 105,8 466  
  1880 545 104,0 524  
  1895 665 100 665  
  1905 849 112,4 755  
  1913 1083 129,8 834  
           
Quelle: Siedler, Deutsche Geschichte, Deutschland 1866 - 1918, Seite 41

  • Verbesserungen bei Ernährung und Kleidung, eine Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung und ein Zurückdrängen der Säuglings- und Kindersterblichkeit ließen das Leben auch für die unteren Bevölkerungsschichten allmählich erträglicher werden.

1871 erreichte nur jeder sechste Mann das siebzigste Lebensjahr, und nur jede fünfte Frau. 1919 dagegen war es ein Viertel der Männer und ein Drittel der Frauen. Der Verbrauch an Fleisch und Wein stieg weit stärker an als die Bevölkerung: Zeichen eines angenehmeren Daseins für viele, nicht für alle.

  • Für die Mittelschichten des Bürgertums war die Tätigkeit in der Industrie durchaus eine Alternative zur Arbeit in den staatlichen Bürokratien. Einigen Personen dieser Mittelschichten gelang der Aufstieg zu bedeutenden Unternehmern. Beispiele sind Krupp, Siemens und Stinnes.

  • Ein Teil des Handwerks modernisiert sich und unternimmt in der Zulieferung oder Reparatur neue Funktionen.

  • Mit der zunehmenden Verwaltung und Bürokratisierung und dem wachsenden Dienstleistungssektor differenziert sich die Arbeitnehmerschaft in Arbeiter und Angestellte.

  • Der alte Adel verschwand seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, abgesehen von der Diplomatie, aus den Führungsstellen.


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Literaturhinweise


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Ziegler, Dieter

Eisenbahnen und Staat im Zeitalter der Industrialisierung. Stuttgart 1996.

Der Spiegel: Geschichte, Heft 4/2018

Deutschland 1850 - 1900. Die industrielle Revolution.


Allen Schülern und Studenten, die gerade eine Prüfung zu bestehen haben, wünschen wir viel Erfolg.  Wir drücken auch die Daumen für diejenigen, die eine Klausur schreiben müssen oder eine Hausarbeit bzw. Referat anzufertigen haben.

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