Deutschland 1871 - 1890

 

 

 

 

 

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Die Welt des späten Mittelalters (1250 - 1400)

Das Ende der Luxemburger und der Aufstieg der Habsburger Kaiserdynastie (1400 - 1517)

Die Reformation von Luthers Anschlag der 95 Thesen bis zum Wormser Reichstag (1517 - 1521)

Der Dreißigjährige Krieg (1618 - 1648)

Vom Westfälischen Frieden (1648) bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen (1740)

Der Aufstieg Preußens zur europäischen Großmacht (1740 - 1763)

Die Französische Revolution bis zum Ende der Diktatur Robespierres (1789 - 1794)

Deutschland in der Zeit der Französischen Revolution und der Herrschaft Napoleons (1789 - 1815)

 Restauration und Revolution (1815 - 1830)

Monarchie und Bürgertum (1830 - 1847)

Die Revolution von 1848/49

Von der gescheiterten Revolution 1848 bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1871

Die Innen- und Außenpolitik Bismarcks (1871 - 1890)

Das Deutsche Kaiserreich von 1890 bis zum Ausbruch der Ersten Weltkriegs 1914

Die Industrielle Revolution in England und Deutschland (1780 - 1914)

Europäischer Kolonialismus und Imperialismus (1520 - 1914)

Der Erste Weltkrieg (1914 - 1918)

Der Weg zur Weimarer Republik 1918 - 1919

Der Kampf um die Staatsgewalt in der Weimarer Republik (1919 - 1933)

Die Machtübernahme der NSDAP und die Errichtung der Diktatur Hitlers (1933 - 1939)

Der Zweite Weltkrieg (1939 - 1945)

Der Weg in die Teilung Deutschlands (1945 - 1949)

Der Kalte Krieg: Vom Kriegsende 1945  bis zum Bau der Berliner Mauer 1961

Die Ära Adenauer (1949 - 1963)

Die Kanzlerschaft Ludwig Erhards 1963 - 1966

Kalter Krieg Teil 2: Von der Kubakrise 1962 bis zur Auflösung der Sowjetunion 1991

Die Zeit der Großen Koalition 1966 - 1969

Die Ära Brandt (1969 - 1974)

Die Kanzlerschaft Helmut Schmidts (1974 - 1982)

Die Kanzlerschaft Helmut Kohls von 1982 bis 1987

Die Kanzlerschaft Helmut Kohls von 1987 - 1989

Der Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands (Teil I: Die DDR von den siebziger Jahren bis zum Fall der Mauer im Jahr 1989)

Vom Fall der Berliner Mauer bis zur deutschen Einheit (1989 - 1990)

 

 

 
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Die Außenpolitik Bismarcks   Literaturangaben  Württemberg 1871-1918     


Die innere Entwicklung Deutschlands unter Bismarck


  • Die Reichsverfassung von 1871
 
  • Die Reichsverfassung von 1871 legte das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht zum Reichstag (dem gesamtdeutschen Parlament) fest.

  • Das Wahlrecht zum Reichstag ging in den wesentlichen Bestimmungen auf das Wahlgesetz der Paulskirche vom 12. April 1849 zurück und hatte schon im Norddeutschen Bund gegolten.

  • Ein Wahlrecht ist dann allgemein, wenn es grundsätzlich allen Staatsbürgern zusteht, unabhängig von Rasse, Bildungsstand, Einkommen, Religion oder Geschlecht. Legt man diese Definition an, so war das allgemeine Wahlrecht durch den Ausschluss der Frauen stark eingeschränkt. Ausgeschlossen vom Wahlrecht waren neben Frauen auch Soldaten während des Wehrdienstes sowie Personen, die Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln bezogen und unter Vormundschaft oder Konkurs standen.

 
  Von einem allgemeinen und gleichen (Männer-)Wahlrecht versprach sich Bismarck vergeblich die Mobilisierung der konservativen, königstreuen Wählerschichten gegen das liberale Bürgertum. Sein Ziel, das hergebrachte konservative Gesellschaftsideal zu bewahren, wollte er mit dem neuen Wahlrecht keinesfalls aufgeben.
 
  • Kernkompetenzen der Einzelstaaten (Länder): Kulturhoheit (Schule und Universitäten), innere Verwaltung, innere Sicherheit, Justizverwaltung.

 
  • Das Reich ist für Gemeinschaftsaufgaben zuständig (Außenpolitik, Militär). Die Länder haben jedoch das Recht, bei den anderen Mächten eine diplomatische Vertretung einzurichten. Jedes der deutschen Länder kann ein eigenes Heer aufstellen. Ein Reichsheer und eine Institution für das Heer auf Reichsebene ist in der Verfassung nicht vorgesehen. Andererseits musste das Militärbudget vom Reichstag beschlossen werden.

 
  • Direkte Steuern fließen den Ländern zu. Einnahmen des Bundes: Verbrauchssteuern (Tabak, Salz, Sekt) und Zölle; Länder müssen dem Bund Zuschüsse geben, die jährlich festgestellt werden (Matrikularbeiträge). Das Reich ist, wie Bismarck es ausdrückt, "Kostgänger der Einzelstaaten".

 
  • Der Bundesrat ist das Organ der 22 Fürsten und der 3 Hansestädte. Jede Landesregierung stellt Vertreter (keine gewählten Personen!) in den Bundesrat ab. Bei allen Gesetzen muss die Ländervertretung zustimmen.

  • Die Stimmen der Länder verteilten sich nicht nach der Anzahl der Einwohner, sondern nach der Flächengröße. Dadurch hatte Preußen mit 17 der insgesamt 58 Stimmen im Bundesrat keine Mehrheit, doch in entscheidenden Fragen wie Verfassungsänderungen und Militärangelegenheiten eine Sperrminorität.

  • Der Bundesrat sollte nach dem Willen Bismarcks als Gegengewicht zum Reichstag wirken: Dem frei gewählten Parlament sollten Zügel angelegt werden.

 
  • Der Deutsche Kaiser war Staatsoberhaupt. Er konnte nach der Verfassung Verträge mit dem Ausland abschließen. Sein "Mitregieren" basierte auf dem Recht, den Reichskanzler zu ernennen und zu entlassen. Auf Gebieten, die von der Verfassung nicht geregelt waren, konnte der Kaiser grundlegende Entscheidungen fällen. So hatte der Kaiser die Kommandogewalt über die Streitkräfte. Als militärischer Oberbefehlshaber entschied der Monarch über Krieg und Frieden. Auch bei der Auswahl des militärischen Führungspersonals war er souverän.

  • Dem Kaiser stand es zu, sich zu seiner Beratung fachkundige Gremien schaffen. So entstanden das für das Heer zuständige 'Militärkabinett' und das 'Marinekabinett'. Ein 'Zivilkabinett' informierte den Kaiser über die Regierungspolitik.

  • Der vererbbare Titel "Deutscher Kaiser" stand dem König von Preußen zu.

 
 
  • Der Reichskanzler verkörpert die Exekutive. Er übt sein Amt als verantwortlicher Alleinminister des Reiches und Vorgesetzter der Leiter der Reichsämter (nicht Minister!) aus. Nur der Kaiser war ihm übergeordnet. Dem Kaiser gegenüber war der Reichskanzler verantwortlich, musste vor ihm Rechenschaft ablegen und ihn von seiner Politik überzeugen. Die Reichsämter, wie zum Beispiel das Auswärtige Amt, sind dem Kanzler untergeordnet. An ihrer Spitze stehen Staatssekretäre, die untereinander und mit dem Kaiser nur über den Kanzler kommunizieren können. Für jedes Gesetzesvorhaben muss sich der Kanzler Mehrheiten im Reichstag verschaffen. Aufgrund der Verbindung mit der Funktion des preußischen Ministerpräsidenten kann der Reichskanzler Initiativen im Bundesrat ergreifen.

 
  • Nach der Verfassung hat der Reichstag das Recht, Gesetze vorzuschlagen. Außerdem muss er den Gesetzen zustimmen. Auf  die Regierungsbildung und Maßnahmen der Regierung hat der Reichstag keinen Einfluss. Die Exekutive (der Kanzler) kann das Parlament nach Belieben auflösen und Neuwahlen ausschreiben.

Macht und Einfluss der Abgeordneten im neuen Staat waren stark beschränkt. Immerhin übten sie das Budgetrecht aus und wirkten an der Gesetzgebung mit. Entscheidend war, dass sie die Regierung nicht zur Verantwortung oder gar zum Rücktritt zwingen konnten. Grundrechte, wie sie der Verfassungsentwurf von 1848 vorgesehen hatte, fehlten ganz.

 
  • Das neue Deutsche Reich war keine Republik wie Frankreich und auch keine parlamentarische Monarchie mit einer der Volksvertretung verantwortlichen Regierung wie sie in England bestand. Es war vielmehr eine konstitutionelle Monarchie, die sich auf einen autoritären und militärisch geprägten Obrigkeitsstaat stützte. Der Bundesstaat war im Grunde ein "Bund der Fürsten und freien Städte", der nicht auf der Volkssouveränität, der Herrschaft des Volkes, beruhte. Die Vereinbarungen zwischen den Landesherren waren jederzeit kündbar.

       
      Mit 41 Millionen Menschen war das Deutsche Reich im Jahr 1871 der bevölkerungsreichste Staat in Mitteleuropa. Außerdem war es die größte Industrienation Europas

  • Kulturkampf (Konflikt zwischen Staat und Kirche)
  • 1870: Das Papsttum (Papst Pius IX.) steuert eine absolutistische Stellung innerhalb der katholischen Kirche an (Dogmen: Unfehlbarkeit des Papstes, Universalepiskopat des Papstes); in Deutschland lediglich Widerstand im katholischen Bildungsbürgertum (Altkatholiken).
  Papst Pius IX., (*1792, †1878, Papst von 1846 bis 1878
  • Das am 18. Juli 1870 vom 20. Ökumenischen Konzil verabschiedete Unfehlbarkeitsdogma besagt, dass "der Papst als Nachfolger Petri, unter Beihilfe des Heiligen Geistes, irrtumsfreie Lehrentscheidungen in Sachen und Glauben und Sitten" trifft. Diese Entscheidungen sind dabei nur "aus sich heraus, nicht auf Grund der Zustimmung der Kirche veränderbar". Das bisherige Mitspracherecht des Konzils war damit beseitigt.

 
  • Für die liberalen Gläubigen in Deutschland bedeutete die Entscheidung des Konzils einen Rückschritt und widersprach den Überzeugungen der modernen Vernunft. 18 von 19 deutschen Bischöfen sprachen sich zunächst gegen das Unfehlbarkeitsdogma aus. Aus Mangel an Alternativen unterwarfen sie sich schließlich der päpstlichen Anordnung. ("Rom hat gesprochen, der Fall ist beendet").  Aus der Sicht von Papst Pius IX. hatte er das erreicht, was viele Päpste vor ihm angestrebt hatten: die absolutistische Stellung innerhalb der Kirche. Der Papst wird zum Hauptgegner der Kommunisten und Liberalen.

  • Der "politische Katholizismus" im Deutschen Reich schließt sich unter der Führung von Ludwig Windthorst am 13. Dezember 1870 zu einer eigenen Partei, dem Zentrum, zusammen. Anders als bei den übrigen Parteien kamen die Mitglieder des Zentrums aus allen Schichten der Gesellschaft. Nicht der Kaiser, sondern der Papst in Rom galt den Katholiken als höchste Autorität. Programm: gegen kleindeutsche Reichseinigung, für Selbständigkeit der Kirche, für föderativen Reichsaufbau.
 
  • Der kaisertreue Reichskanzler Bismarck fürchtete eine von allen Schichten des Volkes getragene Bewegung, die mit politischen und sozialen Forderungen die monarchische Staatsordnung bedrohte. Den "politischen Katholizismus" empfand er als ernste Bedrohung für die preußisch-protestantisch geprägte Monarchie.
 
  • Das Programm des Zentrums bot den vom Fortschrittsglauben beseelten Nationalliberalen genügend Angriffsfläche. Die universale Struktur des Katholizismus stand dem nationalen Liberalismus entgegen. Der Aufbau eines Nationalstaates, die "innere Nationswerdung", verlangte eine Reduzierung des kirchlichen Einflusses. Nach dem Willen der Nationalliberalen sollte die Zugehörigkeit zur Nation die konfessionelle Zugehörigkeit überlagern.
  Ludwig Windthorst (*1812, †1891)

seit 1867 Mitglied des Reichstags, nach 1870 parlamentarischer Führer der neu gegründeten Zentrumspartei.

Bertelsmann Lexikon Bibliothek 1974

  • Bündnis zwischen den Nationalliberalen und Bismarck zum Kampf gegen den Grundsatz der Freiheit der Kirche vom Staat. Diesem Grundsatz von 1848 entsprachen Bestimmungen in der preußischen Verfassung.
  Otto Fürst von Bismarck (*1815, † 1898),  1871 bis 1890 deutscher Reichskanzler.

Foto: pa/MAGNO, Internetquelle
  • Nachdem das Zentrum in den ersten Reichstagswahlen auf Anhieb zur zweitstärksten Kraft geworden war, begann Bismarck einen langjährigen "Kulturkampf" gegen die so genannten Reichsfeinde. Aus einer Reihe von Rechtsfragen erhebt sich die alte Machtfrage zwischen Staat und Kirche.

Der Begriff "Kulturkampf" wurde von dem bekannten Arzt und Naturforscher Rudolf Virchow in Umlauf gebracht. In seiner Funktion als Abgeordneter der linksliberalen Fortschrittspartei im preußischen Abgeordnetenhaus legte er seinen Kollegen am 17. Januar 1873 dar, dass er Maßnahmen Bismarcks gegen die katholische Kirche für unerlässlich hielt. In diesem Zusammenhang sprach er von einem "Kulturkampf" von historischem Ausmaß. Damit war ein Begriff gefallen, der zur Kampfparole aller gesetzlichen Maßnahmen gegen katholische Geistliche im Deutschen Reich wurde. Ferdinand Lassalle hatte den Begriff bereits zehn Jahre zuvor geprägt; Virchow war es, der ihn in Umlauf brachte.

  • Maßnahmen des Staates: Einführung der Zivilehe im Reich, staatliche Schulaufsicht in Preußen, "Kanzelparagraph", Jesuitengesetz u. a..; die Ausführung der Gesetze wird durch erbitterten Widerstand gehemmt.
Die Handlungsfähigkeit kirchlicher Würdenträger wurde durch ein Fülle von Gesetzen eingeengt. So verfügten die "Maigesetze" des Jahres 1873 unter anderem, dass kein Bischof oder Priester ohne Zustimmung der Behörden eingesetzt werden darf. Im Februar 1875 erklärte Papst Pius IX. die Maigesetze für ungültig. Die Reaktion des Staates blieb nicht aus: Das "Brotkorbgesetz", das am 22. April 1875 erlassen wurde, entzog den kirchlichen Gemeinden die staatlichen Zuschüsse und sah außerdem vor, dass die Geistlichen, die sich zum Staat bekannten, sich also gegen den Papst stellten, von den Sanktionen ausgenommen wurden. Nur sehr wenige Geistliche nahmen diese Möglichkeit wahr (genau: 24 von rund 4000).
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  • Die "Gründungskrise"

  • Nachdem sich in der Zeit zwischen 1850 und 1870 die Startphase der Industriellen Revolution vollzogen hatte, trat das Kaiserreich 1871 in die Phase der Hochindustrialisierung ein. Begünstigt durch die liberale Wirtschaftspolitik und die Reichsgründung kam es zu einem starken Wirtschaftswachstum und zahlreichen Neugründungen von Unternehmen. Durch die Aufhebung es Konzessionszwangs für die Gründung von Aktiengesellschaften im Jahr 1870 wurde ein regelrechtes Gründungsfieber ausgelöst. Das Kapital, das dem Reich aus der Kriegsentschädigung Frankreichs zufloss (fünf Milliarden Goldfranc), wurde vor allem in den Bau von Eisenbahnen investiert. Davon profitierten die Lieferanten von Eisen und Stahl. Vielfach kam es zu gewagten Spekulationen am Aktienmarkt.

  • Der starke Aufschwung entsprach nicht der eigentlichen Wirtschaftkraft. Der "Gründerkrach" (und damit der Beginn der Gründerkrise) erfolgte am 9. Mai 1873 in Österreich/Ungarn. An diesem Tag spitzten sich an der Wiener Börse Kursverluste und Insolvenzen von börsennotierten Unternehmen derart zu, dass dieser Börsenplatz geschlossen werden musste. Angesicht der Kursverluste hatten viele Anleger ihre Wertpapiere verkauft. Dies bedeutete, dass den Kapitalmärkten innerhalb von kurzer Zeit viel Kapital entzogen wurde. Allein an diesem "Schwarzen Freitag" gingen viele Unternehmen in Konkurs, darunter auch viele Banken. Der "Gründerkrach" in Wien weitete sich bald auf andere europäische, ja sogar auf amerikanische Börsen aus.

  • Die hohen Liquiditäts- und Wachstumserwartungen führten auch in Deutschland zu einer "Gründerkrise" die bis 1878 anhielt. Die Ursachen lagen neben den zügellosen Börsenspekulationen vor allem in der sprunghaften Ausdehnung der Produktionskapazitäten und der immer weiter steigenden Produktion in der Gründerzeit. Das Übervorhandensein von Produkten führte zu einem Preisverfall (Deflation). Dies hatte negative Auswirkungen auf die Gewinne der Investoren, was wiederum zu einem Rückgang der Produktion führte. Es gab umfangreich Entlassungen und Lohnkürzungen. Die Folge war, dass die Nachfrage, die Kaufkraft, der Konsum und die Investitionen weiter zurückgingen. Außerdem drängten immer preisgünstigere Importe nach Deutschland und verkleinerten so den nationalen Absatzmarkt für heimische Produkte. Das Wirtschaftswachstum ging zurück.

 

Die "Gründerkrise" war in Deutschland keine eigentliche Rezession, doch verfiel der Glaube an eine ständige Prosperität der Wirtschaft.  Nach der Phase der überhitzten Konjunktur und einer Zeit des fortwährenden wirtschaftlichen Aufschwungs wurden die in den vorangegangenen Jahren überhöhten Wachstumsraten lediglich "ausgeglichen", was angesichts des zuvor starken Wachstums eben einen totalen Einbruch darstellte. Der Industrialisierungsprozess wurde nicht nachhaltig unterbrochen. Auch Neugründungen von großen Unternehmen erfolgten noch. So gründeten zum Beispiel Hermann Blohm und Ernst Voss im Jahr 1877 die Schiffswerft Blohm + Voss auf der Elbinsel Kuhwerder.

 
  • Während der "Gründungskrise" entstanden innerhalb der Industrie Interessengegensätze, die es während der Hochkonjunktur nicht gegeben hatte. Eine Folge der Krise war die Bildung von Interessengruppen unterschiedlicher Art. Unternehmer schlossen sich in Arbeitgeberverbänden zusammen, um ihre wirtschaftlichen Interessen gegenüber der Regierung stärker vertreten zu können. Zahlreich Arbeitnehmer sammelten sich in Arbeitnehmerorganisationen.

  • Als unvermeidbares Ergebnis der Wirtschaftskrise kam dem Staat wieder eine wichtigere Rolle in wirtschaftlichen Entscheidungsfragen zu.

  • Ab dem Jahre 1879 zeigte sich wieder ein eine verhaltene Belebung der Wirtschaftstätigkeit. Es kam wieder zu einem geringen Wirtschaftswachstum.

  • Bismarck und die Nationalliberalen
 
  • Große Verdienste der Nationalliberalen bei der Vereinheitlichung von Strukturen (Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraums, einer einheitlichen Währung und eines einheitlichen Rechtswesens). Beim Ausbau des Verkehrswesens, insbesondere bei der Erweiterung des Eisenbahnnetzes, spielten die Nationalliberalen eine bedeutende Rolle.

 

Die währungspolitische Union erfolgte erst 1875, also vier Jahre nach der politischen Einheit. Die Schaffung eines einheitlichen Rechtsrahmens für das Reich geht ebenfalls auf die Initiative der Nationalliberalen zurück; dieser Prozess wurde am 1. Januar 1900 mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) abgeschlossen.

 
  • Da der Reichshaushalt ein Defizit aufweist, strebt Bismarck im Jahr 1878 eine Steuerreform an. Das Defizit soll durch höhere Verbrauchssteuern, also der Einnahmequellen des Reiches, ausgeglichen werden. Vor allem dachte der Reichskanzler an eine Anhebung der Tabaksteuer. Für sein Vorhaben benötigte Bismarck die Mehrheit im Reichstag. Die Nationalliberalen befürchteten, dass durch die Erhöhung der Einnahmen des Reiches die Bedeutung der Matrikularbeiträge der Länder vermindert und damit das Budgetrecht des Parlaments ausgehöhlt werden würde. Dies war - wahrscheinlich - auch von Bismarck bezweckt worden!

Bismarck versuchte die erforderliche Mehrheit im Parlament mit Hilfe die Nationalliberalen zu gewinnen. Er bot ihnen sogar ein Regierungsamt auf Reichsebene an. In einem Gespräch mit Bismarck versucht der nationalliberale Verhandlungsführer, der Jurist und Gutsbesitzer von Bennigsen, sich ein Entgegenkommen in der Steuerfrage durch eine Ausdehnung der parlamentarischen Mitbestimmungsrechte bezahlen zu lassen. Er verlangt unter anderem für Preußen ein Steuerbewilligungsrecht des Parlaments. von Bennigsen pokert zu hoch, die Verhandlungen scheitern. Bismarck sieht sich nach neuen Bündnispartnern um.

  • Die innerparteilichen Gegensätze der 'Nationalliberalen Partei' traten mit Bismarcks Übergang zur Schutzzollpolitik 1877/78 offen hervor. Der rechte Flügel, im Wesentlichen Vertreter von Verbänden und der Montanindustrie, treten für die Einführung von Schutzzöllen ein. Im Jahr 1880 treten 28 führende Nationalliberale aus der Partei aus, weil sie die enge Bindung ihres Parteiführers von Bennigsen an Bismarcks Politik für "rückschrittlich" halten. Sie bilden die 'Liberale Vereinigung'. 

  Rudolf von Bennigsen (* 1824, † 1902), Jurist, Gutsbesitzer,
liberaler deutscher Politiker
  • Im Jahr 1884 kommt es zu einer Abspaltung des linken Flügels der Nationalliberalen. Am 5. März 1884 fusioniert dieser linke Flügel mit der 'Deutschen Fortschrittspartei' zur 'Deutsch-Freisinnigen Partei'. Das Ziel dieser linksliberalen Partei ist eine parlamentarische Monarchie. Die Regierung soll dem Parlament verantwortlich sein. Alle Eingriffe des Staates in die Gesellschaft sollen verhindert werden. Der rechte Flügel, die Nationalliberalen, unterstützt die Zollpolitik Bismarcks.

 

Die Ablehnung der Schutzzollpolitik Bismarcks 1878/79 hatte der 'Deutschen Fortschrittspartei'  neue Sympathien vor allem im städtischen Mittelstand eingebracht. Als einzige bürgerliche Partei konnte sie bei der Reichstagswahl am 27. Oktober 1881 deutliche Stimmengewinne verbuchen und wurde mit 60 Mandaten zweitstärkste Fraktion nach dem Zentrum. Ihr Parteiführer, Eugen Richter, strebte die Stärkung des Linksliberalismus an und forcierte daher den Zusammenschluss mit dem abgespaltenen linken Flügel der Nationalliberalen.

 
  • Der Liberalismus hatte im Kampf mit den herrschenden Gewalten gestanden. In dem Maße, in dem seine Forderungen durchgesetzt wurden, schwächten sich die Impulse dieser Bewegung. Liberale, denen das Erreichte genügte, setzten sich vom Hauptstrom ab und wurden Verteidiger des Status quo.

  • Die Zusammenarbeit Bismarcks mit den Konservativen und dem Zentrum
 
  • Am 19. Oktober 1878 forderten 203 der 397 Abgeordneten des Reichstags, die sich interfraktionell zusammengeschlossen hatten,  einen Einfuhrschutz durch Zölle. Bismarck erkannte die Möglichkeit, durch Zusagen in der Schutzzollgesetzgebung im Parlament eine Mehrheit  aus Konservativen und Mitgliedern des Zentrums zu bekommen.

Solange die Unternehmer und Großgrundbesitzer ihre Erzeugnisse im In- und Ausland gut verkaufen konnten, waren sie für den Freihandel eingetreten. Als das Ausland preiswerter erzeugte Produkte anbot, setzten sich die Interessenvertreter aus Industrie und Landwirtschaft massiv für nationale Schutzzölle ein.

 
  • Bismarck war auf der Suche nach einer neuen Regierungsmehrheit im Reichstag, die allen Bestrebungen der Nationalliberalen, eine weitere Parlamentarisierung und Liberalisierung Deutschlands herbeizuführen, trotzen sollte.

 
  • Nach dem Tod von Papst Pius IX. am 7. Februar 1878 war es zu einer Verständigung Bismarcks mit dem neuen Papst (Leo XIII.) gekommen. Die Gesetze mit Eingriffen in die Kirche wurden eingestellt. Bei dem direkten Ausgleich zwischen Kurie und Regierung fühlte sich der  im Zentrum vertretene deutsche Katholizismus übergangen. Ohne Rom gefragt zu haben, nahm Ludwig Windthorst, der parlamentarische Führer der Zentrumspartei, Verhandlungen mit Bismarck auf.

 
  • Bismarck gewinnt durch Zusagen in der Schutzzollgesetzgebung und im Budgetrecht sowie seinem Bekenntnis zum Föderalismus neben der Unterstützung der Konservativen auch die des Zentrums. Seine alten Bündnispartner, die Nationalliberalen, ließ er fallen. Anstelle der im Zentrum vertretenen Katholiken hatte Bismarck neue "Reichsfeinde" ausgemacht: die Arbeiterbewegung und ihre politische Vertretung.

Lösung in der Steuerfrage: Das Reich erhält Mehreinnahmen, doch maximal 105 Mio. Reichsmark. Der  Rest des Bedarfs soll über Matrikularbeiträge aufgebracht werden (Franckensteinsche Klausel). Das Budget bedarf der jährlichen Bewilligung durch das Parlament. Die Einnahmen aus den direkten Steuern verbleiben bei den Einzelstaaten.  

 
  • 1879: "Zweite Reichsgründung": Abkehr vom Freihandel, moderate Schutzzölle (Paradigmenwechsel der Wirtschaftspolitik). Der Reichskanzler muss sich für jedes Projekt eine Mehrheit im Reichstag suchen.

 
  • Am 12. Juli 1879 beschließt der Reichstag mit Stimmen der Konservativen und des Zentrums die Abkehr vom Freihandel und die Einführung von moderaten Zöllen auf Agrarprodukte und andere Warengruppen.

 

Nebenbei bemerkt: Am 15. Oktober 1880 feierte man die Vollendung des Kölner Doms. Die Bauzeit betrug 632 Jahre. Der Dom ist die größte Kirche im gotischen Stil in Deutschland und das Wahrzeichen von Köln. 1996 nahm die UNESCO den Dom als "Meisterwerk gotischer Architektur" in die Liste des Weltkulturerbes auf.

  • Sozialistische Arbeiterbewegung 
 
  • Seit den fünfziger Jahren verschärfte die einsetzende industrielle Revolution die soziale Lage der armen Bevölkerungsschichten. Die neue maschinelle, arbeitsteilige Produktionsweise beraubte viele kleine Handwerker, Landarbeiter und Kleinbauern ihrer Existenzgrundlage.  Massenhaft strömten sie in die Großstädte, um sich dort für Hungerlöhne zu verdingen. In den Arbeitervierteln der großen Industriestädte hausten die Menschen auf engstem Raum, geplagt von Krankheit und Geldnot.

Kennzeichnend für die Arbeiterklasse ist die Lohnarbeit, doch unterschiedliche soziale Umgebung für Industrie- und Landarbeiter (Die sozialistische Arbeiterbewegung kümmert sich zunächst nur um die Industriearbeiter).

 
  • Durch Selbsthilfe in Genossenschaften und Konsumvereinen versuchten die Arbeiter ihre Not zu lindern. Daraus erwuchs nach und nach ein gemeinsames Klassenbewusstsein und ein sozialistisches Milieu mit eigener Lebenswelt (eigene Freizeitkultur, homogene Art zu wohnen und zu arbeiten).

 
  • Die Gewerbefreiheit (erst im Norddeutschen Bund, dann im Deutschen Kaiserreich) sicherte auch die Koalitionsfreiheit, also das Recht der Arbeiter, sich gewerkschaftlich zu verbinden und Verträge mit den Arbeitgebern auszuhandeln. Ein kollektives Aufbegehren gegen Lohnhöhe und Arbeitsbedingungen durch Arbeitsverweigerung wurde möglich.

 
  • Schon 1848 trat Karl Marx in seinem "Kommunistischen Manifest" für eine Revolution der Arbeiterklasse ein und verwarf eine Zusammenarbeit mit bürgerlichen Richtungen. In den Jahren seiner Londoner Verbannung baute er sein System des "wissenschaftlichen Sozialismus" weiter aus. 1867 erschien der erste Band seines Werkes "Das Kapital".

  • Die von Karl Marx entwickelte "materialistische Geschichtsphilosophie" lehrt, dass  Rechtsverhältnisse, Staatsformen und Weltanschauungen weder aus sich selbst zu begreifen sind noch aus der 'allgemeinen Entwicklung des Geistes' (wie es Hegel gesehen hat), sondern vielmehr in materiellen Lebensverhältnissen wurzeln. Indem nun die materiellen Kräfte sich entfalten und entwickeln, der staatliche Überbau dagegen starr bleibt, entsteht eine Spannung, ein Widerspruch, der zur sozialen Revolution führt.

  Karl Marx (*1818, †1883)

  • Marx will beweisen, das das kapitalistische Wirtschaftssystem auf der ihm "immanenten Gesetze", die er in seiner Lehre vom Mehrwert, seiner Konzentrations-, Sozialisierungs- und Zusammenbruchstheorie beschrieben hat, mit "Naturnotwendigkeit" dem Untergang entgegengeht. Der Untergang des Kapitalismus ist für Marx gleichbedeutend mit der Schaffung der für die sozialistische Gesellschaft unerlässlichen Vorbedingungen. Das Ziel dieser Entwicklung ist die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln (der Wurzel aller Übel!) und ihre Überführung in die Hand des Staates, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats.

  • Bei aller Komplexität im Detail ist der Grundgedanke von Marx relativ einfach zu verstehen: Die Geschichte ist die Geschichte von Klassenkämpfen.  Die Revolution des Proletariats gegen die 'kapitalistischen Ausbeuter' ist für Marx die logische Folge der bisherigen Geschichte - die sozialistische Erhebung ergibt sich notwendigerweise aus dem historischen Prozess.

 
  • 23. Mai 1863: Gründung des "Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV)". An seiner Spitze steht mit Ferdinand Lassalle ein bürgerlicher Linksintellektueller. Seine Forderungen waren das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht sowie die Einführung von staatlich unterstützten Produktionsgenossenschaften.

  Ferdinand Lassalle (*1825 , †1864)

ÖGB-Archiv
 
  • Ferdinand Lassalle (1825 - 1864), einer der Schöpfer der deutschen Sozialdemokratie, hoffte auf den Reformwillen der Kapitalisten und drängte auf eine Versöhnung mit dem Staat. Von dem allgemeinen Wahlrecht versprach er sich die Gleichberechtigung der Arbeiter im Staat.

  • Der historische Erfolg von Ferdinand Lassalle liegt darin, der Arbeiterklasse - verstanden in einem weiten Sinne - zu einer schlagkräftigen, dauerhaft lebensfähigen Partei verholfen zu haben. Er sah in einem demokratischen Wahlrecht die Grundbedingung für politischen und sozialen Wandel. Damit führte er seine Partei auf den Weg der Reformen und nicht auf den Weg der Revolution. Lassalles Beharren auf eine straffe, zentralistische Führung hat die Entwicklung der Sozialdemokratie stark geprägt.

  • Dem Liberalismus hielt Ferdinand Lassalle vor, einen 'Nachtwächterstaat' zu wollen, der lediglich das Eigentum und die Geschäfte des Bourgeois schützen sollte. Als "Manchester-Männer" geißelte er in Anspielung auf den Kapitalismus in England jene, die nur an ihre eigenen Gewinne ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verluste dachten. Sie würden, so meinte er, mit ihrer "kapitalbewaffneten Ausbeutungssucht" den Staat am liebsten abschaffen. Lassalle lag mit seiner Meinung richtig: Tatsächlich paarte sich in Deutschland jener Zeit ein monarchischer, undemokratischer Staat mit einer Wirtschaft, der dieser Staat nahezu grenzenlose Freiheiten ließ.

 
 

Nebenbei bemerkt: Am 1. Januar 1863 trat in den USA die Emanzipationsakte von Präsident Abraham Lincoln in Kraft. Mit diesem Gesetz wurden rund vier Millionen schwarze Sklaven befreit, die auf dem Gebiet der sezessionistischen Südstaaten lebten. Ziel Lincolns war es, die in der Verfassung verankerten Gleichheitsgrundsätze auf die schwarze Bevölkerung auszuweiten. Den ehemaligen Sklaven ermöglichte er ein Leben mit Chancen und Selbstbestimmung

 
  • 28. September 1864: Gründung der "Internationalen Arbeiter-Assoziation" (Erste Internationale). Ziel: Vereinigung der unterschiedlichen politischen Auffassungen und Programme.
  Karl Marx kann sich in der 'Erste Internationale' nur schwer durchsetzen. Sein Gegenspieler, der Russe Michail Bakunin, forderte die Zerstörung des Staates durch Revolution. Marx lehrte dagegen: Der Staat stirbt nach der Revolution in dem Maße ab, wie sich die klassenlose Gesellschaft verwirklicht.
   
 
  • 7. August 1869: Schüler von Karl Marx gründen in Eisenach die "Sozialistische Arbeiterpartei (SDAP)". An der Spitze stehen Wilhelm Liebknecht und August Bebel.  Ziel der Partei ist die "Abschaffung aller Klassenherrschaft" und die sofortige Übertragung von Grund und Boden in Gemeineigentum (Vergesellschaftung). Im Anschluss an Marx und Engels wird das Privateigentum in Frage gestellt.
  Liebknecht und Bebel riefen zu keinem gewaltsamen Sturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung auf. Der "freie Staat und die sozialistische Gesellschaft" sollte mit "allen gesetzlichen Mitteln" Schritt für Schritt erreicht werden.
 
  • 1875: Zusammenschluss von ADAV und SDAP zur "Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands". Ab 1876 ist die Sozialdemokratie im Reichstag vertreten. 1890 erfolgt die Umbenennung der Partei in "Sozialdemokratische Partei Deutschlands" (SPD).
 
  • Das Erfurter Programm von 1891 der Sozialdemokraten fordert die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln.
  • Bismarck und die Sozialdemokraten
 
  • Offener Kampf zwischen dem auf Erhaltung der überlieferten Autoritäten bedachten Reichskanzler Bismarck und der nach einer Umgestaltung von Staat und Gesellschaft strebenden Sozialdemokratie.

 
  • Am 21. Oktober 1878 wird im Reichstag mit den Stimmen der Konservativen und der Nationalliberalen das 'Sozialistengesetz' unter der amtlichen Bezeichnung "Ausnahmegesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" beschlossen. Folgewirkungen für die Sozialdemokraten waren unter anderem das Versammlungsverbot und das Verbot der Verbreitung von Druckschriften. Ausgenommen von den Bestimmungen war die sozialdemokratische Reichstagsfraktion, was sie nicht davor schützte, im Wahlkampf massiv behindert zu werden.

Das Sozialistengesetz war ein Versuch Bismarcks, die Sozialdemokratie (damalige Parteibezeichnung: "Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands") als politische Kraft auszuschalten. Aufgrund des Gesetzes wurden etwa 900 Sozialdemokraten sowie ihre Angehörige aus ihren Heimatorten ausgewiesen, rund 1000 Jahre Freiheitsstrafen verhängt und über 1300 Druckschriften verboten. Die Sozialdemokraten konnten weiterhin in den Reichstag gewählt werden. Die Parteiorganisation blieb im Untergrund tätig. 1878 erhielt die Partei 415.000 Stimmen und 9 Mandate, 1890 dagegen 1,4 Millionen Stimmen und 35 Mandate. 1890 verweigerte der Reichstag eine weitere Verlängerung des Sozialistengesetzes.

  • Die Sozialpolitik Bismarcks
 
  • Bismarck war bewusst, dass seine politische Macht und die bestehende Gesellschaftsordnung nicht allein durch die politische Unterdrückung der Sozialdemokraten verteidigt werden konnte. Gegen den Widerstand des linken Flügels des Nationalliberalen (ab 1884 Fortschrittspartei), der alle Eingriffe des Staates in die Gesellschaft ablehnte, setzte er eine für die damalige Zeit vorbildliche Sozialgesetzgebung durch. Mit der Förderung der Zufriedenheit der Arbeiter wollte Bismarck die Arbeiter von der Sozialdemokratie abbringen und für die Monarchie gewinnen.

 
  • Für die Nationalliberalen war die Lösung der sozialen Frage keine Aufgabe des Staates. Sie setzten stattdessen auf das Selbsthilfeprinzip und die Bildung von Genossenschaften (Freiwilligkeit der Mitgliedschaft).

  • Eine Genossenschaft ist eine Unternehmensform mit dem Ziel, den Erwerb und die Wirtschaft ihrer Mitglieder (Genossen) durch gemeinschaftlichen Betrieb zu fördern. Die Mitglieder bleiben einerseits selbstständig als Bauern, Gewerbetreibende, Handwerker oder Privatpersonen, gehen andererseits einen Zusammenschluss ein, um von einem gemeinsam getragenen Unternehmen Leistungen zu empfangen. Gemeinsam betrieben werden zum Beispiel Einkauf, Lagerung, Maschinenhaltung, Weiterverarbeitung und Verkauf.

  • Friedrich Wilhelm Raiffeisen (* 1818, † 1888) war der Begründer der landwirtschaftlichen Genossenschaften. Die Not der Landwirtschaft Mitte des 19. Jahrhunderts (Überschuldung, Wucherzinsen, Zwangsversteigerungen) ließ in ihm die Idee einer Genossenschaft reifen, die er zunächst als karitative Einrichtung auf christlich-sozialer Grundlage ansah. Raiffeisen beschließt, die Vergabe zinsgünstiger Darlehen zum Kernelement seiner Hilfsvereine zu machen. Bei der Finanzierung zeigte sich aber zunehmend, dass wohltätige Zuwendungen vermögenderer Bürger und die von ihm betonte christliche Nächstenliebe keine nachhaltige Basis bieten. Daher setzte er bald auf den Gedanken der Selbsthilfe. Im Unterschied zu Hermann Schulze-Delitzsch (* 1808, † 1883), dem Begründer der Kreditgenossenschaften, trat die ausschließlich wirtschaftliche Zielsetzung zunächst in den Hintergrund. Raiffeisens Genossenschaftsgrundsätze waren: örtliche Beschränkung auf das Nachbarschaftsgebiet, ehrenamtliche Leitung durch Ortsansässige, unbeschränkte Haftung und Vereinigung des Kredit- und Warengeschäfts. Im Jahr seines Todes (1888) existierten bereits 423 Raiffeisen-Vereine.

 
  • Die Sozialgesetzgebung Bismarcks setzte Maßstäbe, die bis in die Gegenwart fortwirken. 1883 kam das Gesetz über die Krankenversicherung, ein Jahr später das Gesetz zur Unfallversicherung, und 1889 wurde die Alters- und Invalidenversicherung eingeführt.

  • Für Bismarck bot die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in einer sozialen Organisation keinen Schutz für die Arbeiter. Sein ursprünglicher Plan, die Krankenversicherung nicht durch Beiträge der Arbeiter, sondern über eine Erhöhung der indirekten Steuern zu finanzieren, scheiterte an Interessenverbänden (Tabakindustrie). Die Ersatzlösung war das Versicherungsprinzip (Leistung im Eintrittsfall), die Zwangsmitgliedschaft, die Beteiligung der Arbeitgeber und die Selbstverwaltung der Kassen.

  • Die von Bismarck geschaffene Sozialgesetzgebung mit ihren Facetten einer Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- und Altersversicherung verfolgte neben dem 'Schutz für die Arbeiter' das Ziel, der Sozialdemokratie durch Staatsbindung das Wasser abzugraben.

 
  • Die Bestimmungen des Sozialistengesetzes vom Oktober 1878 machte die Sozialgesetzgebung Bismarcks für viele Arbeiter unglaubwürdig. Dazu kam, dass zunächst nur die größte Not gelindert wurde. Der Zulauf zu der sozialdemokratischen Partei hielt an. Bei der Reichstagswahl von 1887 erhielten die Sozialdemokraten 10,1% der Stimmen.
 

Nebenbei bemerkt: Am 29. Januar 1886 erhielt Carl Benz (* 1844, † 1929) vom Kaiserlichen Patentamt das Patent auf den ersten fahrtüchtigen Motorwagen - das war die Geburtsstunde des Autos. Ebenso wie Gottlieb Daimler (* 1834, † 1900) hatte Carl Benz einen schnelllaufenden Viertaktmotor entwickelt, den er in ein eigenständiges, nicht mehr an eine Kutsche erinnerndes Fahrgestell einbaute und damit 1886 das erste ganzheitliche Automobil auf die Räder stellte. Der  dreirädrige "Benz Patent-Motorwagen" gilt als erstes Automobil der Geschichte. Die Ideen, den 1876 patentierten Ottomotor zum Antrieb von Fahrzeugen heranzuziehen und flüssigen Treibstoff (Benzin) zu verwenden, stammen von Gottlieb Daimler. Gemeinsam mit Wilhelm Maybach (* 1846, † 1929) konstruierte Gottlieb Daimler 1883 einen leichten, schnelllaufenden  Motor, der mit Benzin als Kraftstoff arbeitete. Im Jahr 1886 stellten Daimler und Maybach die erste vierrädrige Motorkutsche her, die schon 16 Kilometer in der Stunde erreichte.

  • Charakterisierung der Innenpolitik Bismarcks
 
  • Der liberale Politiker und Publizist Ludwig Bamberger charakterisierte Bismarck im Jahr 1868 mit folgenden Worten: "Man kann keinen Augenblick daran zweifeln, dass er ein geborener Revolutionär war [ist]. Denn man wird als Revolutionär geboren wie als Legitimist [Anhänger des monarchistischen Legitimitätsprinzips], nach der Art der geistigen Anlage, während der Zufall allein darüber entscheidet, ob die Umstände des Lebens aus dem gleichen Menschen einen Weißen oder Roten machen."

Lothar Gall hat dieses Zitat seiner grandiosen Bismarck-Biographie (siehe unter Literaturverzeichnis) vorangestellt. Die Figur des 'weißen Revolutionärs' dient ihm als Ariadnefaden durch Leben und Werk Bismarcks. Sie ist der Schlüssel zur Erklärung jener starken Spannung zwischen konservativen Zielen und revolutionären Mitteln, welche die 'Realpolitik' Bismarcks' kennzeichnete.

 
  • Lothar Gall arbeitet treffend heraus, dass Bismarck kein 'reiner Machtmensch' war, kein Machiavellist in Reinkultur. Aus der 'Bedenkenlosigkeit der Mittel' lässt sich nicht auf eine 'Gleichgültigkeit der Ziele' schließen. Bismarck war vielmehr ein Ultrakonservativer, der aufgrund seines Temperaments, seiner Risikobereitschaft, seiner Fähigkeit zum Querdenken und seiner hohen politischen Intelligenz ein geborener Revolutionär war. Er war bereit, völlig neue Wege zu beschreiten, um den Kern der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung zu bewahren. Gerade dadurch hat er etwas revolutionär Neues hervorgebracht.

Dieses Deutungsmuster hilft Lothar Gall, den Aufstieg Bismarcks zum Kanzler ebenso zu erklären wie die lange Phase des Niedergangs seit den 1870er Jahren. Während seines Aufstiegs hat Bismarck alle Zeitströmungen genutzt, um seine unzeitgemäßen Ziele anzusteuern. Als er erreicht hatte, was er wollte, sei Bismarck - so Gall - immer mehr versteinert und zu einem Konservativen geworden, dem der revolutionäre Elan abhanden gekommen war. Es lässt sich feststellen, dass Bismarck in seinen letzten Jahren als Kanzler nur noch reagiert und sich nur noch gegen Druck der Veränderung gestellt hat.


 Die Innenpolitik Bismarcks    Literaturangaben   Zurück zum Seitenanfang


Die Außenpolitik Bismarcks 1871 - 1887


  • Strategie der Außenpolitik Bismarcks
  • Ausgangslage: Die militärische und wirtschaftliche Stärkung Deutschlands durch die Reichsgründung bedeutete eine Änderung im europäischen Mächtesystem. Die anderen Großmächte sahen die Gefahr, ihre bisherige Unabhängigkeit zu verlieren. Deutschland fühlte sich aufgrund seiner geographischen Mittellage bedroht. Die Gefahr eines Mehrfrontenkriegs zeichnete sich ab. Frankreich zeigte sich nach der Eingliederung Elsass-Lothringens in das Deutsche Reich unversöhnlich. In Asien tat sich ein weltpolitischer Gegensatz zwischen Russland und Großbritannien auf. Auf dem Balkan gab es Spannungen zwischen Russland und Österreich-Ungarn. Dazu kam die Schwäche des Osmanischen Reiches.

    Vor 1871 war Deutschland in der Mitte Europas politisch zersplittert und schwach. Europa war von den Staaten an seiner Peripherie beherrscht worden, in deren Interesse die Aufrechterhaltung des Machtvakuums in seiner Mitte lag. Durch das vereinigte und nun auch starke Deutschland veränderten sich die Beziehungen zwischen den europäischen Mächten. Es war das Ziel Bismarcks, mit seiner Bündnispolitik den strukturellen Änderungen, welche die Kriege Preußens in den Jahren 1866 bis 1871 ausgelöst hatten (Wandel der Interessen, des Machtanspruchs und des Sicherheitsbedürfnisses, Revanchegefühle) entgegenzuwirken.

  • Um dem "Alptraum der Koalitionen" (chauchemar des coalitions) gegen Deutschland zu entgehen, strebte Bismarck eine Situation an, in der alle Mächte Deutschlands bedurften und in der ihre Beziehungen untereinander sie von Allianzen gegen Deutschland abhielten. Bismarcks außenpolitisches Hauptziel war es, Koalitionen  der Großmächte gegen Deutschland zu verhindern. Frankreich sollte politisch und militärisch isoliert werden.

  • Verzicht auf Weltpolitik (kein weiterer Ländererwerb, keine Kolonien). Aufbau von guten Beziehungen zu anderen Ländern (außer Frankreich). Bismarck: "Andere Länder müssen unser bedürfen". Erst 1884 wird Deutschland zur Kolonialmacht.

  • Ausnutzung der Gegensätze zwischen Russland und Großbritannien bzw. zwischen Russland und Österreich-Ungarn  Ein gewisses Maß an Spannung der anderen Mächte gegeneinander sollte jedoch erhalten bleiben!

  • Trotz seiner Machtpolitik für Preußen und Deutschland behielt Bismarck immer das Interesse Gesamteuropas im Auge. Vor allem wollte er dafür sorgen, dass Konfliktpotentiale an die europäische Peripherie oder nach Afrika verlagert werden konnten.

  • 1873: Dreikaiserabkommen (Deutschland - Russland - Österreich/Ungarn)
 
  • Die Ziele Bismarcks

  • Russland soll von einem Bündnis mit dem mit Deutschland unversöhnlichen Frankreich abgehalten werden (Politik des freundschaftlichen Einvernehmens mit Russland).

    Der Krieg von 1870 hatte die Beziehungen Deutschlands zu Frankreich auf eine neue Grundlage gestellt. Die Schwäche Deutschlands vor diesem Krieg war einer der Eckpfeiler der französischen Sicherheitspolitik gewesen. Nach 1871 richtete sich das Streben Frankreichs danach, jede Möglichkeit zur Eindämmung der neuen Großmacht an seiner Ostgrenze zu nutzen. Das Hauptziel Frankreichs war es, Deutschland durch die Bildung einer antideutschen Allianz in Schach zu halten. Der aussichtsreichste Kandidat für eine solche Partnerschaft war Russland. Bismarck konnte dies nur verhindern, indem er Russland in sein eigenes Bündnissystem einband.

  • Versöhnung mit Österreich-Ungarn um Frankreich einen weiteren möglichen Bundesgenossen zu entziehen.

  • Überbrückung der Interessengegensätze zwischen Russland und Österreich-Ungarn auf dem Balkan.

Über die im Dreikaiserabkommen angestrebten Ziele hinaus wollte Bismarck einen Interessenausgleich zwischen Großbritannien und Russland fördern, doch ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Staaten aufrecht erhalten. In einer Niederschrift, die der Sohn Bismarcks aufgrund des Diktats seines Vaters am 15. Juni 1877 in Bad Kissingen anfertigte (dem so genannten 'Kissinger Diktat') heißt es:  "Ich halte es für in unserem Interesse ... einen Ausgleich zwischen England und Russland zu fördern ... Wenn England und Russland auf der Basis, das ersteres Ägypten, letzteres das Schwarze Meer hat, so wären beide in der Lage, auf lange Zeit mit Erhaltung des Status quo zufrieden zu sein, und doch wieder in ihren größten Interessen auf eine Rivalität angewiesen, die sie zu Teilnahme an Koalitionen gegen uns ... kaum fähig macht."

  • Bismarck wusste genau, wie er Gemeinsamkeiten mit den anderen beiden Kaiserreichen schaffen konnte: mit der Kritik an der republikanischen Staatsform Frankreichs. Die Schrecken der Pariser Kommune stand den europäischen Monarchen noch vor Augen. Bismarck stilisierte den republikanischen Staat zur Gefahr für den Frieden in Europa. So sprachen sich Zar Alexander II., der Habsburger Kaiser Franz Joseph I. und Wilhelm I. in dem Abkommen dafür aus, den "gegenwärtig in Europa herrschenden Friedenszustand zu befestigen".

  • 1877/78: Der Russisch-Osmanische Krieg 
  • Ziel Russlands ist ein slawischer Staatenbund unter Führung des Zaren (Panslawismus). Das schwache Osmanische Reich ("Der kranke Mann am Bosporus") soll zerschlagen werden, um die dort lebenden Slawen zu befreien. Außerdem will sich Russland aus den geographischen Misslichkeiten (Enge des Schwarzen Meeres) befreien und einen Zugang zum Mittelmeer verschaffen. 

Das Osmanische Reich, das auch Serbien, Rumänien, Mazedonien und einen Teil Griechenlands umfasste, war krisenanfällig und schwach geworden. Dies entfesselte Begehrlichkeiten der europäischen Großmächte. Die kleinen Länder innerhalb des Osmanischen Reiches versuchten, unabhängig zu werden. 

  • Der Krieg endet mit einem Sieg Russlands. Den Osmanen wird in San Stefano, einem Vorort im Südwesten von Istanbul, ein Frieden diktiert: Serbien, Montenegro und Rumänien werden für unabhängig erklärt. Ein neu geschaffenes Fürstentum "Großbulgarien" soll dazu dienen, den Einfluss Russlands auf dem Balkan auszudehnen. Russland soll außerdem Teile Rumäniens und große Gebiete in Asien bekommen. Bosnien und die Herzegowina soll nach den Plänen Russlands an  Österreich-Ungarn übergeben werden. Die Beschlüsse des Diktatfriedens wurden jedoch nicht umgesetzt.

  • Großbritannien ist mit den Gebietsansprüchen Russlands nicht einverstanden und droht mit einem Krieg gegen Russland unter Einbeziehung der übrigen Großmächte. Es erhebt Forderungen nach einem europäischen Kongress, bei dem eine gemeinsame Lösung für die Verteilung des eroberten Gebietes gefunden werden sollte.

  •  Juni / Juli 1878: Der Berliner Kongress
  • Teilnehmer: Russland, Österreich-Ungarn, Großbritannien, Frankreich, Osmanisches Reich, Italien, Deutschland.
  • Beschlüsse: Es lag im europäischen Interesse, einen Teil der Ergebnisse von San Stefano auf dem Berliner Kongress rückgängig zu machen. Russland muss auf die Errichtung eines Großbulgariens verzichten. Ost-Rumelien wird nicht, wie von Russland geplant, mit  Bulgarien, sondern mit dem Osmanischen Reich vereinigt. Das Osmanische Reich kehrt auf den Balkan zurück, Großbritannien garantiert dessen asiatischen Besitz und lässt sich für die Erweiterung der russischen Machtsphäre mit dem osmanischen Zypern entschädigen. Russland erhält Bessarabien (das heutige Moldawien). Österreich-Ungarn erhält als Ausgleich und zur Sicherung gegen Serbien das Besetzungs- und Verwaltungsrecht in Bosnien und der Herzegowina. Serbien und Rumänien werden unabhängig. Großbritannien hatte sich also durchgesetzt.

  • Bismarck hat versucht, als "ehrlicher Makler" zu vermitteln. Es ist gelungen, die europäischen Machtinteressen auszuhandeln. Folgenreich für Deutschland war, dass Russland den Grund für den erzwungenen Rückzug in der mangelhaften Unterstützung durch Bismarck suchte. ("Ohrfeigenbrief "des Zaren vom 15. August 1878: 'Nous ne oubliez pas ..'). Das 'Dreikaiserabkommen' ist praktisch gescheitert.

  • 1879: Zweibund (Österreich-Ungarn und Deutschland)
  • Russland war für Bismarck ein unzuverlässiger Partner geworden. Es lag für ihn nahe, sich nun mit Österreich-Ungarn enger zu verbünden. Das Bündnis mit dem relativ schwachen Österreich-Ungarn sollte das Verhältnis zu Russland nicht weiter belasten. Für Bismarck blieb Russland ein wichtiger Partner. Ein Bündnis mit dem liberalen und universalistischen Großbritannien war für Bismarck ausgeschlossen. Er befürchtet, das sich die liberale Politik Großbritanniens negativ auf Deutschland auswirken könne.

  • Bismarck befürchtet, dass sich Österreich-Ungarn in seiner Bedrohung durch die panslawistische Bewegung (Russland)  einer deutsch-feindlichen Koalition anschließen könnte. Er sah sich vor die Aufgabe gestellt, den Bund mit Österreich-Ungarn zu schließen, ohne dadurch die Gegnerschaft Russlands und damit ein französisch-russisches Bündnis hervorzurufen.

  • Beide Mächte verpflichten sich, bei einem Angriff Russlands einander Hilfe zu leisten. Bei dem Angriff einer anderen Macht soll Neutralität bewahrt werden. Das bilaterale Abkommen ist also defensiv.

  • Die Verbindung mit Österreich-Ungarn sollte Deutschlands Position so verstärken, dass es die Unabhängigkeit gegenüber Russland zu wahren vermochte. Außerdem sollte ein Defensivbündnis einen Angriff Russlands auf Österreich-Ungarn verhindern.

  • 1881: Dreikaiserbündnis
 
  • Russland, Österreich-Ungarn und Deutschland sichern sich gegenseitig Neutralität zu, wenn es zum Krieg mit einer vierten Macht kommt (für Deutschland war die vierte Macht Frankreich, für Russland war es Großbritannien)

  • Österreich-Ungarn anerkennt den bestehenden Einfluss Russlands in Bulgarien und erhält dafür den westlichen Balkan als seine Interessensphäre  zugesprochen.

  • Das Bündnis deckte Deutschland gegen die Gefahr eines Zweifrontenkrieges, war jedoch nur haltbar, wenn der Gegensatz zwischen Russland und Österreich-Ungarn auf dem Balkan eingedämmt war. Das Dreikaiserbündnis (auch Dreikaiservertrag genannt) war die Krönung der Außenpolitik Bismarcks.

  • 1882: Das Bündnis Deutschlands und Österreich-Ungarns mit Italien (Dreibund)
  • Nach dem Vertrag gilt ein Angriff Frankreichs auf Italien als Bündnisfall für die beiden anderen Partner. Im gleichen Fall erhält Deutschland Italiens, aber nicht Österreich-Ungarns Hilfe. Bei dem Angriff einer anderen Großmacht soll Neutralität bewahrt werden.
  Der Dreibund zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien.

Stich nach dem sog. Friedensbild von Hermann Dürrich, 1894

  •  Der Bund mit Italien richtet sich gegen Frankreich - für den Fall eines russisch-französischen Angriffs. Italien sollte Ersatz bieten, wenn Russland abfiel.
 

Nebenbei bemerkt: Im Jahre 1882 entdeckte der deutsche Mediziner und Mikrobiologe Robert Koch (* 1843, † 1910) den bakteriellen Erreger der Tuberkulose (Schwindsucht). Er wies außerdem nach, dass auch andere ansteckende Krankheiten wie Cholera, Milzbrand, Malaria, Schlafkrankheit und Pest, denen die Ärzte machtlos gegenüberstanden, auf die Existenz spezieller Bakterien zurückzuführen sind. Mit seinen Methoden, diese Krankheiten zu bekämpfen, legte Robert Koch den Grundstein zur Erhaltung der Gesundheit durch Hygiene und zur Desinfektion und Sterilisation in der Medizin. 1905 erhielt er den Nobelpreis für Medizin und Physiologie.

  • 1887: Rückversicherungsvertrag
 
  • Eine Schwierigkeit für die deutsche Außenpolitik war es, sowohl mit Österreich-Ungarn (und Italien) verbündet zu sein als auch den Draht nach Russland nicht abreißen zu lassen. Bismarck dies, indem er 1887 einen sogenannten Rückversicherungsvertrag mit Russland abschloss.
  • In den 1880er Jahren stellten die entstehenden Balkan-Nationen die größte Herausforderung für einen solchen Balanceakt dar. Immer wieder kamen sich Russland als Protektor der kleinen slawischen Völker und Österreich-Ungarn als Vielvölkerstaat mit erheblichen Anteilen ebendieser Völker in die Quere. In dem Krieg zwischen Bulgarien und Serbien im Jahr 1885 trat der der Gegensatz zwischen Russland und Österreich-Ungarn erneut auf.

  • Grundlage des Rückversicherungsvertrags war ein geheimes Neutralitätsversprechen zwischen Russland und Deutschland für den Fall eines französischen Angriffs auf Deutschland und eines österreichischen auf Russland. Der Vertrag enthält die Anerkennung der russischen Interessen in Bulgarien. Deutschland verspricht "wohlwollendes Verhalten", wenn Russland sich gezwungen sehen sollte, die "Zugänge zum Schwarzen Meer" zu verteidigen.

Im Interesse Russlands lag es, die Kontrolle über die Meerengen (Bosporus, Dardanellen) zu bekommen. Russland wollte auch Seemacht werden. Das Engagement Russlands am Mittelmeer ist für Großbritannien eine Herausforderung. Die Aufrechterhaltung des Spannungsverhältnisses zwischen Russland und Großbritannien lag durchaus im Interesse Deutschlands. Bismarck entging der Notwendigkeit, für eine der beiden Mächte Partei zu nehmen. Ihren Gegensatz ausnutzend, kann er in der "Hinterhand" das Gewicht Deutschlands zur Erhaltung des Friedens einsetzen.

  • Der Vertrag sichert Deutschland gegen ein Bündnis Russlands mit Frankreich und deckt Russland gegen einen englischen Angriff.

 

Nebenbei bemerkt: Zwischen 1882 und 1889 entwickelte der amerikanische Ingenieur Herman Hollerith (* 1860, † 1929), der Sohn deutscher Einwanderer aus der Pfalz, ein System zur Erfassung von Daten auf Lochkarten. Die erste erfolgreiche Anwendung fand das elektrische Zähl- und Sortiersystem 1890 bei der Volkszählung in den USA. In Deutschland erreichte das ‚Hollerith-System’ im September 1935 seinen Höhepunkt mit der Entwicklung einer druckenden ‚Tabelliermaschine’, die alle Grundrechenarten durchführen und die Ergebnisse zur weiteren Verarbeitung in Lochkarten stanzen konnte. Die Erfindung, Konstruktion und Anwendung der Lochkartenmaschinen Herman Holleriths stellen einen wesentlichen Markstein in der Entwicklung der Computertechnik dar.

Nebenbei bemerkt: Am 20. April 1887 wird das erste Automobilrennen der Welt in Paris ausgetragen.l

Nebenbei bemerkt: Am 8. November 1887 meldete der deutsch-amerikanische Erfinder Emil Berliner  (*1851, † 1929) beim Kaiserlichen Patentamt in Berlin sein Patent „Verfahren und Apparat für das Registrieren und Wiederhervorbringen von Tönen“ an.  Bereits am 29. September 1887 hatte der 1870 in die USA ausgewanderte Deutsche sein Patent beim amerikanischen Patentamt in Washington angemeldet.  Mit der Erfindung der ‚Schallplatte‘ ermöglichte Emil Berliner erstmals die Produktion eines Tonträgers in hohen Stückzahlen.  Zuvor hatte er den Phonographen des amerikanischen Erfinders Thomas Alva Edison (*1847, † 1931), bei dem das Vervielfältigen einer Aufnahme in großer Stückzahl kompliziert und teuer war, zu einem Gerät weiterentwickelt,  mit dem das Abspielen eines flachen Tonträgers möglich war und die Vervielfältigung einer Aufnahme wesentlich verbilligte.  Dieses Gerät nannte Emil Berliner ‚Grammophon‘.

  • In den siebziger Jahren hatte es Bismarck abgelehnt, Kolonien zu erwerben. Grund war vor allem die Bedrohung Deutschlands durch feindliche Koalitionen.

  • Bismarck wandte sich noch vor der Reichsgründung gegen die immer stärker werdende koloniale Begeisterung: "Einerseits beruhen die Vorteile, welche man sich von Kolonien für den Handel und die Industrie des Mutterlandes verspricht, zum größten Teil auf Illusionen. Denn die Kosten, welche die Gründung, Unterstützung und namentlich die Behauptung der Kolonien veranlasst, übersteigen (...) sehr oft den Nutzen, den das Mutterland daraus zieht, ganz abgesehen davon, dass es schwer zu rechtfertigen ist, die ganze Nation zum Vorteile einzelner Handels- und Gewerbezweige, zu erheblichen Lasten heranzuziehen. (...) Endlich würde der Versuch, Kolonien auf Gebieten zu gründen, deren Oberhoheit andere Staaten, gleich ob mit Recht oder Unrecht, in Anspruch nehmen, zu mannigfachen und unerwünschten Konflikten führen können."    (zitiert nach Axel Riehl: Der Tanz um den Äquator .. , Seite 22)

  • Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 erklärte Bismarck das Deutsche Reich als "saturiert". Damit sollten die anderen Mächte beschwichtigt werden. Der Reichskanzler hatte kein Interesse, diese Strategie für ein koloniales Abenteuer zu gefährden, zumal er von dessen Nutzen nicht überzeugt war.

  • 1880 - 1885: Außenpolitisch günstige Lage für Deutschland.

  • Das Vertragssystem hat die europäischen Beziehungen entspannt.

  • 1882: Großbritannien annektiert Ägypten im Wettstreit gegen Frankreich, Bismarck gewinnt Rückendeckung Frankreichs.  

  • Interessensphären von Großbritannien und Russland stoßen in Ost- und Mitteleuropa zusammen.

  • 1884: Erwerb von Lüderitzland (Südwestafrika), Togo, Kamerun, 1885 Erwerb von ostafrikanischen Gebieten, Kaiser-Wilhelm-Land, Bismarck-Archipel, Marschall-Inseln.

Franz Adolf Lüderitz, ein Kaufmann aus Bremen, hatte seit 1881 an der Westküste Afrikas Handel getrieben und war dabei auf eine Bucht gestoßen, auf die noch kein Staat Anspruch erhoben hatte. Im Jahr 1883 hatte Lüderitz dem König des dortigen Eingeborenenvolks die Bucht "und das angrenzende Land" für wenig Geld und 200 Gewehre abgekauft. Seine zusätzliche Zusage, die Eingeborenen vor den Angriffen anderer afrikanischer Stämme zu schützen, konnte er jedoch nicht einhalten. So wandte er sich an Bismarck. In ausgesprochener Konfrontation zu Großbritannien, das in der Nähe seiner Kapkolonie keine andere europäische Macht dulden wollte, sagte er Lüderitz den Schutz zu. Bismarck veranlasste seinen Gesandten in Kapstadt amtlich zu erklären, "dass die Erwerbungen nördlich des Oranjeflusses unter dem Schutz des Reiches stehen." Das Reich hatte seine erste Kolonie, das spätere Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia.

  • Verzahnung der Innen- und Außenpolitik Bismarcks

  • Bismarck erwartet Sogwirkung der liberalen Politik Großbritanniens (Handlungsspielraum des Parlaments) auf Deutschland.

  • Bismarck will die liberale Außenpolitik Großbritanniens unter Gladstone lächerlich machen. Indirektes Ziel sind die Linksliberalen in Deutschland. Eine außenpolitische Frage wird also instrumentalisiert, um einen innenpolitischen Gegner zu Fall zu bringen!


Allen Schülern und Studenten, die gerade eine Prüfung zu bestehen haben, wünschen wir viel Erfolg.  Wir drücken auch die Daumen für diejenigen, die eine Klausur schreiben müssen oder eine Hausarbeit bzw. Referat anzufertigen haben.


Literaturangaben


Deininger, Helga

Frankreich - Rußland - Deutschland 1871 - 1891. München 1983

Gall, Lothar

Europa auf dem Weg in die Moderne 1850-1890 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 14). München 1997

Gall, Lothar

Bismarck. Der weiße Revolutionär. Berlin 2001

Halder, Winfrid

Innenpolitik im Kaiserreich 1871 - 1914, Darmstadt 2003.

Hildebrand, Klaus

Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler 1871 - 1945. Stuttgart 1995.

Hillgruber, Andreas

Bismarcks Außenpolitik. Freiburg 1972.

Hillgruber, Andreas

Deutsche Großmacht- und Weltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert. Düsseldorf 1977.

Hertz-Eichenrode, Dieter

Deutsche Geschichte 1871 - 1890. Das Kaiserreich in der Ära Bismarck, Stuttgart 1992.

Kennan, George F.

Bismarcks europäisches System in der Auflösung. Die französisch-russische Annäherung 1875 - 1890. Berlin 1981.

Mommsen, Wolfgang J.

Das Ringen um den nationalen Staat. Die Gründung und der innere Aufbau des Deutschen Reiches unter Otto von Bismarck 1850 bis 1890, Berlin 1993.

Nipperdey, Thomas

Deutsche Geschichte 1866 - 1918, Band 1: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990; Band 2: Machtstaat vor der Demokratie, München 1992

Riehl, Axel

Der "Tanz um den Äquator". Bismarcks antienglische Bündnispolitik und die Erwartung des Thronwechsels in Deutschland 1883 bis 1885. Berlin 1993

Schöllgen, Gregor

Das Zeitalter des Imperialismus (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 15). München 1994

Schwarzmüller, Theo

Otto von Bismarck, München 1998

Stürmer, Michael

Das ruhelose Reich. Deutschland 1866 - 1918, Berlin 1983

Ullmann, Hans-Peter

Das Deutsche Kaiserreich 1871 - 1918. Frankfurt/Main 1995.

Ullrich, Volker

Die nervöse Großmacht. 1871-1918. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs, Frankfurt/Main 1997

Wehler, Hans Ulrich

Das deutsche Kaiserreich 1871 - 1918, Göttingen 1973

Wehler, Hans Ulrich

Bismarck und der Imperialismus. Köln 1969

Wolter, Heinz

Bismarcks Außenpolitik 1871 - 1881. Außenpolitische Grundlinien von der Reichsgründung bis zum Dreikaiserbündnis. Berlin 1983.


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