BRD 1963 - 1966

 

 

 

 

 

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Die Welt des späten Mittelalters (1250 - 1400)

Das Ende der Luxemburger und der Aufstieg der Habsburger Kaiserdynastie (1400 - 1517)

Die Reformation von Luthers Anschlag der 95 Thesen bis zum Wormser Reichstag (1517 - 1521)

Der Dreißigjährige Krieg (1618 - 1648)

Vom Westfälischen Frieden (1648) bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen (1740)

Der Aufstieg Preußens zur europäischen Großmacht (1740 - 1763)

Die Französische Revolution bis zum Ende der Diktatur Robespierres (1789 - 1794)

Deutschland in der Zeit der Französischen Revolution und der Herrschaft Napoleons (1789 - 1815)

 Restauration und Revolution (1815 - 1830)

Monarchie und Bürgertum (1830 - 1847)

Die Revolution von 1848/49

Von der gescheiterten Revolution 1848 bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1871

Die Innen- und Außenpolitik Bismarcks (1871 - 1890)

Das Deutsche Kaiserreich von 1890 bis zum Ausbruch der Ersten Weltkriegs 1914

Die Industrielle Revolution in England und Deutschland (1780 - 1914)

Europäischer Kolonialismus und Imperialismus (1520 - 1914)

Der Erste Weltkrieg (1914 - 1918)

Der Weg zur Weimarer Republik 1918 - 1919

Der Kampf um die Staatsgewalt in der Weimarer Republik (1919 - 1933)

Die Machtübernahme der NSDAP und die Errichtung der Diktatur Hitlers (1933 - 1939)

Der Zweite Weltkrieg (1939 - 1945)

Der Weg in die Teilung Deutschlands (1945 - 1949)

Der Kalte Krieg: Vom Kriegsende 1945  bis zum Bau der Berliner Mauer 1961

Die Ära Adenauer (1949 - 1963)

Die Kanzlerschaft Ludwig Erhards 1963 - 1966

Kalter Krieg Teil 2: Von der Kubakrise 1962 bis zur Auflösung der Sowjetunion 1991

Die Zeit der Großen Koalition 1966 - 1969

Die Ära Brandt (1969 - 1974)

Die Kanzlerschaft Helmut Schmidts (1974 - 1982)

Die Kanzlerschaft Helmut Kohls von 1982 bis 1987

Die Kanzlerschaft Helmut Kohls von 1987 - 1989

Der Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands (Teil I: Die DDR von den siebziger Jahren bis zum Fall der Mauer im Jahr 1989)

Vom Fall der Berliner Mauer bis zur deutschen Einheit (1989 - 1990)

 

 

 
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Die Kanzlerschaft Ludwig Erhards


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Der Übernahme der Regierung 1963


  • Am 16. Oktober 1963 übernimmt Ludwig Erhard das Amt des Bundeskanzlers.

  Ludwig Erhard (* 1897, † 1977). Aufnahme im Jahr 1965.
Bundeskanzler 1963 - 1966


Mit besonderer Genehmigung des Bildautors Josef Albert Slominski (slomifoto). Link: www.slomifoto.de

Ludwig Erhard symbolisierte den Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Bereits als Wirtschaftsminister sah er sich als Anwalt des "einfachen Mannes". Als Regierungschef wollte Erhard "Volkskanzler" sein.

  • In seiner Regierungserklärung vom 18. Oktober 1963 wandte sich Erhard gegen Gefälligkeitsdemokratie und Gruppeninteressen.

  • Den Verbänden traute Erhard kein unabhängiges Urteil zu, da sie nach seiner Meinung nur das eigene Interesse und nicht das Volksinteresse vertraten. In seinem Bestreben, ständig in Kontakt mit der Bevölkerung zu sein, standen ihm auch die Parteien im Wege. Um nicht von seiner Partei, der CDU, abhängig zu sein, lehnte er es zunächst ab, deren Vorsitzender zu sein. Von der Bevölkerung war er überzeugt, dass sie vernünftigen Argumenten gegenüber zugänglich sei.

  • Dem Kabinett versprach Erhard - im Vergleich zu dem, was man von Adenauer gewohnt war - bessere Unterrichtung, größere Meinungsfreiheit sowie mehr Kollegialität und Harmonie.


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Internationale Rahmenbedingungen der westdeutschen Außenpolitik


  • Annäherung zwischen den USA und der Sowjetunion

  • Nach der Beilegung der 'Kuba-Krise' Ende Oktober 1962 begannen die beiden Großmächte, Instrumente für ein effizientes Krisenmanagement zu entwickeln. So wurde am 20. Juni 1963 ein "heißer Draht" zwischen Moskau und Washington eingerichtet.

  • Die 'Kuba-Krise' war Ende Juli 1962 durch die Errichtung sowjetischer Raketenbasen auf Kuba ausgelöst worden. Kuba hatte sich nach einem Wirtschaftsboykott der USA (1959) politisch und wirtschaftlich der Sowjetunion angenähert. Mit der Stationierung der Raketenbasen wollte der sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow Kuba vor einer weiteren Invasion schützen. (Eine von den USA unterstützte Invasion von Exilkubanern war Mitte April 1961 in der 'Schweinebucht' gescheitert). Außerdem wollte er der von ihm angenommenen Überlegenheit der USA in der Ausrüstung mit Atomwaffen begegnen. Ferner glaubte Chruschtschow, mit der Stationierung der Mittelstreckenraketen auf Kuba ein Druckmittel in der Berlin-Frage zu gewinnen.

  Nikita Chruschtschow (*1894, †1971), 1953 - 1964 Erster Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU, 1958 - 1964 Staats und Parteichef in der Sowjetunion

  • Nach Verhandlungen erklärte sich die Sowjetunion am 28. Oktober 1962 zum Abzug der Raketen bereit. Als Gegenleistung zogen die USA ihre Raketen aus der Türkei ab.

  • Die eskalierende Angst beider Seiten vor dem Einsatz von Atomwaffen des Gegners hatte das politische Handeln der beiden Großmächte geprägt. Beide Großmächte hatten das Gefühl, ihrem Gegner waffentechnisch unterlegen zu sein.

  • 5. August 1963: Vertrag zwischen den USA, Großbritannien und der Sowjetunion über die teilweise Beendigung der Kernwaffenversuche.

  • Spannungen innerhalb der Atlantischen Allianz

  • Im Nassauer Abkommen vom 21.Dezember 1962 hatte Großbritannien auf eine eigenständige Atomstreitmacht verzichtet. Die atomare Verteidigung sollte materiell an die USA gebunden werden.

Die USA erhofften sich durch dieses Abkommen eine dauerhafte Integration Westeuropas in die Atlantische Allianz. Von Frankreich wurde das Abkommen als Bestreben der USA interpretiert, keine eigene Weltpolitik Europas zuzulassen.

  • Die Regierung der USA versuchte, die Kritik Frankreichs an der amerikanischen Atomhegemonie mit dem Vorschlag einer multilateralen Atomstreitmacht (MLF) zu entschärfen.

Der Plan sah vor, U-Boote und Schiffe der NATO mit Mittelstreckenraketen auszurüsten, die anschließend in das Eigentum derjenigen Staaten übergehen sollten, die sich an der Finanzierung und personellen Ausstattung beteiligten. Raketen und Sprengköpfe sollten gemeinsamer Besitz sein und unter gemeinsamer Kontrolle stehen.


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Die Außenpolitik der Regierung Erhard


  • Seit dem Scheitern der Genfer Außenministerkonferenz 1959 bis Antritt der Regierung Erhard im Oktober 1963 hatte es  praktisch keine Verhandlungen der Vier Mächte über die deutsche Frage gegeben.

  • Notwendigkeit für die Bundesregierung, sich dem internationalen Trend zur Entspannung anzuschließen.

  • Die USA drängten auf eine deutsche Beteiligung an der Entspannung zwischen Ost und West. Die Bundesregierung war zu einem Balanceakt gezwungen: Auf der einen Seite wollte sie gegenüber den USA Entgegenkommen zeigen, auf der anderen Seite wollte sie auf ihrer Position in der Deutschlandfrage bestehen.

  • Die Positionen von CDU/CSU, FDP und SPD über eine deutsche Beteiligung an der Entspannungspolitik lagen weit auseinander. Außenminister Schröder (CDU) hielt eine solche Beteiligung nur dann für sinnvoll, wenn sie "zu einer positiven Veränderung des Status quo" führten. Die Bundesregierung müsse, so erklärte er im Oktober 1963, "den Verbündeten zu jedem einzelnen konkreten Entspannungsschritt, der die deutschen Interessen berührt, ihre Forderungen anmelden"

Die Forderung der Bundesregierung, dass Fortschritte in der Entspannungspolitik von Fortschritten in der "deutschen Frage" abhängig gemacht werden müssten, wurde im März 1966 aufgegeben.

  • Die Ost- und Deutschlandpolitik

  • Im März 1963 wurden Handelsverträge mit Polen, Rumänien und Ungarn abgeschlossen. Im März 1964 folgte die Unterzeichnung eines langfristigen Abkommens über den Waren- und Zahlungsverkehr mit Bulgarien.

  • Die Handelsverträge bildeten einen Kompromiss zwischen diplomatischen Beziehungen und der strengen Einhaltung der Hallstein-Doktrin. Die  Intensivierung der Handelskontakte zu den osteuropäischen Staaten sollte zu einer Isolierung der DDR führen und damit auf das Ziel der nationalen Wiedervereinigung ausgerichtet sein.

  • Die Sowjetunion fürchtete aufgrund der westdeutschen Politik neben der Isolierung der DDR eine allmähliche Auflösung ihrer Hegemonialstellung in Osteuropa. Sie 'veranlasste' die Ostblockstaaten, eine Annäherung an die BRD zu unterlassen. Weitere Initiativen der Bundesregierung wurden blockiert.

  • Am 17. Dezember 1963 kam es zum Abschluss des ersten Passierschein-Abkommens zwischen der Bundesrepublik und der DDR. 700.00 West-Berliner konnten vom 19. Dezember bis zum 5. Januar mit ihren Familien im Ostteil der Stadt Weihnachten und Neujahr feiern. Insgesamt wurden 1,24 Millionen Besuche registriert.

  • Im Juli 1964 wurde ein Besuch des sowjetischen Partei- und Staatschefs Chruschtschow in der Bundesrepublik abgelehnt.

Chruschtschows Absicht war es gewesen, Bundeskanzler Erhard vom Nutzen einer deutsch-sowjetischen Verständigung zu überzeugen. Die Ablehnung erfolgte, weil Erhard die ohnehin belasteten Beziehungen der BRD zu den USA nicht weiter gefährden wollte.

  • Am 5. Januar 1965 schlug der Minister für Gesamtdeutsche Fragen, Erich Mende (FDP), vor, mit der DDR gemeinsame Kommissionen für Reise-, Wirtschafts- und Warenverkehr sowie Kulturaustausch und Sport zu bilden. Dies sollte im Auftrag der Vier Mächte geschehen.

Schon im Juni 1964 hatte Fritz Erler (SPD) darauf hingewiesen, dass alles getan werden müsse, "um die menschlichen Probleme, die durch die deutsche Teilung hervorgerufen wurden, wenigstens etwas zu lindern".

 

Fritz Erler, (* 1913, † 1967), führender außenpolitischer und militärpolitischer Sprecher der SPD, ab 1964 Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag

Stadt Pforzheim

  • Die DDR weigerte sich, einen Auftrag der Vier Mächte entgegenzunehmen. Stattdessen wollte sie ein direktes Gespräch mit der BRD. Bundeskanzler Erhard wollte jedoch nichts unternehmen, was als "Aufwertung" der DDR angesehen werden konnte.

  • Die Bündnispolitik im Westen

  • Wegen der Spannungen zwischen den USA und Frankreich, glaubte die Bundesregierung, zwischen einer Anlehnung an die USA und einer engen politischen Bindung an Frankreich wählen zu müssen. Im Herbst und Sommer 1964 wurde der Aufbau einer multilateralen Atomstreitmacht (MLF) zu einem zentralen Gegenstand in der Debatte zwischen 'Atlantikern' und 'Gaullisten'.

  • Die 'Atlantiker', welche die Mehrheit im Bundeskabinett darstellten und zu der auch Bundeskanzler Erhard und Außenminister Schröder gehörten, wollten den Beziehungen zu den USA absoluten Vorrang einräumen. Dies wurde damit begründet, dass die BRD in einem Krisenfall nur mit Hilfe der USA überleben könne. Im Aufbau einer multilateralen Atomstreitmacht (MLF) sah vor allem Außenminister Schröder die Chance, die lädierten deutsch-amerikanischen Beziehungen zu festigen und die Position der Bundesrepublik in der NATO zu stärken. Es ging den 'Atlantikern' keinesfalls darum, sich völlig von Frankreich abzuwenden; sie wandten sich lediglich gegen eine allzu exklusive Bindung an Paris. Große Teile der CDU, der FDP und der oppositionellen SPD unterstützten diese Ansicht.

  • Den 'Gaullisten' (Adenauer, Freiherr von Guttenberg, Strauß, Gerstenmaier u.a.) ging es in erster Linie darum, im Verhältnis zu Frankreich den unter Adenauer erreichten Stand zu wahren. Es bestand jedoch nicht die Absicht, mit den USA zu brechen. Allerdings gab es Stimmen, die Bundeskanzler Erhard vorwarfen, eine Chance zu einer großen europäischen Epoche vertan zu haben, die mit der Allianz zwischen Frankreich und der Bundesrepublik ihren Anfang nehmen sollte.

  • Im Juli 1964 lehnte Bundeskanzler Erhard das Angebot Charles de Gaulles ab, zusammen mit Frankreich den Gang der europäischen Politik zu bestimmen. In der Folge kam es zu einem Tiefpunkt der deutsch-französischen Beziehungen.

 

Charles de Gaulle (1890 - 1970)

Präsident der 5. Republik Frankreichs 1959 - 1969

 

Photographie im November 1964. Deutsches Historisches Museum, Berlin. Inv.-Nr. BA 70951 (A.D.N.P.)

  • Ende 1964 waren außer der BRD und den USA kein Land mehr bereit, einen finanziellen Beitrag zum Aufbau einer multilateralen Atomstreitmacht (MLF) zu leisten.

Die Bundesregierung hatte vergeblich gehofft, die Probleme, die aus der nuklearen Hegemonie der USA im Bündnis resultierten, durch finanzielle und auch personelle Beteiligung an der MLF lösen zu können. Um die Jahreswende 1964/65 zog Außenminister Schröder das Projekt stillschweigend zurück.

  • Europapolitik

  • 4. November 1964: Initiative der Bundesregierung zur Wiederbelebung der Idee einer "politischen Union" in Europa.

  • Seit dem Scheitern der Beitrittsverhandlungen Großbritanniens zur EWG 1963 hatten die Bestrebungen zur politischen Zusammenarbeit zwischen den Partnern der Wirtschaftsgemeinschaft stagniert.

  • Die Vorschläge der Bundesregierung sahen neben den Maßnahmen zur wirtschaftlichen Integration vor allem eine "europäische politische Zusammenarbeit" im Bereich der Außen-, Verteidigungs- und Kulturpolitik vor. Zunächst sollte es eine "intergouvernementale Zusammenarbeit" in der Form regelmäßiger Ministerkonferenzen geben. Die Vorbereitung dieser Konferenzen sollte Arbeitsgruppen aus Beamten der jeweiligen Ministerien übertragen werden.

  • 2. Dezember 1964: Um auch Frankreich für die Idee der "politischen Union" zu gewinnen, stimmte die Bundesregierung der Harmonisierung der Getreidepreise in der EWG zu.

  • Frankreich ging es jedoch weniger um Einzelfragen als um die nationale Eigenständigkeit. Aus französischer Sicht bedurfte das Verhältnis einer politischen Union zu den bereits bestehenden europäischen Institutionen sowie die Rolle Großbritanniens innerhalb Europas einer weiteren Klärung. Auch das europäisch-amerikanische Verhältnis sollte näher definiert werden. Am 29. März 1965 ließ Frankreich die für Juli geplante Außenministerkonferenz verschieben. Wenig später wurde die Lösung der restlichen Agrarprobleme zur Vorbedingung neuer Gespräche über eine politische Union gemacht.

  • Am 30. März 1965 scheiterte die Regelung der Agrarmarktfinanzierung am Widerstand der Franzosen. Das französische Kabinett beschloss, "an weiteren, den Gemeinsamen Markt betreffenden Verhandlungen in Brüssel vorerst nicht mehr teilzunehmen". Nachdem die Agrarfinanzierung zu französischen Bedingungen gesichert werden konnte, war de Gaulle zur Rückkehr nach Brüssel bereit. Ein entscheidendes Zugeständnis an Frankreich war das Festhalten am Prinzip der Einstimmigkeit bei Entscheidungen im Ministerrat.

  • Die Europa-Initiative der Regierung Erhard war gescheitert! Nicht der Geist der Integration, sondern das Eigeninteresse nationalstaatlichen Denkens hatte gesiegt. 

  • Nahostpolitik

  • Ausgangssituation 1964: Verschärfung der Spannungen zwischen Israel und den arabischen Staaten. Die Bundesrepublik gerät in das Kreuzfeuer der Kritik beider Staaten. Israel protestierte gegen die Beschäftigung deutscher Spezialisten im Flugzeug- und Raketenbau in Ägypten. Ägypten griff die deutschen Waffenlieferungen an Israel an, die seit Herbst 1964 auf Drängen der USA auch schwere Waffen und Panzer einschlossen. Am 9. November 1964 fordert der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser von der Bundesregierung Auskunft über deren weiteres Vorgehen.

Zwischen der Bundesrepublik und den arabischen Staaten war es schon in den fünfziger Jahren zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen gekommen. 1962 hatte sich die Bundesregierung zur "Lieferung von Ausrüstung und Waffen in der Höhe von 240 Millionen DM" an Israel verpflichtet.

  • Am 22. November 1964 schlug Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier dem ägyptischen Präsidenten vor, alle deutschen Waffenlieferungen in die Nahostregion einzustellen.

  • Gamal Abdel Nasser war mit dem Vorschlag einverstanden, die Auseinandersetzungen schienen beendet zu sein. Bundeskanzler Ludwig Erhard zögerte jedoch mit der praktischen Umsetzung der von Eugen Gerstenmaier geschaffenen Basis.

 

Gamal Abdel Nasser (* 1918, † 1970)

ägyptischer Staatspräsident 1954-1970

  • Durch das deutsche Zögern wurde der günstige Moment versäumt: Im Dezember 1964 bot die Sowjetunion Ägypten großzügige militärische und wirtschaftliche Hilfe an. Dafür verlangte die sowjetische Regierung im Gegenzug eine Aufwertung der DDR. Am 24. Januar 1965 lud der ägyptische Präsident Walter Ulbricht zu einem Staatsbesuch nach Kairo ein.

  • Die Bundesregierung, die eine Auflösung der Hallstein-Doktrin befürchtete, kündigte noch im Januar 1965 schwerwiegende Konsequenzen für das deutsch-ägyptische Verhältnis an.

  • Als Reaktion darauf forderte Gamal Abdel Nasser die Beendigung der deutschen Militärhilfe an Israel und drohte mit der Anerkennung der DDR durch die arabischen Staaten. Unter dem Druck dieser Drohung gab die Bundesregierung nach und erklärte, keine Waffen mehr in Spannungsgebiete zu liefern und Israel durch wirtschaftliche Leistungen abzufinden.

  • Mit der Entspannung zwischen den USA und der Sowjetunion hatte sich der Stellenwert der Hallstein-Doktrin geändert. Bisher hatte die Doktrin mit Erfolg als Instrument zur Verhinderung der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR gedient. Als Waffe zur politischen Isolierung der DDR schien sie nicht geeignet.

  • Bei dem Staatsbesuch Walter Ulbrichts (24. Februar - 2. März  1965) in Kairo war es zu keiner formellen Anerkennung der DDR durch Ägypten gekommen. Trotzdem wurde die ägyptische Herausforderung am 7. März 1965 von Ludwig Erhard durch die Ankündigung diplomatischer Beziehungen mit Israel beantwortet. Die absehbare negative Reaktion der arabischen Länder wurde in Kauf genommen.

  • Am 12. Mai 1965 nehmen die Bundesrepublik Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen.

  • Im Mai 1965 kam es zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen der arabischen Staaten (außer Libyen, Marokko und Tunesien) zur Bundesrepublik.

Die wirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik zu den arabischen Staaten wurden durch den Abbruch der diplomatischen Beziehungen kaum beeinträchtigt. Zur diplomatischen Anerkennung der DDR durch die arabischen Länder kam es vorerst nicht.

Nebenbei bemerkt: Am 18. Mai 1965 trifft Königin Elisabeth II. zum ersten Besuch eines britischen Staatsoberhauptes seit 56 Jahren in Deutschland ein.


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Die inneren Verhältnisse in der BRD 1965-1966


  • Die Hinwendung der Bundesrepublik zum Westen ('Westintegration') hatte neben politischen auch gesellschaftliche und kulturelle Auswirkungen. Neu ist das Einsetzen der parlamentarischen Demokratie westlicher Prägung. Neu ist auch die Toleranz gegenüber der Meinung und den Interessen anderer. Der Pluralismus in der Gesellschaft wird jetzt voll akzeptiert, Kompromisse werden möglich. Dies bedeutete die Abkehr von Staat und Gesellschaft als organischem Ganzen, wie es Hegel gelehrt hatte. Auch das Staatsverständnis hatte einen Wandel durchgemacht: Der Staat steht jetzt nicht mehr oberhalb der Gesellschaft (Obrigkeitsstaat); er hat jetzt die Aufgabe, partikulare Interessen auszugleichen. - Ludwig Erhard fiel es schwer, die neuen gesellschaftlichen und kulturellen Trends anzuerkennen.

  • Die "Formierte Gesellschaft"

  • Ausgangspunkt des Wahlslogans "Formierte Gesellschaft", der im März 1965 von dem Publizisten Rüdiger Altmann geprägt wurde, war die Klage Ludwig Erhards, dass die Gesellschaft in organisierte Gruppen zerfalle, die um möglichst hohe Anteile am Sozialprodukt und um Einfluss auf die politischen Entscheidungen des Staates stritten. Dies schade nicht nur dem Gemeinsinn, sondern mindere auch Wohlstand und wirtschaftliches Wachstum. Durch eine kooperative Demokratie jenseits des Klassendenkens sollte der wachsende Einfluss von Interessenverbänden eingedämmt werden.

  • Für viele Teilnehmer des CDU-Parteitags Ende März 1965 war der Gedanke einer "formierten Gesellschaft" unklar und wenig konkret.

Erhards Vision wurde bald von niemand mehr ernst genommen. Da der Kanzler die notwendige Konkretisierung nicht liefern konnte, spielte der Begriff schon im Wahlkampf 1965 keine Rolle mehr.

  • Parteien und Wahlkampf

  • Zentrales Thema im Wahlkampf der SPD war die "neue Ostpolitik". Kanzlerkandidat Willy Brandt kündigte am 8. Januar 1965 an, im Falle eines Wahlsieges gegenüber den kommunistischen Staaten Osteuropas einschließlich der DDR eine "Politik der kleinen Schritte" einzuleiten, die zu "menschlichen Erleichterungen" führen sollte. Innenpolitischer Schwerpunkt war die Verbesserung des Bildungssystems.

 

Willy Brandt (1913 - 1992). Aufnahme im Jahr 1969

1957-1966 Regierender Bürgermeister in Berlin, 1964-1987 Parteivorsitzender der SPD, 1966-1969 Bundesminister des Auswärtigen, 1969-1974 Bundeskanzler

Mit besonderer Genehmigung des Bildautors Josef Albert Slominski (slomifoto). Link: www.slomifoto.de

  • Bundeskanzler Ludwig Erhard bezeichnete am 9. Juli 1965 25 deutsche Autoren, die ein "Plädoyer für eine andere Regierung" veröffentlicht hatten, als "Banausen und Nichtskönner", die sich in Dinge einmischten, von denen sie nichts verstünden: "Da hört der Dichter auf, da fängt der ganz kleine Pinscher an."

  • Ludwig Erhard hat mit diesen Äußerungen, die aus seinem Zorn gegen anders denkende Schriftsteller getan worden sind,  die Züge seiner Persönlichkeit und seines Denkens verzerrt. In Wirklichkeit strebte er ein besseres Verhältnis zwischen Macht und Geist an.

  • Bundeskanzler Erhard wird aus den eigenen Reihen Führungsschwäche vorgeworfen. Bei den Spitzen der CDU besaß er kaum noch Vertrauen. Nur das Bewusstsein seiner wahltaktischen Nützlichkeit entzog ihn zunächst persönlich den Angriffen auf seine Politik.

  • Wahl zum 5. Deutschen Bundestag am 19. September 1965

  • Bei einer Wahlbeteiligung von 86,8% erhielt die CDU/CSU 47,6%, die SPD 39,3% der Stimmen. Starke Verluste verzeichneten die Liberalen mit einem Stimmenanteil von 9,5%.

Der Bonus, den Erhard als "Vater des Wirtschaftswunders" bei der großen Masse der Wähler hatte, war für den Wahlsieg ausschlaggebend gewesen.

  • Am 18. Oktober einigten sich CDU/CSU und FDP auf die Fortführung der bürgerlich-liberalen Koalition. Zwei Tage später wird Ludwig Erhard zum Bundeskanzler gewählt.

  • Noch während der Regierungsbildung war auch innerhalb der Union das Thema 'Große Koalition' ins Gespräch gekommen. So äußerte Bundespräsident Heinrich Lübke die Meinung, die kleine Koalition könne die großen Probleme der Zeit nicht lösen, die Große Koalition werde immer nötiger.

  • Die Regierungsbildung wurde überschattet von einer Auseinandersetzung zwischen Erhard und Lübke, weil der den "Gaullisten" zugeneigte Bundespräsident den zum Außenminister berufenen "Atlantiker" Gerhard Schröder zunächst nicht ernennen wollte

  • In seiner Regierungserklärung am 10. November 1965 stellt Ludwig Erhard die Wirtschaftspolitik in den Vordergrund. Wegen der hohen Aufwendungen für die Verteidigung und Entwicklungshilfe müsse der Staat nun "maßhalten". Angesichts des Arbeitskräftemangels empfiehlt er eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit um eine Stunde.

Die Empfehlung einer Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit verstand Erhard ganz im Sinn seiner Idee einer von selbstverantwortlichen Bürgern getragenen Marktwirtschaft. Die Opposition, die SPD-Fraktion, vermutete hinter diesem Vorschlag "einen verschleierten Lohnabbau ohne volkswirtschaftliche Mehrleistung".

  • Innenpolitische Krisen

  • Kurz nach der Regierungsbildung kam das Wort von der "wirtschaftlichen Rezession" auf. Sektorale Schwierigkeiten, vor allem bei Kohle und Stahl, und kleine Einbrüche in der bisherigen Preisstabilität wurden von der Bevölkerung, die sich an den unaufhörlichen wirtschaftlichen Aufschwung gewöhnt hatte, als bedrohlich empfunden. Viele Deutsche befürchteten eine Inflation.

Im internationalen Vergleich (und im Vergleich zu späteren Verhältnissen in der Bundesrepublik) war die wirtschaftliche Lage keinesfalls bedrohlich: 100.000 Arbeitslosen standen 600.000 offene Stellen und 1,4 Millionen Gastarbeiter gegenüber.

  • Die Starfighter-Affäre, die Bemühungen um eine Notstandsgesetzgebung und der Krieg der USA in Vietnam schwächten bei vielen Bürgern das Vertrauen in die Politik. Die ersten Studentenproteste signalisierten den Beginn einer gesellschaftlichen Krise.

  • Im September 1966 wurde deutlich, dass der vom Kabinett vorgelegte Haushaltsentwurf für 1967 trotz drastischer Sparmaßnahmen eine Deckungslücke von ca. 7 Mrd. DM aufwies, weil in ihm zu erwartende Steuermindereinnahmen und zu leistende Ausgleichszahlungen an die USA nicht berücksichtigt waren.

  • Die FDP ist mit der geplanten Einschränkung der Sparförderung nicht einverstanden und droht mit einer Ablehnung des Haushalts im Bundestag. Sie fordert Kürzungen bei den Verteidigungs- und Sozialausgaben sowie bei der Entwicklungshilfe. Steuererhöhungen werden von der FDP abgelehnt.

  • Die CDU schlägt Steuererhöhungen und Kürzungen bei der Spar bzw. Bausparförderung vor.

  • Als die vier FDP-Minister am 26.10.einem Kompromiss zustimmen, erntet die FDP für diesen "Umfall" ein verheerendes Medienecho. Unter dem Druck der Öffentlichkeit erklären die FDP-Minister am 27.10. ihren Auszug aus dem Kabinett.

  • Erhard bildet aus CDU-Mitgliedern ein Minderheitskabinett. Am 28. Oktober lehnt der Bundesrat den Haushaltsentwurf einstimmig ab, weil dieser immer noch eine Deckungslücke von ca. 4 Mrd. DM aufweist. Damit ist der Autoritätsverlust Erhards in der eigenen Partei und in der Öffentlichkeit zu groß geworden. Auf Drängen der CDU/CSU-Fraktion erklärt er sich am 2. November 1966 zum Rücktritt bereit.

  • Der Auschwitz-Prozess

  • Am 20. Dezember 1963 wurde in Frankfurt am Main der erste Auschwitz-Prozess eröffnet. Mit dem Frankfurter Prozess wurde die breite Öffentlichkeit in Deutschland erstmals über das Ausmaß der NS-Verbrechen in Auschwitz informiert. Die Gräueltaten, welche von Deutschen begangen wurden, bekamen plötzlich Namen und Gesicht. Was die westdeutsche Gesellschaft bis dahin verdrängt hatte und wozu die Geschichtswissenschaft damals weder fähig noch willens war, nämlich den Deutschen begangenen industriellen Massenmord konkret aufzuklären, das übernahm die Justiz. Das Strafverfahren zielte darauf ab, Schuld und Verantwortung zuzuschreiben.

Ein ehemaliger Häftling im Lager Auschwitz hatte 1958 den ehemaligen SS-Oberscharführer Wilhelm Boger, Mitglied der Lager-Gestapo, angezeigt und ihn des zigfachen Mordes bezichtigt. Boger lebte zu diesem Zeitpunkt unbehelligt in Stuttgart. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft liefen nur schleppend an. Einflussreiche Kreise in Politik und Justiz hatten zunächst versucht, den Prozess zu verhindern oder hinauszuzögern. Dass es zu dem Auschwitz-Prozess gekommen ist, hat die deutsche Justiz dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer zu verdanken. Bauer, der selbst von den Nationalsozialsozialisten verfolgt worden war, strebte mit großer Energie eine Verurteilung der NS-Verbrecher an.

  • Die zwanzig Angeklagten, gegen die das Strafverfahren eröffnet wird, werden beschuldigt, an der Tötung von 28.910 Juden und NS-Gegnern beteiligt gewesen zu sein. Der Hauptangeklagte Richard Baer, der letzte Lagerkommandant von Auschwitz, und ein weiterer Angeklagter starben vor Prozessbeginn. Auf der Anklagebank saßen Ärzte, Apotheker, Zahnärzte, aber auch Angestellte und Arbeiter. Alle waren sie willige Rädchen in der Mordmaschine des nationalsozialistischen Vernichtungslagers Auschwitz. Die Angeklagten leugnen zumeist eine Beteiligung an den ihnen zur Last gelegten Verbrechen oder streiten jede persönliche Verantwortung dafür ab.

  • Das Schwurgericht verurteilte 17 der 20 Angeklagten: ihnen wurden insgesamt 15.209 Morde zur Last gelegt. Sechs Angeklagte bekamen wegen Mordes oder Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord lebenslange Zuchthausstrafen - darunter Boger. Elf Beschuldigte erhielten Freiheitsstrafen von bis zu 14 Jahren.


Allen Schülern und Studenten, die gerade eine Prüfung zu bestehen haben, wünschen wir viel Erfolg.  Wir drücken auch die Daumen für diejenigen, die eine Klausur schreiben müssen oder eine Hausarbeit bzw. Referat anzufertigen haben.


Literaturhinweise


Bracher, Karl Dietrich/ Theodor Eschenburg/Joachim Fest/Eberhard Jäckel (Hrsg.)

Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart und Wiesbaden 1983, Band 4: Klaus Hildebrand: Von Erhard zur Großen Koalition 1963 - 1969

Dülfer, Jost

Europa im Ost-West-Konflikt. 1945-1990 (=Oldenbourg Grundriss der Geschichte 18). München 2004

Görtemaker, Manfred

Kleine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. München 2002

Ihme-Tuchel

Die DDR. Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002, 136 Seiten

Mählert, Ulrich

Kleine Geschichte der DDR. München 1999

Steininger, Rolf

Deutsche Geschichte, Darstellung und Dokumente in vier Bänden, Frankfurt am Main 2002. Band 3: 1955 - 1974 (454 Seiten, Fischer Taschenbuch 15582).

Stöver, Bernd

Die Bundesrepublik Deutschland. Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002. 144 Seiten


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Stand: 21.01.2019                                                  Copyright © 2019 Geschichts- und Kulturverein Köngen e.V.                                                  Autor: Dieter Griesshaber

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